Fehlstart der Bundestags-Sportpolitiker: Digital ist niemals besser

Der Sportausschuss steht unter der Leitung des Ex-DDR-Biathleten Frank Ullrich. Der verpasst die Chance, wieder öffentliche Sitzungen anzuberaumen.

Vom Schießstand in den Plenarsaal: Ex-Trainer und Ex-Biathlet Frank Ullrich (SPD).

Vom Schießstand in den Plenarsaal: Ex-Trainer und Ex-Biathlet Frank Ullrich (SPD) Foto: Jacob Schröter/imago-images

Der Sportausschuss des Bundestags hat einen Balkon. Von oben schaut man auf die Politiker herab. Alle Volksvertreter sieht man nicht, ein paar sitzen unterhalb des ersten Rangs, und man müsste sich schon über die Balustrade beugen, um ihrer angesichtig zu werden. Seit 2011 haben Journalisten nur noch selten die Möglichkeit, auf dem Balkon im Paul-Löbe-Haus zu sitzen: Der Sportausschuss tagt zumeist „nicht öffentlich“. Die Parlamentarier bleiben unter sich.

Es waren die Fraktionen der damals regierenden CDU/CSU und der FDP, die aus den bis dato zumeist öffentlichen Sitzungen des Sportausschusses geschlossene Veranstaltungen gemacht haben. Journalisten hatten seinerzeit darüber berichtet, wie Abgeordnete auf ihrem iPad herumspielten, einschliefen oder mit fundiertem Nichtwissen auffielen. Dieser Blick in die Herzkammer der Bundespolitik war CDU-Politikern, allen voran dem ehemaligen Turner Eberhard Gienger, zu viel, sie pochten auf Einhaltung der Geschäftsordnung des Bundestags, und in der steht unter Paragraf 69, dass die Ausschüsse grundsätzlich nicht öffentlich tagen.

In dieser Woche ist der Sport­ausschuss zum ersten Mal zusammengekommen. Vieles ist neu, so auch der Vorsitzende. Es ist der ehemalige DDR-Biathlet Frank Ullrich, der für die SPD die Leitung der Runde von Parteifreundin Dagmar Freitag übernommen hat. Freitag, die nicht mehr im Bundestag sitzt, war stets für eine Öffnung der Sitzungen, musste sich aber der Koalitionsdisziplin beugen. Der taz sagte sie vor vier Jahren: „Ich habe immer dafür geworben, dass der Sportausschuss mit der überwiegenden Mehrzahl seiner Sitzungen öffentlich tagt.“

Alle sollten das Geschehen live verfolgen können. „Ich halte das für ein Zeichen von Transparenz und Bürgernähe.“ Ähnlich argumentierten damals Grüne, FDP, Linke und die AfD. Die Grünen und die AfD brachten in der vergangenen Legislaturperiode sogar Anträge auf Änderung der Geschäftsordnung ein – erfolglos. Aber wie wird es der Sport­ausschuss künftig halten? Setzt die SPD, die ja nun mit den Liberalen und den Grünen in Regierungsverantwortung ist, die Freitag’schen Ansichten um?

„Einblick in den sportpolitischen Diskurs“

Vorerst leider nicht. Die Sitzungen bleiben für Journalisten geschlossen, dabei hätte es die Chance zur Öffnung gegeben. André Hahn (Die Linke) beantragte am Mittwoch eine Abstimmung über die Verfahrensrichtlinien, doch eine Mehrheit für öffentliche Sitzungen fand sich nicht. Nur Hahn und die Sportpolitiker der AfD stimmten dafür, alle anderen dagegen.

Hahn kündigt deswegen an: „Ich werde weiterhin für eine entsprechende Änderung streiten. Die Koalition hat angekündigt, die Geschäftsordnung des Bundestags inklusive der Regelungen für die Ausschüsse grundlegend überarbeiten zu wollen. Ob und wann es dazu kommt, ist allerdings völlig ungewiss.“ AfD-Politiker Jörn König findet, es könne „allen Sportlern und vor allem den 27 Millionen DOSB-Mitgliedern nur guttun, wenn der Sportausschuss öffentlich tagt“, so der 54-Jährige.

Frank Ullrich, 63, lässt über einen Mitarbeiter mitteilen, dass er zwar auf die Fragen der taz antworten werde, aber erst, nachdem diese Zeitung selbige auch der sportpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Poschmann, geschickt habe. Das Procedere wäre nicht nötig gewesen, denn die Antworten sind nahezu identisch. Ullrich lässt verkünden, dass die Regierung, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, daran arbeiten wolle, „die Arbeit bestimmter Ausschüsse“ besser öffentlich zugänglich zu machen. Und weiter: „Ich gehe davon aus, dass auch der Sportausschuss viele seiner Themen öffentlich behandeln könnte. Schließlich gibt es in unserem Land sehr viele Sportbegeisterte, die einen tieferen Einblick in den sportpolitischen Diskurs durchaus interessant fänden. Gleiches gilt für die Presse, die unseren Sitzungen dann selbstverständlich auch folgen dürfte.“

Tina Winkl­mann von den Grünen verspricht: „Wir setzen uns dafür ein, dass dies jetzt schnellstmöglich geschieht und die Menschen wieder die Möglichkeit haben, sich direkt ein Bild über aktuelle sportpolitische Themen und Debatten zu machen.“ Die FDP antwortet nicht, und Jens Lehmann (CDU), ein ehemaliger erfolgreicher Bahnradfahrer aus Leipzig, schreibt, er könne sich mehr öffentliche Sitzungen durchaus vorstellen. Aber: „Nichtöffentliche Sitzungen sind sehr gut geeignet, sich vertraulich über Themen auszutauschen. Ein gesunder Mix aus mehr öffentlichen Sitzungen und weiterhin vertraulichen Gesprächen in nichtöffentlichen Sitzungen würde dem Sportausschuss guttun.“

In Zeiten von Corona ist generell der Zugang zu Sitzungen erschwert, nicht nur für Journalisten, auch für Mitglieder des Bundestags, die sich im Plenarsaal und den Sitzungsräumen neuerdings der 2Gplus-Regel unterwerfen müssen. Bis auf Jörn König (AfD), der das für „Schikane“ und „völlig unangemessen“ hält, sowie Jens Lehmann, der eine 3G-Regelung besser fände („Das grenzt niemanden aus und schließt alle ein“), sind alle angefragten Sportpolitiker zufrieden mit dem Ausschluss von ungeimpften Parla­menta­riern. Außerdem gebe es im Sportausschuss ja nun eine „hybride Lösung“. Ungeimpfte können sich per Video zuschalten, eine „digitale Teilnahme“ sei möglich, so Frank Ullrich. Auf den Balkon dürfen sie freilich nicht.

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