piwik no script img

Feierabend im AbgeordnetenhausZwischen Quantensprung und Überwachungsstaat

Kommentar von Stefan Alberti

Das Landesparlament geht bis September in die Sommerpause und debattiert vorher noch eine Verschärfung des Polizeigesetzes.

Unter anderem die Debatte über das Polizeigesetz beschäftigte das Abgeordnetenhaus in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause Foto: Fabian Sommer/dpa

N och einmal eine große Debatte, noch einmal die Fragestunde, bei der die Chance dranzukommen davon abhängt, wie schnell die Parlamentarier auf ein Gongzeichen hin einen Knopf drücken. Noch einige Gesetzentwürfe, Gremienwahlen und Anträge, dann ist Feierabend im Abgeordnetenhaus. Und zwar nicht nur wie sonst bis zur nächsten Sitzung 14 Tage später, sondern bis in zwei Monaten. Bis Anfang September ist das Landesparlament nun in der Sommerpause. Quasi zum Saisonabschluss – und weil Feierabend ist – gibt es am Abend auch ein Sommerfest.

Bevor es im Innenhof festlich wird, gibt es im Plenarsaal aber noch viel Gelegenheit, sich so gar nicht feierlich vor allem über die Reform des Polizeigesetzes zu streiten. Es ist eine Reform, bei der sich Befürworter – die schwarz-rote Koalition – und die oppositionellen Grünen und Linken in einer Sache einig sind: Es ist eine einschneidende Veränderung.

Bloß, dass die eine Seite das sehr gut und die andere das richtig schlecht findet. Oder um es konkret zu machen: CDUler Burkard Dregger setzt die Reform mit einem „Quantensprung für die Sicherheit in Berlin“ gleich, der Grüne Vasili Franco hingegen sieht darin einen „Wunschzettel für einen Überwachungsstaat“. Die AfD wiederum hält CDU und SPD vor, nicht wirklich für mehr Sicherheit zu sorgen.

Die Reform soll unter anderem Videoüberwachung an Orten wie dem Alexanderplatz oder am Görlitzer Park ermöglichen, die als „kriminalitätsbelastet“ eingeordnet sind. Künstliche Intelligenz soll zum Einsatz kommen, um „verdächtige Verhaltensmuster“ zu erkennen. Kameraaufzeichnungen der BVG würden nicht wie bisher nach 48, sondern nach 72 Stunden gelöscht werden. Künftig soll die Polizei auch auf verschlüsselte Whatsapp-Nachrichten zugreifen können.

Ein Thema für fünf Ausschüsse

An diesem Donnerstag steht die Reform das erste Mal auf der Tagesordnung. „Erste Lesung“ heißt das im Parlamentsdeutsch. Nach der Sommerpause befassen sich gleich fünf Ausschüsse damit, bevor das erneuerte Polizeigesetz nach einer zweiten Lesung beschlossen werden soll. Das heißt auch: Wem es in der Sommerpause mal langweilig werden sollte, der hat nun im Zweifelsfall genug Lesestoff: Fast 750 Seiten hat der Entwurf. Wobei für den Grünen Franco die reine Masse nicht für Klasse steht: „750 Seiten machen das Gesetz noch lange nicht zum großen Wurf.“

Linke wie Grüne stellen dem schwarz-roten Versprechen von mehr Sicherheit in der Stadt eine andere Sichtweise entgegen. An vielen Stellen im Sozialbereich werde gekürzt, stellt Niklas Schrader von der Linksfraktion fest, „und da wollen Sie sich dafür abfeiern, dass Sie mehr für die Sicherheit tun?“ Schwarz-Rot macht für ihn das Gegenteil und legt „die Axt an die so­ziale Sicherheit der Stadt“. Der Grüne Franco erinnert daran, dass mehr Überwachung auch Geld kostet.„Für Ihre aktionistische Symbolpolitik sparen Sie die soziale Infrastruktur kaputt“, sagt er. Nach den Ferien befasst sich das Parlament auch mit dem Haushalt für 2026/27.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) als letzte Rednerin sieht das kaum überraschend anders: Die Reform sei „das sicherheitspolitische Kernstück dieser Koalition“. Und von flächendeckender Kontrolle mag sie nichts wissen: „Wir werden die Berliner auch künftig nicht mit Überwachungsmaßnahmen überziehen.“

Weiter geht es nach der parlamentarischen Sommerpause, wenn zugleich der erste Schultag nach den Ferien ist. Dann steht die Reform im Innenausschuss auf der Tagesordnung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!