Fehlendes Schulessen wegen Corona: „Kraftakt, sich gesund zu ernähren“

Die Schulen sind erneut dicht – und damit bricht vielerorts das Essen weg. Für arme Familien ist das ein zusätzliches Problem. Experten schlagen Alarm.

Mitarbeiterinnen an der Essensausgabe geben ein warmes Mittagessen an Schülerinnen aus

Nordirland: Verteilung von Schulessen an Grundschulen unter Pandemiebedingungen, Archivbild vom September 2020 Foto: Liam Mcburney/dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Der erneute Coronalockdown inklusive der Schulschließung hat die Familie von Susanne Paulus (*Name geändert) hart getroffen: Distanzunterricht, ewiges aufeinander rumsitzen, das alleine ist schon anstrengend. Aber für die Familie aus dem Kreis Altenkirchen in Rheinlandpfalz ist die Situation nun auch ein handfestes materielles Problem: Für Paulus drei Schulkinder fällt mit den geschlossenen Schulen auch das kostenlose Schulessen weg. Das bekommt die Familie mit Hartz-IV-Bezug normalerweise kostenlos aus dem Bildungs- und Teilhabepaket.

„Es sind Mehrkosten von circa 100 bis 200 Euro im Monat, je nachdem was man an Essen macht“, rechnet ein anderer Familienvater aus Sachsen für seine drei Kinder vor. Auch bei ihm ist das Angebot gestrichen worden. Er habe mittlerweile zwar wieder Arbeit. Aber gerade mit Hartz IV wäre es knapp geworden, wenn eines seiner Kinder nicht noch zusätzliche Leistungen bekäme, weil es pflegebedürftig ist, sagt er.

Eigentlich Lieferangebote geplant

Dabei sollte es Fälle gar nicht geben. Schon im letzten Jahr verabschiedete die Bundesregierung das Sozialschutzpaket 2. Das sieht vor, dass Schulen, Kitas und Tagesbetreuungseinrichtungen für Kinder aus armen Familien kostenloses Mittagessen auch im Lockdown zum Mitnehmen oder Ausliefern bereitstellen können. Caterern werden sogar die anfallenden Mehrkosten bezahlt, wenn sie weniger Portionen als sonst kochen oder das Essen ausliefern.

An einigen Orten, wie beispielsweise Leipzig, Potsdam, Oldenburg oder der Stadt Offenbach am Main, haben die Kommunen Abhol- oder Lieferangebote erarbeitet. Mal gibt es Kochboxen, anderenorts Lunchpakete zum Abholen. „Die Leistungen für das Essen werden den Caterern ganz normal weiter aus dem Budget des BuT bezahlt“, sagt Susanne Pfau, die Geschäftsführerin des kommunalen Jobcenters MainArbeit in Offenbach.

Doch trotz der Möglichkeit – vielerorts scheitert es an der Umsetzung, das zeigt eine Recherche der taz. Eltern wie Susanne Paulus aus dem Kreis Altenkirchen, aus Neukölln, Voerde, Mainz, Hannover und dem Landkreis Barnim berichten, dass es bei ihnen vor Ort dieses Angebot nicht gibt. In Berlin hat das Thema sogar den Senat erreicht.

Auf Anfrage bestätigen fast alle genannten Kommunen und Kreise der „taz“ diese Problematik. Essen gibt es wenn nur für Kinder in der Notbetreuung. Das Bezirksamt Neukölln und die Kommune Voerde haben allerdings auch nach einer Woche nicht auf die Nachfrage der taz reagiert. In Berlin belegen jedoch Medienberichte, dass es eine chaotische Situation in der Stadt gibt.

Schelchte Ernährung hat schwerwiegende Folgen

Wie groß das Problem genau ist, ist allerdings schwer zu sagen. Landeseweite oder auch nur kommunale Zahlen dazu sind kaum zu erhalten, zeigt eine stichprobenartige Abfrage der taz. Das Bildungsministerium in Rheinland-Pfalz erklärt beispielsweise, es habe keine Übersicht darüber, weil das Thema in der Zuständigkeit der jeweiligen kommunalen Schulträger liege.

Doch auch dort herrscht nicht immer Klarheit darüber. Die Stadt Hannover erklärt: Das Angebot von Schulmittagessenfrage hänge „von der Entscheidung der jeweiligen Schule ab“. Doch ob und in welchem Maß die Schulen davon Gebrauch machen, sei dem Schulträger nicht bekannt, „da die Schulen dies nicht mitteilen.“ Eine vom Schulträger angebotene Alternative zum Mittagessen für BuT-berechtigte Kinder gebe es nicht.

Bei den Tafeln macht sich die lückenhafte Umsetzung schon bemerkbar: „Uns ist die Problematik mit den wegfallenden Schulmittagessen durchaus bekannt. Das betrifft ja Familien, für die es sonst schon ein Kraftakt ist, sich ausreichend und gesund zu ernähren“, sagt der Vorsitzende der Tafel Deutschland, Jochen Brühl, gegenüber der taz.

Martin Rücker, Geschäftsführer der Verbraucher-Organisation Foodwatch, warnt vor den Folgen gegenüber der taz: „Der Hartz-IV-Regelsatz reicht ohnehin in seiner Höhe nicht für eine gesunde Ernährung. Das hat auch der wissenschaftliche Beirat des Agrarministeriums attestiert.“ Gerade bei Kindern habe eine unzureichende Ernährung fatale Folgen für deren Entwicklung. „Wenn nun also auch Schulessen wegfällt, ist das ein Problem.“

Schulische Essensangebote im Lockdown seien daher begrüßenswert, wenn diese coronakonform angeboten werden könnten. Aber Rücker betont: „Was es vor allem braucht, ist mehr Geld. Zum Beispiel ein 100 Euro Sofortzuschlag auf den Hartz-IV-Satz. Das hätte einen unmittelbaren Effekt für die Lage der Familien.“

Das sieht auch Jochen Brühl so: „Die Krise ist eine enorme Herausforderung für arme Menschen und angesichts von Forderungen wie einer FFP-2-Maskenpflicht ist dieser Zuschlag akut wie nie.“

Die Chancen darauf haben sich am Freitag zumindest etwas verbessert. Hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Frühjahr noch Forderungen nach einem Sofortzuschlag abgelehnt, sagte er am Freitag gegenüber der Rheinischen Post: Es sei richtig, „jetzt zügig einen Zuschuss für Corona bedingte Belastungen zur Verfügung zu stellen“.

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