piwik no script img

Faszinosum Reality-TVWie weit zu weit ist

Eine Show ohne Drama funktioniert nicht. Doch wie viel darf gezeigt werden und wer übernimmt die Verantwortung dafür?

Andrej Mangold (r.) galt in „Sommerhaus der Stars“ als Mobber Foto: TVNow

Was wirklich hinter den Kulissen einer Reality-Show passiert, können Zuschauer:innen nur ahnen. Wir sehen nur einen Teil von dem, was die Kandidat:innen tun – das Gezeigte ist sorgfältig ausgewählt und zusammengeschnitten. Und durch ausgewählte Konstellationen in Spielen oder gezieltes Fragestellen schüren Produzent:innen Konflikte.

Wozu das in Extremfällen führen kann, zeigt die fiktive Serie „UnReal“, die das Leben hinter den Kulissen einer Verkupplungsshow zeigt – inklusive Suizid und Missbrauch. Die Produzent:innen schrecken darin vor keinem Druckmittel zurück, um „gute“ Bilder zu bekommen. Die Serie basiert lose auf den Erfahrungen der ehemaligen „Bachelor“-Produzentin Sarah Getrude Shapiro.

Die Serie mag überzogen sein, doch wer sich durch die verschiedenen deutschen Formate kämpft, kann sich vielleicht danach besser erklären, wie diese „Realität“ entsteht. Hinzu kommt, dass die Kandidat:innen wochenlang abgeschnitten von der Außenwelt leben – meist ohne Handy, Musik, Filme oder Literatur, dafür mit jeder Menge Alkohol. Da wundert es nicht, wie häufig es knallt.

Ohne Streitigkeiten, Eifersucht und Rachegelüste lässt sich nur schwer Spannung und damit Unterhaltung erzeugen. Doch wie viel Drama ist zu viel? Sind diskriminierende Beleidigungen, Mobbing, Gewalt und Belästigung noch Unterhaltung oder schon eine klare Grenzüberschreitung? Für ­Reality-TV ist es ein Spiel, diese Grenzen auszutesten. Für die Zuschauer:innen ist es ein moralisches Dilemma zu entscheiden, was für sie noch in Ordnung geht und was nicht.

Eine nicht zu verteidigende Grenzüberschreitung

Wie weit zu weit ist, lässt sich manchmal ganz einfach beantworten. In der vierten Staffel der US-amerikanischen Produktion „Bachelor in Paradise“ soll eine Teilnehmerin zu betrunken gewesen sein, um einem sexuellen Akt mit einem anderen Kandidaten zuzustimmen. Die Produzent:innen sollen nicht eingeschritten sein. Sexuellen Missbrauch zu billigen für „spannende“ Bilder – eindeutig eine nicht zu verteidigende Grenzüberschreitung.

Nach einer Anzeige kam es zu einem Produktionsstopp und einer internen Untersuchung, die zu dem Schluss kam, dass der Produktion kein Fehlverhalten zuzuweisen sei. Die Szene wurde nicht ausgestrahlt.

Das Geschilderte ist ein Ex­tremfall. Doch auch in deutschen Produktionen geht es manchmal zu weit. 2019 wurde Claudia Obert in der Sat1-Produktion „Promis unter Palmen“ so sehr von ihren Mitstreiter:innen gemobbt, dass sie die Sendung freiwillig verließ. Der ProSiebenSat.1-Vorstand Wolfgang Link sagte danach in einem Interview, dass die Sendung nicht zu weit gegangen sei. Viele widersprachen ihm. Unter anderem der Verein Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen. Dieser hatte nach einer Prüfung entschieden, dass die Folge nicht zur Primetime hätte ausgestrahlt werden dürfen und aus der Mediathek verschwinden muss.

Reality-TV

In zwei Texten widmen wir uns zwei wesentlichen Fragen rund um das Fernsehfaszinosum Reality-TV:

Warum schauen sich Menschen sogenannte Trash-Formate überhaupt an?

Und wie viel Grenzüberschreitung darf gezeigt werden und wer trägt die Verantwortung dafür?

Die aktuelle Staffel „Sommerhaus der Stars“ scheint das noch einmal zu übertrumpfen. Dort wird gespuckt, Frauen werden als „Fotze“ beleidigt und gemobbt. Während vielen Reality-TV-Fans es hier zu weit geht, ist die Sendung bei anderen gerade deswegen so beliebt. Das größte Mobberpärchen, den ehemaligen Bachelor Andrej Mangold und seine Freundin Jenny Lange, ist die Sendung jetzt zwar los. Doch das eigentliche Problem bleibt bestehen.

Wer trägt dafür die Verantwortung, dass „erfolgreiches“ Mobbing, Missbrauch und Beleidigungen im Fernsehen gezeigt werden? Die Kandidat:innen, die Produzent:innen, der Sender? Sie alle – und auch die Zuschauer:innen. Solange die Sendungen weiterhin so erfolgreich sind, werden wohl weitere Grenzen ausgetestet – und überschritten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • 1G
    15451 (Profil gelöscht)

    Dass "Grenzen ausgetestet – und überschritten" werden ist zwar abstoßend, aber längst nicht so gefährlich wie der Fakt, dass sie damit auch verschoben werden! Wundert sich da jemand, das Mobbing zum Volkssport geworden ist und schon in der Grundschule mehr die Regel als die Ausnahme ist?

  • Heißt nicht umsonst auch Fremdschämfernsehen.

  • Meiner Meinung nach haben Menschen, die so etwas produzieren, wenig Skrupel, und die, die das schauen, ein Persönlichkeitsdefizit.



    Aber ich muss gestehen, kein Fachmann für TV und Psychologie zu sein, ist mehr so ein Bauchgefühl.

  • Ich finde es spannend, dass so viele Menschen sich ein langes Leben wünschen und dann ihre Zeit mit den Schaunen solcher Sendungen verbrauchen

  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    Es gibt diese schöne Szene in Terry Gilliams "Time Bandits", in der Napoleon auf einem seiner Feldzüge unzufrieden und gelangweilt in einem Theater sitzt und exerzierenden großgewachsenen Gardesoldaten auf der Bühne zuschaut, als die zeitreisenden Zwerge durch ein Zeitloch genau auf dieselbe fallen, dort sofort in Streit geraten und sich prügeln. Napoleon ist begeistert und quittiert den Auftritt mit "kleine Figuren die sich schlagen - DAS find ich schön" (sinngemäß). Ich glaub das sagt alles über diese Reality-Formate. Das ist wie bei meiner lieben übergewichtigen Großmutter (möge sie in Frieden ruhen), die unterwegs immer jemanden fand über den sie sagen konnte: "Na! hinter dem/der könnte ich mich aber auch verstecken!" Wir sind wohl so. Und es ist schön, dass es abseits dieses Trashs auch gelegentlich gut ausgedachte und inszenierte Unterhaltung gibt.