piwik no script img

Ferien zu Hause wegen CoronaDie scharren schon mit den Hufen

Corona, du bist ein Einpeitscher in Sachen Achtsamkeit. Wie die Familie die dritten Ferien damit verbrachte, Freude in heimischen Gefilden zu suchen.

Tropical Island: Im Internet klingt das Hygienekonzept einigermaßen überzeugend Foto: imago

G ut, die Herbstferien trugen jetzt nicht die gleißende Schlagzeile „Tripsdrill, der arschgeilste Vergnügungspark Baden-Württembergs!“ Dafür wurde das Beherbergungsverbot zu spät gekippt, da hatten wir mit Hotspot-Demut längst storniert und den schulfreien Wochen eine neue Überschrift verpasst: „Buntes Amüsement in heimischen Gefilden“.

Und, hey, Corona, du alter Einpeitscher in Sachen Achtsamkeit: Wir haben auch während der dritten Ferien in Folge die kleinen Dinge um uns rum ganz intensiv wahrgenommen – und sie genossen! Ha, take that: Obwohl es kalt, nass und dunkel war, obwohl uns das Restaurant nicht mal mehr mit der befreundeten Familie an einen Tisch setzen wollte, obwohl wir uns abends nicht mehr in die Kneipe trauten und die Senatskulturverwaltung uns das Sonderstipendium fürs Verfassen großer Literatur nicht gewährt hat – wir hatten Spaß, und zwar big time.


Die Wasserbüffel am Tegeler Fließ. Gewaltig, Natur pur, Savanne trifft Taiga, die deutschlandbeflaggten Kleinangestelltenhäuser an den Rändern haben wir einfach ignoriert. Der Wildfleischverkauf im Tegeler Forstamt. Berlinweit der einzige, der aus forstwirtschaftlich guten Gründen erlegte Tiere (die vorher ein Topleben hatten!) nicht im Stück, sondern schon „grob zerwürgt“ verkauft. Yeah! Das Pilzesammeln im Blumenthal-Wald hinter Werneuchen.

Trampolin auf dem Hof!

Der Nebel wallt, die Parasols stehen meterhoch, die Wolfsspuren sind eindeutig, und die fontanemäßig sagenumwobene „Stadtstelle“ mitsamt ihrem altgermanischen Menschenopferstein ist nervenaufreibend, obwohl wir sie gar nicht finden. Das anschließende Essen in der Prötzeler „Goldenen Kartoffel“ ist schlecht und teuer, aber, so what, der Name macht alles wett, dazu das Trampolin auf dem Hof!


Aus dem „Kleinen Prinzen“ macht die eindrucksvolle Maria Mägdefrau in der Schwartzschen Villa hinreißendes Kindertheater. Alle Erwachsenen weinen beim Auftritt des Fuchses. Die Kinder kapieren das eigentlich gar nicht mit diesem Wesentlichen, das für die Augen unsichtbar ist, und gieren hinterher eher noch nachdrücklicher als sonst schon nach dem Sichtbaren, Knalligen, Süßen, Extra-dick-Aufgetragenen.


Tattoo Weltesche

Also beugen wir uns dem Diktat der Oberfläche und setzen diesen crazy spontanen Herbstferien die Krone auf: Mit dem von Baden-Württemberg rückerstatteten Geld buchen wir einen Tag im Tropical Islands. Die Kinder drehen durch. Im Internet klingt das Hygienekonzept einigermaßen überzeugend. Der Dome zu Krausnick lässt derzeit statt der sonst üblichen 6.000 nur 3.000 Paradieslüsterne ein. Aber auch 3.000 mehr oder weniger übergewichtige und entweder mit den Porträts ihres Nachwuchses oder der Weltesche Yggdrasil tätowierte Sachsen, Hessen und Lausitzer sind: viele.

In trauter Multitude trudeln wir durch Strömungskanäle und Whitewater River, wandeln unter Topfpalmen, begaffen die Handvoll Flamingos, liegen auf Liegen, loungen in der Lagune, paddeln lazy durch das „Südsee“ benamte Langweilerbecken und stehen vor dem Burger-Schalter und dem Frozen-Yoghurt-Spender in langer Schlange.

Dabei glauben wir ganz feste der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen: „Alle vorliegenden Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Viren durch das Chlor sicher abgetötet werden.“ Sollten wir morgen wieder in einer Schlange stehen, diesmal vor der Testpraxis: Wir taten es für die Kinder.


Die fläzen sich derweil pandemiefasziniert im Schlafanzug vor der „Tagesschau“. Bericht aus einer italienischen Intensivstation. „Auf dem Schild da steht ja Covid-19“, meint das kleine Kind und schaut irritiert: „Gab's denn vor Corona schon achtzehn andere Covide?“ Mindestens, sage ich. Und die nächsten neunzehn stehen schon in den Startlöchern und scharren mit den Hufen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Kirsten Riesselmann
Autorin & Übersetzerin
Jahrgang 1976. Studierte Kulturwissenschaftlerin und ausgebildete Redakteurin (Berliner Journalistenschule). taz-Redakteurin von 2005-2008 (Berlin Kultur). Freie Autorin und Journalistin (u.a. für taz, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Spex), Kolumnistin (v.a. taz), Redakteurin (u.a. fürs Goethe Institut). Übersetzerin von Sachbüchern und Belletristik aus dem Englischen. Schwerpunkte: Popkultur, Feminismus, politischer Essay, kritische Reportage, Graphic Novels, Literatur, Krimis.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!