Feministisches Brettspiel: Wenn Frauen Polizisten verprügeln
„Suffragetto“ war mehr als ein Brettspiel. Für die britische Suffragettenbewegung war es ein feministisches Werkzeug im Kampf für das Frauenwahlrecht.
Zack – einfach mal drei Bobbys geschlagen und schon hat es die erste Suffragette ins Unterhaus geschafft. Die Bobbys dagegen landen im Krankenhaus. Da sind sie nicht die ersten. Aber auch das Gefängnis füllt sich langsam mit grünen Spielsteinen.
Beim Brettspiel „Suffragetto“ stehen zwei Parteien auf dem Spielfeld: Suffragetten und Polizisten. Letztere in Blau, die ersteren in Grün – Farbe der Hoffnung und Farbe der Suffragettenbewegung, neben Weiß und Lila. Suffragetten waren englische Frauenrechtlerinnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für das Wahlrecht von Frauen kämpften.
Das taktische Brettspiel für zwei Personen lässt sich auch heute nach mehr als 110 Jahren noch spielen und erinnert an Dame, nur ist das Spielfeld etwas komplexer. So sind auf den Seiten links und rechts Felder mit hospital und prison beschriftet, Krankenhaus und Gefängnis. Die Mitte ist die arena und in zwei Bereiche unterteilt: Die Polizei will in die Albert Hall eindringen und dort eine Versammlung der Suffragetten sprengen.
Die wiederum wollen das House of Commons erstürmen, das britische Unterhaus. Gegnerische Figuren können übersprungen werden und landen dann entweder im Gefängnis – wenn es Suffragetten sind – oder im Krankenhaus – wenn es Polizisten sind. Harmlos ist anders. Durchaus angebracht, der Kampf um Grundrechte war brutal. 1908 hat die britische Women’s Social and Political Union (WSPU) „Suffragetto“ veröffentlicht.
Das Motto der Organisation war „Taten, nicht Worte“. Nur Frauen durften Mitglieder werden, als Mittel nutzten sie zivilen Ungehorsam und – meistens illegale – Aktionen wie das Zerschlagen von Schaufenstern oder Säureattentate auf Golfplätze. Das ging nicht immer ohne Gegengewalt: Suffragetten lernten die Kampftechnik Suffrajitsu, um sich gegen übergriffige Männer und eben auch gegen Polizeigewalt zu schützen.
Es ging nicht nur um die Botschaft
Kein Wunder, dass „Suffragetto“ den aktiven Kampf gegen Polizei thematisierte. Frauen sind in diesem Spiel keine fragilen Geschöpfe, für die allein schon der Aufenthalt im öffentliche Raum gefährlich war – wie es der Norm des Empire der Zeit entsprach. Sie waren Kombattantinnen, gleichwertig gegenüber ausgebildeten Polizeikräften. Die implizite Botschaft von „Suffragetto“: „Wir können euch schlagen!“ – auf dem Spielbrett, und auf der Straße. Es ging der WSPU nicht nur um die Botschaft.

Der Verkauf des Spiels sollte auch finanzielle Unterstützung für den politischen Kampf gewinnen. Zu diesem Zweck hatte die WSPU Läden in London und auf dem Land eingerichtet, oft mit Hinterräumen, in denen die Frauen Versammlungen organisierten.
Im Verkaufsraum lag „Suffragetto“ zwischen Taschentüchern, Abzeichen und Schals in den Farben der WSPU, zwischen Selbstgemachtem wie Marmelade und Kuchen.
„Suffragetto“ war nicht das einzige Gesellschaftsspiel des Warensortiments. Schon ein Jahr zuvor, 1907, war das Kartenspiel „Suffragette“ erschienen. Im gleichen Jahr wie „Suffragetto“ hatte die WSPU „Suffragettes In and Out of Prison“ und „How to Get Out of Gaol“ produzieren lassen. Spielfiguren aus Pappe konnten aus dem Frauengefängnis Holloway entkommen.
