Femizide in Berlin: Aufschrei der Initiativen
Antigewaltprojekte gedenken einer getöteten Frau in Spandau. Ab jetzt wollen sie nach jedem Femizid rote Schuhe vor die jeweiligen Rathäuser tragen.

Mit dieser Aktion wollen sie an den jüngsten Femizid dort erinnern: Am 3. April war eine 56-Jährige Frau tot in ihrer Wohnung im Spandauer Ortsteil Falkenhagener Feld gefunden worden – mutmaßlich ermordet. Tatverdächtig ist ihr Lebenspartner, ein 60-Jähriger Mann. Femizid meint die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Der Begriff Feminizid bezieht auch die strukturelle Ebene mit ein.
„Wir freuen uns sehr, dass so viele gekommen sind, damit haben wir nicht gerechnet“, eröffnet eine Rednerin die von den Antigewaltprojekten initiierte „Aktion Rote Schuhe“. Solche Schuhe sind inzwischen ein weltweites Symbol gegen tödliche Gewalt gegen Frauen. „10 Wochen nach dem ersten Berliner Femizid dieses Jahres legen wir wieder unsere Arbeit nieder, um darauf aufmerksam zu machen, dass eine Frau von ihrem Ex-Partner in Spandau getötet wurde“, sagt sie. Sie und weitere Redner*innen fordern mehr Frauenhausplätze, mehr Bildungsarbeit und konsequente Täterarbeit, um Femizide zu verhindern. „Wie lange sollen wir noch gedenken?“, heißt es gleich in mehreren Redebeiträgen.
Um genau zu sein, erinnern die Teilnehmer*innen der Kundgebung dort gar nicht mehr an den letzten Femizid in Berlin, sondern an den letzten in Spandau. Denn in der Zwischenzeit, nur eine knappe Woche später, fand die Polizei am 10. April eine leblose 57-jährige Frau auf dem Beifahrersitz eines Autos in Moabit. Der 49 Jahre alte, wohl stark alkoholisierte Autofahrer steht in Verdacht, sie getötet zu haben.
Gewalttaten im öffentlichen Raum
Hinzu kommen allein in den vergangenen vier Wochen weitere Gewalttaten gegen Frauen im öffentlichen Raum: In Moabit hatte laut Polizeiangaben ein Mann eine auf einer Bank liegende Frau mit Deospray besprüht und sein Feuerzeug darangehalten, sodass ihre Haare Feuer fingen. Und Ende März hatte ein Mann eine Sexarbeiterin erst mit seinen Fäusten attackiert und dann mit einer Eisenstange verprügelt. Am 19. März wiederum hatte im brandenburgischen Schönefeld ein 58-jähriger Mann seine 59-jährige Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung getötet.
„Ich bin hier, weil das Thema Femizid zu wenig Aufmerksamkeit erhält, von der Politik zu wenig priorisiert wird und immer noch oft als Frauenthema gesehen wird“, sagt eine Teilnehmerin der Kundgebung. „Jede Frau ist eine zu viel, und sollte nicht untergehen“, sagt eine andere.
„Wir solidarisieren uns mit der Aktion Rote Schuhe“, sagt eine Sprecherin vom Netzwerk gegen Feminizide, ein Zusammenschluss von Aktivist*innen, die bereits seit Längerem auf Femizide aufmerksam machen. Sie begleiten Prozesse und bieten Bildungsarbeit in Schulen an. „Es ist bezeichnend, dass die Initiative aus dem Bereich der Antigewaltarbeit kommt. Der politische Aufschrei dagegen, der bleibt aus“, kritisiert sie. Den bräuchte es aus ihrer Sicht aber, und vor allem auch den Willen, Maßnahmen umzusetzen, damit sich langfristig etwas ändert.
