Fehlendes Wissen über HIV und AIDS: Am eigenen Bild gescheitert
Der 40. Jahrestag der Krankheit AIDS ist an unserem Autor vorbeigegangen. Und als er sich damit beschäftigt, begegnet er seinen eigenen Vorurteilen.
D ie Krisen fließen ineinander wie zähe Flüssigkeiten, wer schafft es schon, die Feste zu feiern, wie sie fallen? Der 40. Jahrestag der Krankheit AIDS im Dezember ist an mir vorbeigezogen, also gehe ich in eine Ausstellung über vier Jahrzehnte HIV/AIDS, um ihn nachzuholen. Die Ausstellung „L'èpidemie n'est pas finie“ („Die Epidemie ist nicht vorbei“) gibt es noch bis zum 2. Mai im „Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers“ im Hafen von Marseille. Über den dazugehörigen Podcast hat der Kollege Jan Feddersen hier neulich schon geschrieben.
Im ersten Raum haben sie Bildschirme aufgestellt, in denen HIV-positive Menschen aus der Region ihre Geschichte erzählen. Zu sehen sind fast nur cis Frauen um die 50 oder 60. Darüber empfinde ich erst Überraschung, dann Erleichterung und schließlich Scham. Überraschung, weil ich HIV so stark mit schwulen cis Männern und trans Menschen verbinde, dass mir die betroffenen cis Frauen ganz entfallen sind. Erleichterung deshalb, weil ich denke, dass diese netten Damen das Thema für die durchschnittliche Besucher*in sicher zugänglicher machen – so PR-mäßig gedacht – als würde sie von Homos und Trans begrüßt. Und darüber, dass ich so denke, schäme ich mich.
So auf kategorieller Ebene, wird mir klar, entflutscht mir Wissen über die queere Geschichte immer wieder. Es ist da, aber auch verzerrt von Phobien, überlagert von vermeintlichen Normalitäten. Ich muss dazu sagen, dass ich die Generation bin, die auf das Thema HIV/AIDS nicht mehr durch sterbende Bekannte gestoßen wurde, sondern pädagogisch safe durch den „Marienhof“ in der ARD.
Manche in der Queeren Theorie reden gerne davon, dass Wissen in Körper eingeschrieben werde (durch uns alle), und hier zwischen den Bildschirmen wird die Sache für mich greifbar. Geht es um HIV, gucke ich durch cis Frauenkörper hindurch, als wären sie irrelevant. An schwulen und trans Körpern gucke ich aus Scham und Schmerz gezielt vorbei.
Die Ausstellung spielt mit gefühltem Wissen, mit Bildern, Diskursen – vor allem mit deren Brüchen. Ich selbst erinnere nur Kampagnen, die HIV entstigmatisieren und die HIV+ Community von der Assoziation mit dem Monströsen befreien wollten.
In den Achtzigern kämpften einige Aktivist*innen dagegen noch darum, dass die apathische Gesellschaft das Bild des Monströsen, des von der Krankheit gezeichneten Körpers ansehen musste. Bilder von einer der ersten Personen, die sich zu diesem Zweck kurz vor ihrem Tod fotografieren ließen, sind in der Ausstellung zu sehen. Während ich diese Fotos betrachte und mich schon wieder zwischen Ekel und Scham entscheiden muss, bleibt neben mir eine ältere Frau stehen und lacht laut auf. Ich möchte sie gerne erwürgen für diesen Fauxpas oder mindestens zurechtweisen, aber dann fällt mir ein, dass Lachen manchmal eine Reaktion auf Überforderung ist. Ich beiße mir auf die Lippe.
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