Fehmarn, Geld: Die Stunde der Wahrheit
Deutsche Bahn ist mit der Gleisanbindung des geplanten Ostsee-Tunnels Jahre in Verzug. Kritiker befürchten Lärmbelastung und Kostenexplosion.
HAMBURG/BERLIN taz | Die Anbindung des geplanten Fehmarnbelt-Tunnels auf deutscher Seite wird sich erheblich verzögern. Das hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in zwei Briefen an seinen dänischen Kollegen Magnus Heunicke, die der taz.nord vorliegen, eingeräumt.
Es sei „mit einer Verzögerung von mehreren Jahren“ zu rechnen, schreibt Dobrindt unter Berufung auf „eine grobe Schätzung“ der Deutschen Bahn. Das aber könnte zur Konsequenz haben, dass für eine mehrjährige Übergangszeit täglich 79 extra lange Güterzüge auf der alten Bädertrasse durch die Ostseebäder an der Lübecker Bucht donnern und deren einzige Einnahmequelle, den Tourismus, versiegen lassen.
Entsprechend aufgeschreckt reagiert Schleswig-Holsteins Wirtschafts- und Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD), der auch für Tourismus zuständig ist. Die Bahn müsse dafür sorgen, dass die Anbindung zeitgleich mit der Eröffnung des Tunnels realisiert werde: „Das ist die große Aufgabe, die der Bund zu leisten hat“, kommentiert Meyer. „Wir als Land werden sehr genau darauf achten, dass dies geschieht.“
Zeitpunkt bleibt ungenannt
In einem deutsch-dänischen Staatsvertrag von 2008 wurde vereinbart, dass Deutschland den Fehmarnbelt-Tunnel in Ostholstein auf eigene Kosten mit Straßen und Schienen anbindet.
Straße: Vierspuriger Ausbau der Bundesstraße 207 vom Ende der Autobahn A 1 bei Heiligenhafen-Ost bis Puttgarden als vierspurige Bundesstraße bis zur Eröffnung des Tunnels, die für 2022 geplant ist.
Gleise: Ebenso eine zweigleisige und elektrifizierte Bahnstrecke von Lübeck bis Puttgarden nach Eröffnung des Tunnels.
Fehmarnsund-Brücke: Zusätzlich muss die marode Brücke zwischen Fehmarn und dem Festland ersetzt werden. Einen Zeitplan dafür gibt es noch nicht.
Bahnsprecherin Maja Weihgold bestätigte auf Anfrage der taz, dass die Planungen in Verzug seien. Die Bahn sei „zurzeit im Abstimmungsprozess“ mit dem Bund, dem Land Schleswig-Holstein und der dänischen Seite, die fertigen Pläne würden aber „in absehbarer Zeit“ veröffentlicht werden können. Auf einen Zeitpunkt für die Fertigstellung der Strecke wollte sich Weihgold nicht festlegen. Auch sei eine zeitweilige Inanspruchnahme der alten Bädertrasse „nicht ausgeschlossen“.
Nach heftigen Protesten aus den Ostseebädern hatte das Landesplanungsamt Schleswig-Holstein im Mai vorigen Jahres für die rund 80 Kilometer lange Strecke an der Ostküste eine neue Trasse weiter im Landesinneren entlang der Autobahn A 1 favorisiert. Diese würde verhindern, dass alle 18,5 Minuten ein mehr als 800 Meter langer Güterzug mit 160 Stundenkilometern durch die Ferienorte rollt.
Erforderlich wird dafür die neue Planung einer rund 55 Kilometer Neubaustrecke samt mehrerer Ortsumfahrungen. Zusätzlich muss die marode 52 Jahre alte Brücke über den Fehmarnsund ersetzt werden, weil sie nach statischen Berechnungen der Bahn dem Gewicht der Güterzüge nicht standhalten könne. All das führe zu den aktuellen Verzögerungen, sagt Bahnsprecherin Weihgold: „Wir mussten zusätzliche Untersuchungen vornehmen und Gutachten in Auftrag geben.“
Es droht: eine Kostenexplosion
Mit der Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens könne erst 2017 gerechnet werden, schreibt auch Dobrindt in einem seiner Briefe nach Kopenhagen. Damit könnte die neue Strecke kaum bis zur Fertigstellung des Tunnels, die Dänemark für 2022 anstrebt, realisiert werden. Damit sei „frühestens 2026, wenn nicht erst 2028 zu rechnen“, sagt Bettina Hagedorn, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Ostholstein und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende. Deshalb dürfe „kein Güterzug durch den Belttunnel fahren, solange die deutsche Anbindung nicht komplett fertig ist“, fordert Hagedorn.
Schleswig-Holsteins grüner Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz sieht „die Stunde der Wahrheit“ gekommen. Die Bundesregierung müsse außer einem Zeitplan „umgehend eine aktuelle Kostenkalkulation vorlegen, die der Bundesrechnungshof seit Jahren fordert“. Nach ersten Schätzungen sollten die Trassen etwa 840 Millionen Euro kosten, der Bundesrechnungshof rechnet mit dem doppelten Betrag.
Inklusive einer neuen Fehmarnsund-Brücke befürchtet Hagedorn, die im Haushaltsausschuss des Bundestages federführend für Verkehrsprojekte ist, sogar eine Kostenexplosion auf bis zu drei Milliarden Euro.Mit undiplomatisch offenen Worten bestätigt der Kieler Verkehrsminister Meyer diese Größenordnung.
Beim Abschluss des deutsch-dänischen Staatsvertrages 2008 sei das Gesamtprojekt „aus politischen Gründen auf unter eine Milliarde Euro heruntergerechnet“ und der Ersatz der Fehmarnsund-Brücke „nicht eingepreist“ worden. Das, sagt Meyer, der erst seit 2012 im Amt ist, „war der Webfehler“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen