piwik no script img

Feier zum Tag der Deutschen EinheitDie Staatskirmes

Regierungspropaganda, Bierstände und Werbung für VW: Die Feier zur Wiedervereinigung in Hannover war irgendwas zwischen Leistungsschau und Volksfest.

„Alles ist möglich, das habe ich wie Millionen anderer DDR-Bürger am eigenen Leib erfahren“: Die Kanzlerin beim Volksfest, äh: den Feierlichkeiten Bild: dpa

HANNOVER taz | Wer schon immer wusste, dass die Bundesregierung ihre BürgerInnen für minderbemittelt hält, konnte sich beim Tag der deutschen Einheit bestärkt fühlen. Dieser Wanderzirkus aus Volksfest und Leistungsschau tingelt seit 24 Jahren durch die Republik und hatte seine Zelte in diesem Jahr in Hannover aufgeschlagen. Direkt neben dem Rathaus der niedersächsischen Landeshauptstadt kampierten die „Verfassungsorgane“ Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung – und gerade die sparte nicht an Eigenwerbung.

Das Ernährungsministerium des Christsozialen Christian Schmidt, das keinerlei Interesse an einer einfachen Kennzeichnung gesunder und ungesunder Lebensmittel zeigt, hielt Bürgern schon am Eingang Möhren hin. Das Bundesamt für Statistik warb mit dem Slogan „Bürokratie sichtbar machen“. Und über dem Stand des Innenministeriums prangte der Spruch „Deutschland im Netz – gemeinsam und sicher“: Ganz so, als habe CDU-Innenminister Thomas de Maizière vom NSA-Skandal und der millionenfachen flächendeckenden Bespitzelung der Deutschen im Internet nie etwas gehört.

Weiter auf die „Ländermeile“: Auch hier reihte sich ein Klischee ans nächste. Berlin machte auf hip und empfing mit dem Nachbau eines Kreuzberg-typischen „Spätkauf"-Kiosks. Brandenburg warb mit Spreewaldgurken, im NRW-Zelt gab's kölsche Lieder, gereicht wurde aber ostwestfälisches Pils. Und die Baden-Württemberger machten mit „original Tübinger Stocherkähnen“ den angrenzenden Maschsee unsicher.

Niedersachsen dagegen schien VW zu sein – sponserte doch der Konzern, an dem das Land 20 Prozent hält, auch ein Fünftel der Kosten der Einheitsfeier. Es folgten Dutzende Stände vom Demografiebeirat bis zum „Hühnermobil“ genannten fahrbaren Stall, mit dem Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister Christian Meyer für Geflügelhaltung auf wöchentlich zu wechselnden Wiesen warb – von Massentierhaltung kein Wort.

Die Feuerwehr zersägt Schrottautos

Doch schlimmer geht immer. Auf der „Blaulichtmeile“ zersägte die Feuerwehr Schrottautos. Die Bundeswehr präsentierte eine Sanitätsversion ihres Radpanzers „Boxer“ – eigentlich unglaublich, gilt doch dieses Militärmobil wie viele andere als nur bedingt einsatzbereit.

Gediegen ging es dagegen beim Staatsakt im Congress Centrum zu. Zwar redete auch CDU-Kanzlerin Merkel über die Armee-Pannen, deren Fakten „auf den Tisch“ gehörten, schwurbelte dann aber über die Chancen der Wiedervereinigung: „Alles ist möglich, das habe ich wie Millionen anderer DDR-Bürger am eigenen Leib erfahren.“

Grundsätzlich blieb dagegen die Kritik von mehreren Tausend linksgerichteten Demonstranten, die sich schon am Vorabend bei Musik der Bands The toten Crackhuren im Kofferraum und Frittenbude auf dem Opernplatz in Feierlaune gebracht hatten: Die deutsche Einheit stehe für „Armut, Ausgrenzung und Leistungszwang“, befanden sie, der Begriff der Nation sei abzulehnen. Zum Verständnis eines Demonstrationszugs zum türkischen Konsulat, bei dem die Bombardierung der Terrormiliz IS in Syrien gefordert wurde, war aber eine Portion Dialektik nötig.

Immerhin: Der Kiosk am Opernplatz machte ein Riesengeschäft: Gegen 22.30 Uhr war das Bier alle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Kann man mal erfahren, WAS Frau Merkel wie Millionen anderer DDR-Bürger erfahren hat und ob und wie sie in DDR leiden musste?

  • "Immerhin: Der Kiosk am Opernplatz machte ein Riesengeschäft: Gegen 22.30 Uhr war das Bier alle." Den Satz habe ich am 03.10.2014 um 21.15 Uhr gelesen. Habe ich da was falsch verstanden oder kann A.W. in die Zukunft schauen?