Familienführungskrise in Hamburg: Wer wird der nächste Chefboss der Familie sein?
Nach dem Tod des Vaters bahnt sich ein Konflikt an. Es geht um die Frage nach dem neuen Familienoberhaupt.
F ast wäre es schon eskaliert, bevor wir überhaupt losgefahren sind. Weil das Nesthäkchen partout nicht ins Cabaret will, schlägt es einen Escape-Room vor. „Ohne mich!“, schreibe ich theatralisch in die Whatsapp-Gruppe und rufe danach bei unserer mittleren Schwester an, um mich über die jüngere zu beschweren. „Und was sagt eigentlich unser Bruder zu alldem?“, frage ich empört.
Kurzum: Bei uns ist mal wieder was los, dabei haben wir Kinder unserer Mutter doch nur ein gemeinsames Wochenende in Hamburg geschenkt. Und das sogar ganz ohne Partner*innen, Hunde und Nachwuchs. Man will sich ja auch mal wieder in Ruhe unterhalten können.
Als wir das letzte Mal in dieser Konstellation unterwegs waren, lebte mein Vater noch. Zu seinem Sechzigsten hatten wir ihn mit Musicaltickets für „Das Wunder von Bern“ überrascht. Während er drei Stunden lang durchklatschte, hatte ich viel Zeit, darüber nachzudenken, ob ich bei meiner Geburt nicht vielleicht doch vertauscht worden bin.
Der Ouzo von Lidl, den wir danach alle zusammen im Hotelzimmer tranken, machte es nicht viel besser. Den hatte er in einer Kühlbox von zu Hause mitgebracht, damit man nach der Vorstellung nicht auch noch in eine Bar musste.
Seit seinem Tod besteht nun aber leider Uneinigkeit darüber, wer in seine Fußstapfen tritt und „La Familia“ übernimmt. Meine Mutter will den Job nicht machen, denn dann müsste sie ja auch Weihnachten ausrichten. Die Zwillinge könnten als Sandwichkinder ein klein wenig zu soft dafür sein. Also bleiben im Prinzip nur das Nesthäkchen und ich, die Erstgeborene, die zwar gerne die Bestimmerin ist, aber nur, wenn es ihr gerade in den Kram passt.
Jagdwurst, Zigarre und Genderstern
Doch auch jenseits der Führungsfrage ist es für uns Geschwister mit den Jahren komplizierter geworden, auf einen gemeinsamen Zweig zu kommen. Unsere Leben haben sich auseinanderentwickelt, und tun es noch. Auf dem Land, wo ein Teil von uns wohnt, sind andere Themen wichtig als in der Stadt. Potenzielle Aufreger gibt es auf beiden Seiten. Ich sag nur: Jagdwurst, Zigarre und Genderstern, ohne da jetzt näher drauf eingehen zu wollen.
Um wenigstens bei der Übernachtung Tatsachen im Sinne von uns beiden Wahlgroßstädterinnen zu schaffen, suchen die mittlere Schwester und ich noch schnell das schönste Airbnb-Zimmer für uns aus. Und als die Dorfies eine Stunde später immer noch nicht in Hamburg sind, machen wir mit den Tatsachen einfach weiter. Offiziell, weil wir vermeiden wollen, dass dann schon alles reserviert ist, inoffiziell, weil wir so auch ein bisschen das machen können, was uns gefällt.
Ich buche für die gesamte Familie einen Slot in einer Surrealismusausstellung, M. reserviert einen Tisch beim Koksitaliener, weil es da immer so lustig sein soll. Davon bekommen wir aber leider nichts mit. Weil es einem Teil der Familie drinnen zu laut ist, bleiben wir auch dann noch draußen sitzen, als es einigen von uns in den Nacken regnet.
Ich stopfe mir gerade eine Nudel in den Mund, da erzählt mir das Nesthäkchen, dass es darüber nachdenke, wie unser verstorbener Vater in die Politik zu gehen. 1:0 für sie, denke ich. Als wir am nächsten Tag die Treppe der U-Bahn hochlaufen, landen wir mitten auf dem CSD. „Das hast du extra gemacht“, sagt sie. Ich verteile Regenbogensticker an alle, damit sie die auf ihre Handtaschen kleben können. Später massiere ich dem Nesthäkchen den Nacken. Vielleicht wäre ja auch eine Doppelspitze denkbar.
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