Fehlstart der EU-Kommission: Ausfälle und Wackelkandidaten

Die Anhörungen zur neuen EU-Kommission haben mit einer Niederlage für von der Leyen begonnen. Sie wird froh sein können, wenn alle durchkommen.

Drei Männer stehen vor einem Plenarsaal

Am Mittwoch fiel bei der EU-Parlamentsanhörung von Didier Reynders (Mitte) der Strom aus Foto: Yves Herman/Reuters

BRÜSSEL taz | So hat sich Ursula von der Leyen den Start ihrer EU-Kommission wohl nicht vorgestellt. „Hervorragend“, „ausgezeichnet“ und „exzellent“ seien die 26 Kandidaten, sagte die CDU-Politikerin bei der Vorstellung ihres Teams Anfang September in Brüssel. Für jeden Anwärter fand sie ein Superlativ, wenigstens aber ein nettes Adjektiv. Gemeinsam werde man zeigen, dass Europa „mehr kann“.

Drei Wochen später darf von der Leyen schon froh sein, wenn sie ihre Truppe mit Ach und Krach durch das Europaparlament bringt. Schon vor Beginn der Hearings im Brüsseler Parlamentsgebäude hatten die Abgeordneten zwei Kommissarsanwärter durchfallen lassen. Der Ungar László Trócsányi und die Rumänin Rovana Plumb wurden wegen möglicher Interessenskonflikte zurückgewiesen.

Von der Leyen musste ihr Team umbauen und neue Kandidaten in Budapest und Bukarest anfordern. Dabei hatte sie zunächst noch versucht, das Votum des Rechtsausschusses zu übergehen. Doch die Abgeordneten ließen sich das nicht bieten – und bekräftigten ihre Ablehnung.

Nun, am dritten Tag der insgesamt sechstägigen Anhörungen, stehen zwei weitere Bewerber auf der Kippe. Der Pole Janusz Wojciechowski, den von der Leyen zum Agrarkommissar machen möchte, muss nach einer schwachen Vorstellung nachsitzen und schriftliche Fragen beantworten.

Viele Vorbehalte

Auch der designierten EU-Innenkommissarin, der Schwedin Ylva Johansson, will das EU-Parlament noch einmal auf den Zahn fühlen.

Vorbehalte gibt es zudem gegen den Iren Phil Hogan, der sich um die Handelspolitik kümmern soll. Seine Aussagen zum Klimaschutz und zur CO2-Grenzsteuer seien zu vage und unverbindlich gewesen, kritisieren die Grünen im Europaparlament.

„Wir können diese Bewerbung nicht unterstützen“, warnten die Fraktionschefs Ska Keller und Philippe Lamberts nach der Anhörung.

Zwei vorzeitige Ausfälle, zwei Wackelkandidaten und ein Streitfall – keine schöne Zwischenbilanz für von der Leyen. Und dabei kommen die dicken Brocken erst noch.

Belastung durch undurchsichtige Affären

Mit dem Belgier Didier Reynders und der Französin Sylvie Goulard müssen sich am Mittwoch zwei politische Schwergewichte dem Europaparlament stellen. Gegen beide gibt es Vorbehalte wegen undurchsichtiger – und nicht vollständig aufgeklärter – Affären.

Zudem gehören Reynders und Goulard der liberalen „Renew Europe“-Fraktion an. Dies könnte Konservative und Sozialdemokraten dazu verleiten, sie besonders hart zu „grillen“, wie man in Brüssel sagt. Denn die beiden größten Fraktionen haben mit Trócsányi und Plumb bereits Federn lassen müssen, die Liberalen jedoch noch nicht.

Anders als bei der Bildung der letzten EU-Kommission vor fünf Jahren gibt es diesmal keinen Nichtangriffspakt zwischen den Parteien. Nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ könnten sich die Anhörungen daher schnell zu einem politischen Massaker entwickeln.

Die Gefahr ist umso größer, als von der Leyen über keine eigene Mehrheit im neuen Parlament verfügt. Ihre Wahl im Juli gewann sie nur mit einem hauchdünnen Vorsprung von neun Stimmen.

Es droht ein Denkzettel

Doch nach den Anhörungen muss sich von der Leyen Ende Oktober einer weiteren Abstimmung stellen. Dabei geht es nicht nur um ihre Person, sondern um ihr gesamtes Team. Das Europaparlament hat diese finale Wahl bisher noch stets als Hebel genutzt, um unfähige oder missßliebige Kandidaten herauszukicken. Diesmal dürfte die Versuchung, einen Denkzettel auszustellen, besonders groß sein.

Viele EU-Abgeordnete haben es noch nicht verwunden, dass nach der Europawahl keiner der Spitzenkandidaten zum Kommissionschef nominiert wurde – sondern die ehemalige Verteidigungsministerin, die niemand auf dem Zettel hatte.

Die Grünen und die deutschen Sozialdemokraten haben deshalb im Juli gegen von der Leyen gestimmt. Das bedeute aber nicht, dass sie auch jetzt wieder mit „Nein“ stimmen, betont Jens Geier, Chef der SPD-Gruppe. Vielmehr wolle man Leyens Team „konstruktiv“ prüfen.

Nur die Linke hat sich schon festgelegt: Sie will gegen die neue Kommission stimmen. Von der Leyens Team vertrete nur die oberen ein Prozent und nicht die Mehrheit der Europäer, sagte der deutsche Co-Fraktionsvorsitzende Martin Schirdewan. Die Linke geht in die Opposition – umso mehr kommt es nun auf die Stimmen von Grünen und Sozialdemokraten an.

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