Klinikclown über seine Arbeit: „Ich bin ein Gefühlsteiler“

Klinikclown Andreas Bentrup findet, dass nicht das Lachen das Wichtigste ist. Sondern die Fähigkeit, die Gefühle der Menschen zu spiegeln.

Eine Bewohnerin des Seniorenheims Haus am Mariengrund Brandenburg an der Havel schwingt mit Tanja Selmer vom Potsdamer Verein „Lachen hilft“ bei deren Auftritt als Klinikclown „Tiffy“ mit den Armen.

Neue Perspektiven schaffen: Auftritt von Klinikclown „Tiffy“ in einem Seniorenheim in Brandenburg Foto: dpa/Christoph Soeder

taz: Herr Bentrup, was bedeutet Humor für Sie?

Andreas Bentrup: Humor und Lachen kommen gleich nach Atmen und Schlafen. Wenn ich morgens aufwache, lache ich meist erst mal sinnentleert.

Warum?

Weil mein Gehirn sonst Quatsch denkt. Ich habe verschiedene Glaubenssätze aus meiner Kindheit. Die sind hartnäckig und denken morgens beim Aufwachen negative Dinge wie: „Du musst noch“, „Du musst mal mehr“, „Gestern hast du schon wieder nicht“ und „Streng dich mal ein bisschen an“. Aber in dem Moment, wo ich grinse, fängt mein Gehirn an, damit aufzuhören, negativ zu denken.

Inwiefern hilft uns Humor während der Pandemie?

Entwicklungsbiologisch haben wir drei Möglichkeiten, mit herausfordernden Situationen umzugehen. Wir können verrückt werden, uns tot zu stellen, oder drüber lachen. Humor ist auf jeden Fall das Gesündeste.

Inwiefern?

Wenn wir über Humor sprechen, meine ich nicht nur das Lachen, sondern vor allem den Perspektivwechsel (wie die Pointe bei einem Witz): Wie gelingt es mir, einen Blick auf eine Herausforderung zu gewinnen, der mich in eine lösungsorientiertere Haltung bringt? Humor erleichtert diesen Prozess.

Wie genau machen Sie das, als Klinik- und Hospizclown?

Zunächst bin ich ein Gefühlsteiler. Wenn ich in der Klinik bin, im Seniorenzentrum, im Hospiz oder überall da, wo Menschen mit besonderen Herausforderungen leben, dann gilt es zunächst, die Situation so zu nehmen, wie sie ist. Wenn ich dir in einer bestimmten Emotion begegne, werde ich zunächst deine Körpersprache spiegeln, um dir zu zeigen: „Ich nehme dich ernst. Du darfst hier so sein, wie du bist.“ Erst danach lade ich dich dazu ein, eine neue Perspektive zu gewinnen.

Ein Beispiel?

Wenn du ein vierjähriger Junge bist, der gerade einen Autounfall hatte, werde ich zum Beispiel fragen: „Sag mal, wie geht’s jetzt dem Auto? Ist das kaputt oder tut’s dem weh? Kümmert sich irgendjemand darum?“ In dem Moment wirst du abgelenkt von deinem eigenen Schmerz und ihn nicht mehr so sehr empfinden. Das nennt man provokative Intervention.

49, leitet das Projekt „Theaterpädagogik im interkulturellen Dialog“ in Hildesheim.

Und wie machen Sie das im ­Seniorenheim?

Ich mache erst mal eine Rahmung. Ich werde sozialer Gastgeber sein, um deine Emotionen einzubetten und sie dann zu verwandeln. Im Seniorenzentrum gibt es manchmal Bewohner, die nur schimpfen. Die sitzen im Foyer und sagen: „Alles scheiße hier. Pflegerinnen scheiße, alles scheiße.“ Dann setze ich mich neben sie und mache mit – hemmungslos: „Was für ’nen Pissdreck hier.“ Ich steigere das Ganze noch, damit sie sich ernst genommen fühlen.

Wie reagierten diese Menschen?

Wenn ich sie später wiedertreffe, sind sie entspannt, weil sie einen Moment lang jemanden hatten, der mitmachte, statt zu sagen: „Das kannst du doch nicht machen! So schlimm ist es doch gar nicht.“ Aber wenn ich sage: „Es ist doch gar nicht so schlimm“, nehme ich dein Gefühl nicht ernst. Wenn ich dagegen sage: „Sie sind hier ganz allein, niemand hat Zeit für Sie und das ärgert Sie, das verstehe ich.“ Dann sage ich vielleicht: „Ich habe etwas Zeit für sie. Haben Sie Lust auf Musik? Mir fällt gerade ein Lied ein: Du, du liegst mir am Herzen …“ Dann verändert sich die Situation. Aber der Grundeinstig ist, dass ich die Menschen ernst nehmen muss.

Welche Rolle spielen Ihre eigenen Gefühle?

Ich bin auch als Clown zu 100 Prozent Andreas. Als Schauspieler habe ich aber gelernt, meine Gefühle schnell abzurufen. Wenn du also Angst hast, und ich gehe mit dir in eine ängstliche Haltung, wirst du auch meiner Angst begegnen. Das ist wichtig. Sonst würdest du spüren, dass ich nicht authentisch bin. Dann würdest du dich verschaukelt fühlen, was nicht mein Ziel ist.

Sondern?

Ich möchte mich nicht über Menschen lustig machen, sondern ihre Gefühle teilen. Das Ziel ist nicht unbedingt zu lachen, sondern zu wissen: Alle Gefühle sind gut, wenn sie angemessen im sozialen Kontext geäußert werden können. Dazu haben Menschen oft nicht die Chance. Wenn ein Gefühl aber nicht geäußert wird, verstärkt es sich von selbst. Ich helfe, diese Blockaden zu lösen.

Funktioniert das trotz der Kontaktbeschränkungen der Pandemie?

Die Kontaktbeschränkungen bedeuten natürlich viel Abstand und eine zusätzliche Maske, den Mundschutz. Clow­n:­in­nen in Kinderkliniken lösen das, indem sie hautfarbene Mundschutze mit aufgemaltem Lächeln tragen und eine Schaumstoffnase obendrauf. Viele Kliniken haben aber auch gesagt, wir müssten draußen bleiben.

Wie haben Sie das gelöst?

Oft gibt es die Möglichkeit, über die Fluchttreppen auf die Balkone vor den Zimmern zu kommen. 80 Prozent der zwischenmenschlichen Kommunikation sind Körpersprache. Also brauche ich nicht unbedingt gehört zu werden. Gute Klinikclowns reden ohnehin nicht viel. Außerdem sind Klinikclowns meist zu zweit. Wir können unsere Clownswelt also auch aus der Ferne vorführen. Du darfst dann erst mal zugucken. Das ist vor allem bei kleinen Kindern gut, die oft scheu und zurückhaltend sind durch die Situation der Klinik oder des Schmerzes.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.