Fallzahlen steigen, Impftempo sinkt: Corona-Sorgen wachsen wieder
De Infektionszahlen steigen exponentiell, die Zahl der Impfungen geht deutlich zurück. Das RKI warnt vor erneut vollen Intensivstationen im Winter.
![In einem Impfzelt beim Open-Air-Festival "Kulturinsel Wöhrmühle" in Erlangen verabreicht eine Mitarbeiterin des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) einem Mann eine Corona-Schutzimpfung In einem Impfzelt beim Open-Air-Festival "Kulturinsel Wöhrmühle" in Erlangen verabreicht eine Mitarbeiterin des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) einem Mann eine Corona-Schutzimpfung](https://taz.de/picture/4994593/14/27874988-1.jpeg)
Angesichts schnell steigender Corona-Infektionen und deutlich sinkender Impfzahlen wächst in der Politik die Sorge, dass eine neue Coronawelle im Herbst erneut schlimme Folgen haben könnte. „Die Infektionszahlen steigen seit einigen Tagen wieder, und zwar mit einer deutlichen und, wie ich finde, auch besorgniserregenden Dynamik“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag bei ihrer traditionellen Sommer-Pressekonferenz erklärt. Und hinzugefügt: „Die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, ist und bleibt Richtschnur unseres Handelns.“
Empfohlener externer Inhalt
Derzeit liegt die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen im 7-Tage-Mittel mit gut 1.500 zwar noch auf einem niedrigen Niveau, doch seit dem Tiefstand vor drei Wochen hat sich der Wert fast verdreifacht. Zuletzt betrug die wöchentliche Wachstumsrate etwa 50 Prozent, was einer Verdopplung der Werte innerhalb von zwölf Tagen entspricht. Wenn es bei diesem Wachstumstempo bliebe, würde die 7-Tage-Inzidenz, die derzeit bei 13 liegt, in fünf Wochen wieder den Wert von 100 übersteigen und in neun Wochen bei 500 liegen.
Gleichzeitig ändert sich aber die Aussagekraft der Inzidenz, weil die Gruppen mit dem höchsten Risiko – Menschen, die älter als 60 sind oder Vorerkrankungen haben – bereits zu einem Großteil vollständig geimpft sind. Dadurch sinkt sowohl das Risiko, sich mit Corona zu infizieren, als auch die Gefahr schwerer oder tödlicher Verläufe, falls es dennoch zu einer Infektion kommt. Doch die Hoffnung, durch eine hohe Impfquote einen Anstieg bei der Zahl der Intensivpatienten und Toten komplett zu verhindern, wird sich voraussichtlich nicht erfüllen.
Das zeigen Zahlen aus Großbritannien, wo der Anstieg der Infektionszahlen schon deutlich früher begann. Nachdem sich diese im Juni innerhalb eines Monats versechsfacht hatten, steigen trotz hoher Impfquote dort nun auch die anderen Werte – auf niedrigem Niveau, aber ebenfalls schnell: Die Zahl der Coronapatient*innen in Krankenhäusern hat sich innerhalb eines Monats verdreifacht, die der Coronatoten vervierfacht.
Empfohlener externer Inhalt
In Deutschland, wo die Infektionszahlen erst seit zwei Wochen steigen, ist bei den Corona-Intensivpatient*innen und -Toten noch kein Anstieg zu sehen, aber eine deutliche Verlangsamung des bisherigen Rückgangs hin zu einer Stagnation. Dabei dürfte es aber nicht bleiben, wie neue Berechnungen des Robert Koch-Instituts (hier als pdf) zeigen: Falls die Kontaktzahl nicht verringert wird und bei den 12- bis 59-Jährigen nur eine Impfquote von 75 Prozent erreicht wird, könnte die Zahl der gleichzeitig behandelten Corona-Intensivpatient*innen im Dezember wieder auf 6.000 steigen, was etwa dem Höchststand bei der dritten Welle entspräche, berichtete das RKI am Donnerstag. Bei reduzierten Kontakten und einer Impfquote von 95 Prozent könnte sie dagegen unter 1.000 bleiben.
Dass eine solche Impfquote erreicht wird, scheint aber praktisch ausgeschlossen; selbst die 75 Prozent, die lange als Untergrenze galten, sind derzeit fraglich. Denn bisher sind von den Menschen zwischen 18 und 59 erst 61 Prozent mindestens einmal geimpft, bei den 12- bis 17-Jährigen sind es knapp 18 Prozent. Zugleich lässt das Impftempo stark nach: In der vergangenen Woche fanden in Deutschland nur noch 3,4 Millionen Impfungen gegen Corona statt, obwohl allein von Biontech und Moderna über 4,6 Millionen Dosen geliefert wurden und es zudem größere Reserven aus den Vorwochen gibt.
Eindringlicher Appell fürs Impfen
Vielerorts sind Impfungen darum inzwischen ohne Termin möglich. Niedrigschwellige Angebote an öffentlichen Plätzen sollen in den nächsten Wochen deutlich ausgeweitet werden. Merkel warb bei ihrer Sommer-Pressekonferenz noch einmal eindringlich fürs Impfen. „Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein“, sagte die Kanzlerin. An alle, die bereits geimpft sind, appellierte sie, Freunde, Verwandte und Kolleg*innen davon zu überzeugen.
Doch Impfen allein wird nicht reichen, resümiert das Robert Koch-Institut in seinem jüngsten Szenariopapier. Masken, Abstand und Lüften blieben aufgrund der steigenden Zahlen wichtig; Schüler*innen sollten künftig zudem mit den zuverlässigeren PCR-Tests getestet werden. Ein erneuter Lockdown kommt in den Überlegungen dagegen bisher nicht vor.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?