Das Netzwerk weist außerdem darauf hin, dass noch immer viele Femizide gar keine Aufmerksamkeit bekommen. „Auch Feminizide an Transpersonen oder an nicht-binären Menschen gehen unter“, sagt die Sprecherin. Das Netzwerk fordert etwa, dass auch versuchte Feminizide erfasst werden sollten. „Das Risiko, nicht geschützt zu werden, steigt mit anderen Diskriminierungsformen“, sagt sie. Rassismusbetroffene Frauen seien besonders gefährdet, Sexarbeiter*innen dazu auch noch weniger geschützt.
Kriterien für besondere Gefährdung
Rebecca Bondü von der Psychologischen Hochschule Berlin hat in einem Forschungsverbund Kriterien herausgearbeitet, die der Polizei oder Mitarbeiter*innen in der Antigewalthilfe helfen sollen, einzuschätzen, wie hoch das Risiko ist für einen Intimizid – also einen Femizid durch den (Ex-)Partner. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
„Faktoren sind etwa: wenn die Frau Ängste oder sogar Todesangst äußert, wenn die Kinder darüber sprechen, oder wenn der Täter offen oder auch versteckt über Tötungsabsichten spricht“, sagt Bondü. Warnsignale seien auch suizidales Verhalten des Täters oder „Trigger-Ereignisse“, etwa wenn Täter realisieren, dass eine Trennung nun endgültig ist. „Wir schulen etwa Polizist*innen, sodass sie mit diesem Risiko-Analyse-Instrument arbeiten können“, sagt Bondü. Die Hoffnung ist, damit Femizide zu verhindern.
Ende Februar ging in Berlin der Prozess gegen den Mörder von Norhan A. zuende. Die 36-jährige war im August von ihrem Ex-Partner in Zehlendorf niedergestochen worden. „Norhan tat alles, um sich zu schützen“, betonte das Netzwerk „Wir wollen uns lebend“ in einer Stellungnahme nach dem Prozess und Urteilsspruch. A. hatte Anzeige erstattet, sie erwirkte eine Gewaltschutzanordnung und war mit ihren Kindern in eine Schutzwohnung gezogen.
„Gerechtigkeit für Norhan würde bedeuten, dass sie noch am Leben wäre“, schreibt das Netzwerk. Aktuell rufen sie dazu auf, den Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Nikki N. zu begleiten. Sie war zwei Tage nach Norhan A. ermordet worden.
Adresse über die Kinder
„Der Mörder von Norhan A. hatte ihre Adresse über den Umgang mit den Kindern herausgefunden“, sagt Nua Ursprung von der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen BIG e. V. „Er hatte ihr mit dem Mord gedroht, es gab ein Strafverfahren gegen ihn. Aber er durfte die Kinder trotzdem sehen. Das hat er ausgenutzt“, sagt sie. Antigewaltinitiativen wie BIG e. V. fordern seit Langem, dass gewalttätigen Männern der Umgang und Kontakt zu den Kindern verwehrt wird. „Dazu bräuchte es noch nicht mal Geld, um das umzusetzen“, sagt Ursprung.
Doch auch Geld ist wichtig: Die Organisator*innen der Aktion Rote Schuhe fordern generell eine bessere Finanzierung. „Es gibt zu wenig Stimmen dazu in der Öffentlichkeit“, sagt eine der Organisator:innen. „Wir, die tagtäglich mit den Betroffenen zu tun haben, haben uns deshalb zusammengeschlossen“, sagt sie.
Vor dem Rathaus Spandau wird es plötzlich ruhig. Während der 3-minütigen Gedenkstille stört nicht mal das Marktschwirren, nur das Rauschen des Autoverkehrs ist zu hören. Immer wieder bleiben Passant:innen stehen, lesen die Flyer und Plakate und fragen leise nach. Die Aktion soll auch in Zukunft stattfinden erklärt eine Organisatorin: „Am darauffolgenden Mittwoch eines jeden Berliner Femizids rufen wir dazu auf, sich vor dem Rathaus des jeweiligen Bezirks zu versammeln um Druck auf die Politik auszuüben“, sagt sie. „Denn klar ist: Das sind keine Einzelfälle. Das Thema ist nicht privat.“
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