Der Ort hatte große symbolische Bedeutung für die Bewegung. Hier waren viele Suffragetten inhaftiert und traten in den Hungerstreik, weil sie wegen Vandalismus einsaßen und nicht als politische Gefangene behandelt wurden.
Die Spieleproduktion zahlte sich wohl aus für die WSPU. 1909 brachte die Organisation zwei weitere Spiele heraus: Das Rommé-artige „Panko“, voller Titel „Panko, or, Votes for Women: The Great Card Game“ und „Pank-A-Squith“. Beide Titel spielen auf den Namen von WSPU-Gründerin Emmeline Pankhurst an, die sich ihr ganzes Leben lang für die Bewegung einsetzte.
Der zweite kombiniert ihn mit dem des damaligen Premierministers Herbert Asquith. Der hatte sich gegen das Wahlrecht für Frauen gestemmt – erst nach seiner Abdankung 1916 änderte er seine Einstellung.
Über die Spiele kamen die Ideen der Suffragetten in die Wohnzimmer. Sie zeigten einen Kampf, der mit ein bisschen Glück und taktischem Geschick zu gewinnen war. Im Spiel eröffnete sich die Möglichkeit einer besseren Gesellschaft.
Dabei waren sie nicht so offensichtlich Propaganda wie Pamphlete, sondern eben: Alltagsgegenstände, Zeitvertreib, mit dem man weniger feministisch orientierte Familienmitglieder und Freund*innen mit den Themen Gleichberechtigung und Frauenwahlrecht in Berührung bringen konnte.
Sprengstoffanschläge und Brandstiftung
Anfang des 20. Jahrhunderts waren die WSPU-Brettspiele nicht die einzigen mit politischen Ideen. Das wohl bekannteste ist „Monopoly“. Dessen Erfinderin, die US-Feministin Lizzie Magie wollte 1904 die Ungerechtigkeit von Landbesitzmonopolen demonstrieren. Deswegen konnte man das ursprünglich als „Landlord’s Game“ benannte Spiel in zwei Varianten spielen: antimonopolistisch und monopolistisch.
In der ersten gab es eine Einheitssteuer, in der zweiten dagegen den Anreiz, alle Mitspielenden in den Ruin zu treiben. Erfolgreich wurde das Spiel in der ungerechten Version – und erst, als Charles Darrow das Spiel abkupferte und unter dem weltbekannten Namen vermarktete.
In den Jahren nach „Suffragetto“ eskalierte in Großbritannien der Konflikt um das Frauenwahlrecht mit Sprengstoffanschlägen auf Briefkästen, Brandstiftung in Wohnhäusern von Ministern und Angriffen auf Kunstwerke wie Velázquez’ „Venus vor dem Spiegel“. Im Ersten Weltkrieg geriet die WSPU aus dem Fokus der Öffentlichkeit und löste sich 1917 auf.
Ihr Ziel erreichte sie dennoch: 1918 führte das Parlament das Frauenwahlrecht in Großbritannien ein. „Suffragetto“ und die anderen Spiele gerieten in Vergessenheit. Mit der Wahlrechtsreform war ihr revolutionäres Potenzial vergangen. Der Kampf auf dem politischen Spielfeld wirkte vorerst ausgefochten. Bis sich die Geschichtsschreibung für Brettspiele zu interessieren begann.
2016 berichtet die BBC über die Ausstellung „Playing With History“ in Oxford. Dort befindet sich auch das letzte Originalexemplar von „Suffragetto“, das 2018 erneut aus dem Archiv geholt wurde: als eines der Highlights der Ausstellung „Sappho to Suffrage: Women Who Dared“. Seitdem kämpft sich das Strategiespiel mit den blauen und den grünen Pöppeln langsam in das öffentliche Bewusstsein zurück.
Auf der Seite mindsports.nl kann man gegen eine KI oder andere Spieler*innen antreten, eine digitale Version gibt es auf Steam. Die Seite playsuffragetto.org stellt die Regeln und das Spielbrett auf Englisch zum Runterladen und Selberdrucken bereit. Passende Pöppel für den feministischen Kampf finden sich sicherlich in jedem Spieler*innenhaushalt.
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