Fernuntericht in Corona-Pandemie: Für Arme reicht analog
Hamburger Schüler erhalten das Geld aus Laptop-Programm des Bundes nicht selbst. Stattdessen kauft die Behörde Geräte und verleiht sie – das dauert.
Zwei Antragsformulare für „Digitales Lernen in der Coronakrise“ dürften nicht mehr ausgegeben werden und sollten zurückgefordert werden, schrieb ein Schulaufsichtsbeamter Ende April an die Schulleiter des Projekts „23+ Starke Schulen“. Das sind die Schulen in den ärmsten Vierteln. Auf „Wunsch des Amtes für Soziales“ teile er mit, dass solche Anträge vom Jobcenter „abschlägig“ beschieden würden. Und weiter heißt es: „Die Schule spricht im Kontext des Antrages keine Empfehlung für digitale Endgeräte im Fernunterricht aus, da im Fernunterricht analog gearbeitet werden kann.“
Auch Landesschulrat Thorsten Altenburg-Hack teilte den Schulleitungen mit, dass kein Anspruch auf Erstattung von Laptops für Sozialleistungsbezieher bestehe. Mit den in Summe 12,8 Millionen Euro vom Bund für Schülercomputer werde der Senat zentral Geräte kaufen und Schülern leihen.
Die Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Die Linke) findet das „sozial- und bildungspolitisch eine Katastrophe“. Es sei klar, dass die Coronakrise die Mängel des digitalen Unterricht zutage befördert habe und dieser über diese Zeit hinaus „Fahrt aufnehmen“ müsse. Alle Schüler bräuchten gleiche Bedingungen. Leihen gewährleiste das nicht.
Bis zu 80.000 Geräte nach den Sommerferien
Auch das Sozialbündnis „Hamburg traut sich was“ empört sich über den Vorgang. „Es gibt Urteile von Sozialgerichten, die Bewilligungen von Geld für Laptops befürworten und einen Anspruch auf solche Leistungen bestätigen“, sagt dessen Sprecher Wolfgang Völker.
Das Bündnis verschickt Postkarten an die Abgeordneten von Rot-Grün mit der Forderung „600 Euro sofort für Laptop und Drucker“, damit arme Schüler „den digitalen Anschluss nicht verpassen“. Boeddinghaus will mit ihrer Fraktionskollegin Olga Fritzsche einen Antrag stellen, wonach jeder bedürftige Schüler 500 Euro für digitale Endgeräte bekommen soll.
Bei einem Schlagabtausch mit Boeddinghaus hatte der Grüne Anjes Tjarks am Mittwoch in der Bürgerschaft gesagt, 19.000 Endgeräte stünden in den Schulen zum Verleih bereit. – „Das ist zu wenig“, findet Fritzsche. Hamburg habe 60.000 förderberechtigte Schüler. Zudem höre sie ständig andere Zahlen.
Die Schulbehörde erklärte auf Nachfrage, es gebe derzeit „bis zu 11.000 mobile Endgeräte“, die bereits an Schüler verliehen würden. Von den 12,8 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm werde die Behörde 60.000 bis 80.000 Notebooks und Tablets erwerben. Durch den Verleih sei „die Wartung durch uns sichergestellt“, sagte Sprecher Michael Reichmann. Auch besorge die Behörde Prepaid-Karten für den Netzanschluss. Sie hoffe, „nach den Sommerferien größere Zahlen von Endgeräten ausliefern zu können“.
„Das ist reichlich spät“, findet Fritzsche. Sie habe selber ein 13-jähriges Kind. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie Homeschooling an weiterführenden Schulen rein analog funktionieren soll“, sagt sie. In einigen Stadtteilen habe fast die Hälfte der Kinder kein Gerät. „Die sind über Monate vom Unterricht ausgeschlossen.“ Sie fürchte, die Behörden verweigerten sich, „um nicht zuzugeben, dass dieser Bedarf im digitalen Zeitalter schon länger besteht“.
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