Falsche Bilder vom Sterben: Der Joint am Abend
Was wir alle brauchen, um einen guten Tod zu haben, sind Spezialisten für Lebensqualität. Und Überraschung: Im Hospiz gibt es sie.
N eulich sagte der Palliativmediziner Prof. Sven Gottschling im Interview, dass die meisten Leute sich unter einem Hospiz ein schwarzes Haus ohne Fenster vorstellen, das man nur verlässt, wenn man ein Zettelchen am Fuß hat. Ich dachte, er übertreibt. Letzte Woche habe ich dann einen Film gesehen, in dem ein junger Mann ins Hospiz kam – und musste meine Meinung revidieren. Das Haus hatte zwar Fenster, aber durch die kam sehr wenig Licht. Und die Wände waren tatsächlich schwarz gestrichen. Vielleicht anthrazit.
Macht aber nichts, weil der junge Mann kaum mehr bei Bewusstsein war, als er dorthin kam, und am nächsten Morgen war er auch schon tot. Ein Freund des Verstorbenen, der zu spät kam, um sich noch einmal zu verabschieden, wurde von einer Nonne in einen weiß gekachelten Raum geführt, wo sie salbungsvoll ein Tuch über dem Toten zurückschlug.
Manchmal vergesse ich wirklich, dass es solche medial vermittelten Bilder sind, die in unserer Gesellschaft herumgeistern. Sie sind nicht nur falsch, sie verhindern auch Aufklärung – darüber, was Sterben wirklich bedeutet. Und welche Möglichkeiten es heutzutage gibt. Todkranke sind in unterschiedlicher körperlicher Verfassung. Nicht jeder, der ins Hospiz kommt, stirbt am nächsten Tag. Es stirbt sich nicht schneller im Hospiz, aber definitiv besser.
Ich arbeite ehrenamtlich für einen ambulanten Hospizdienst. Das heißt, wir begleiten Schwerstkranke, die zu Hause sterben, manchmal auch im Pflegeheim oder im Krankenhaus. Stationäre Hospize habe ich einige gesehen, aber keins von ihnen hatte schwarze Wände. Im Gegenteil. Im Neuköllner Ricam Hospiz stand ich mal auf einer Dachterrasse mit Blick über Berlin, die einem Luxushotel alle Ehre gemacht hätte.
Der Hund am Fußende des Bettes
Weiß gekachelte Wände, zurückgeschlagene Tücher? Fehlanzeige. Und ob Sie’s glauben oder nicht: Im Hospiz arbeiten ganz normale Menschen. Sie sind das Beste, was Ihnen am Lebensende passieren kann. Sie sind nämlich keine Spezialisten für den Tod. Sie sind, wie Prof. Gottschling so schön sagte, Spezialisten für Lebensqualität.
Sie hören Ihnen zu. Lindern Schmerzen und Symptome. Halten Ihre überforderten Angehörigen in Schach und nehmen Ihnen schwierige Gespräche ab. Sie machen fast alles möglich, um Ihnen gute Momente in den letzten Wochen Ihres Lebens zu bescheren. Sie bringen Sie an den einen Ort, den sie noch mal sehen wollen vor Ihrem Tod. Lassen Ihnen Ihren Joint am Abend. Machen kleine Eiswürfel aus Ihrem liebsten Riesling, wenn Sie alleine nicht mehr trinken können. Lassen Ihre engsten Freund*innen im Zimmer campieren und Ihren Hund am Fußende des Bettes schlafen. Sie bleiben da, wenn es schwer wird, halten Unaushaltbares mit Ihnen aus.
Dass wir sterben, können wir nicht verhindern. Aber wir können entscheiden, wie wir sterben wollen. Dafür müssen wir uns informieren – und uns von den Bildern im Fernsehen nicht abschrecken lassen.
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