Fall Abdullohi Shamsiddin: Abschiebung vor dem Beweis
Weil das Gericht ihm nicht glaubt, wird ein Flüchtling nach Tadschikistan zurückgezwungen. Ein DNA-Test, der seine Aussagen bestätigt, kommt zu spät.
Von Istanbul aus solle Shamsiddin am Abend weiter in Richtung der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe transportiert werden, erklärte die Dortmunder Fotografin Cornelia Suhan, Kopf eines Unterstützer:innen-Netzwerks.
Und dort drohen Shamsiddin jahrzehntelange Haft und Folter. Denn er ist nicht nur Mitglied der ehemals größten Oppositionspartei IRPT, die vom Regime des autokratischen Präsidenten Emomalij Rahmon 2015 verboten wurde. Auch erwartet ihn Sippenhaft: Sein Vater Shamsiddin Saidov, der als anerkannter Flüchtling in Aachen lebt, gilt als hochrangiger Kader der nichtextremen „Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans“. Deren Funktionäre wurden im Staatsfernsehen nicht nur mit deutlichen Spuren von Misshandlungen vorgeführt. Ihnen droht auch jahrzehntelange Haft.
Trotzdem hat am 6. Januar ein Einzelrichter des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen Shamsiddins dritten Asylantrag abgelehnt. Begründet wurde dies nicht nur mit einer falschen Identität, mit der Shamsiddin – nach eigenen Angaben aus Furcht vor Verfolgung durch das tadschikische Regime auch in Deutschland – bis 2022 in Dortmund gelebt hat. Das Gericht bezweifelte zudem, dass er überhaupt der Sohn des als Flüchtling anerkannten oppositionellen IRPT-Kaders Shamsiddin Saidov ist.
„Nicht fair und rechtsstaatlich problematisch“
Ein DNA-Test, der dies beweist, wurde von den Behörden nicht abgewartet. Besonders bitter: Das Ergebnis erreichte die Unterstützer:innen am Mittwochmittag. Zwar ergab die Laboruntersuchung „eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit größer als 99,9999 Prozent“ – doch Abdullohi Shamsiddin saß da schon eine Stunde im Abschiebeflieger.
„Das Ergebnis des DNA-Tests hätte auf jeden Fall abgewartet werden müssen“, kritisiert deshalb nicht nur Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW: Das dritte, in nur 48 Stunden abgeschlossene Asylverfahren sei „nicht fair und rechtsstaatlich problematisch“ abgelaufen. „Das Gericht muss die laufende Abschiebung sofort stoppen“, forderte auch die Unterstützerin Cornelia Suhan am Mittwochnachmittag.
„Abdullohi muss sofort eine neue, faire Chance bekommen“, sagte sie. Bis zur Landung des Abschiebeflugs in Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe, bis zur Übergabe Shamsiddins in die Hände des Folter-Regimes blieben da noch 10 Stunden Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül