Fake News aus Schorndorf: Chronik eines Shitstorms
An den Randalen beim Volksfest in Schorndorf seien vor allem Ausländer schuld, meldete letzte Woche die Polizei. Es wurde gehetzt. Dann kamen die Fakten.
Es ist Sonntag, der dritte Tag des Schorndorfer Volksfestes „SchoWo“, als das zuständige Polizeipräsidium Aalen um 16.24 Uhr meldet: Im Schlosspark von Schorndorf hätten sich in der Nacht zum Samstag zwischen 20 Uhr und 3 Uhr bis zu 1.000 Jugendliche versammelt, „die meisten wohl mit Migrationshintergrund“. Es sei zu Flaschenwürfen gekommen.
Ein Tatverdächtiger habe sich der Festnahme widersetzt, zahlreiche Personen hätten sich solidarisiert und Festnahmen verhindert. Die Polizei habe deshalb ihre Schutzausrüstung anlegen müssen. Danach seien Gruppen von 30 bis 50 Menschen durch die Innenstadt gezogen. Laut Zeugenaussagen seien sie mit Messern bewaffnet gewesen, es sei ein Schuss „vermutlich mit einer Schreckschuss-Waffe“ abgegeben worden.
Außerdem berichtet die Polizei an den vergangenen beiden Festtagen von vier Fällen von „sexueller Belästigung“ – ein Iraker und drei Afghanen seien tatverdächtig. Die drei Afghanen hätten eine Frau festgehalten und am Gesäß begrapscht.
Chatverläufe, Likes sammeln und Selfie-Sticks: Das Smartphone wird zehn. Die taz.am wochenende vom 22./23. Juli zeigt, wie sich durch Wischen und Snappen die Welt von Kindern und Jugendlichen verändert hat. Außerdem: Ein Gespräch mit Barbaros Şansal, türkischer Modedesigner und Aktivst über die First Lady Emine Erdoğan und Fäkalsprache. Und ein Selbsttest: fleischloses Wurstvergnügen zur Grillsaison. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Als Schorndorfs Oberbürgermeister Matthias Klopfer die Meldung liest, sagt er zu seinen Mitarbeitern: „Damit kommen wir in die ‚Tagesschau‘.“ Am nächsten Tag führt das 40.000-Einwohner-Städtchen östlich von Stuttgart die Twitterhitliste an, der Hashtag #Schorndorf erreicht 44 Millionen User. Die New York Times berichtet über „Sexual Harassment in southwestern Germany“.
Und 48 Stunden später scheint alles wieder vorbei zu sein. Dienstagmittag in Schorndorf: Während an den Festbuden auf dem Marktplatz die ersten Biere gezapft werden, packen die Kamerateams ein. Die Nacht zuvor ist ruhig verlaufen, keine Spur von Zusammenrottungen junger Menschen oder marodierender Flüchtlinge. Nur im Netz tobt der Meinungsmob noch: „Das ist ein kleiner Jihad auf Polizei und Bevölkerung“ twittert „1zu1_Gedanken“. „Schwabennabel“ schreibt: „Merkels verwirrte Gäste metzeln, meucheln und wollen fickificki“.
„Das ist Fake News“
Direkt hinter dem Marktplatz trifft sich das Koordinierungsteam des Volksfests in einem alten Fachwerkhaus. An einem Restauranttisch sitzen ehrenamtliche Helfer, die in khakifarbenen Westen und mit Sprechfunk von morgens bis abends über das Stadtfest patrouillieren und für Ordnung sorgen. Einsatzleiter Jürgen Dobler ist ein umtriebiger Mann, eigentlich keiner, dem man so schnell die Laune verderben kann. Er hat lange beim Radio gearbeitet und betreibt eine Kommunikationsagentur in der Stadt, ist Kirchengemeinderat und einer der Gründer der örtlichen Flüchtlingshilfe. Dobler sagt: „Was über die Nacht auf der Schlosswiese berichtet wird, hat so nicht stattgefunden. Für mich ist das Fake News.“
Sie haben hier einen Ruf zu verteidigen. Bisher habe die SchoWo als eines der sichersten Volksfeste der Region gegolten, sagt Dobler. Etwa wegen des Schnapsverbots auf dem gesamten Fest und der engen Zusammenarbeit mit der Polizei. „Die war immer Teil der SchoWo“, sagt er, so wie all die Vereine im Ort, die das Fest seit fast dreißig Jahren organisieren. Geändert habe sich das erst mit dem Ruhestand gleich zweier leitender Beamter bei der örtlichen Polizeidienststelle.
Der neue Einsatzleiter im Revier Schorndorf war zuvor Referent beim baden-württembergischen Innenministerium, er brachte sein eigenes Sicherheitskonzept mit, wollte es den Festorganisatoren überstülpen. So erzählt es der Koordinationskreis. Der Mann hatte sich in Schorndorf als Experte für Großeinsätze vorgestellt. Nach dem Wochenende sind sich die versammelten Vereinsvorsitzenden da nicht mehr so sicher.
Schorndorf ist nicht München
Den Jugendtreff auf der Schlosswiese während der Festtage habe es schon immer gegeben, sagt Dobler. „Da können die Jungen rauchen, trinken und aus sicherer Entfernung die Alten verachten“. So war es auch am Samstag wieder. Aber war es eine gute Idee, die Jugendlichen bis 1 Uhr hier Alkohol trinken zu lassen, statt wie sonst gegen 23 Uhr ihre Flaschen einzusammeln? Wie konnte bei der Polizei von „Gewaltexzessen“ die Rede sein, wenn in den Rettungszelten des Roten Kreuzes auf dem Fest keine entsprechend Verletzten angekommen waren?
Und dann die Pressemitteilung. Dobler, der Kommunikationsberater, zeigt auf seinem Handy die mit roten Ausrufezeichen versehene Facebook-Meldung der Polizei Aalen. Darunter versammeln sich schnell fremdenfeindliche Kommentare, auch von Polizeibeamten.
Wenn man über gute Polizeikommunikation redet, wird seit dem Amoklauf von München die Pressearbeit der bayerischen Beamten gelobt. Nur berichten, was an gesicherten Informationen vorlag, war damals die Strategie des dafür mit Preisen bedachten Pressesprechers Marcus da Gloria Martins. Schorndorf ist nicht München, aber randalierende Jugendliche am Rande eines Volksfestes sind auch kein Amoklauf. Sicher ist: Die Pressearbeit des Aalener Polizeipräsidiums an diesem Wochenende war nicht preisverdächtig. Es sind vor allem diese vagen Formulierungen, „wohl,“, „Migrationshintergrund“ und die offene Frage, wie viele der tausend Jugendlichen nun wirklich an der Randale beteiligt waren, die für Verwirrung sorgen.
Völlig entkoppelt
Doch der wohl entscheidende Fehler steckt ausgerechnet in einer Meldung der dpa. Der Landesdienst meldet um 16.53 Uhr: „In der Nacht zum Sonntag versammelten sich laut Polizei 1000 junge Leute im Schlosspark der Stadt und randalierten.“ Daraus entsteht eine digitale stille Post: Aus den tausend Jugendlichen wird ein Flüchtlingsmob, aus Gapschereien und Belästigungen, die am anderen Ende des Festgeländes stattgefunden haben, werden Vergewaltigungen und Bilder von der Kölner Silvesternacht.
Irgendwann rufen im Rathaus besorgte Eltern aus der Partnerstadt Tuscaloosa im US-Staat Alabama an. Ihre Kinder sind in Schorndorf zum Austausch. Man solle sie nicht mehr auf das Fest gehen lassen.
„Natürlich ist jeder sexuelle Übergriff auf einem Volksfest einer zu viel, natürlich muss die Polizei das Gewaltmonopol behalten.“ Matthias Klopfer, der Oberbürgermeister, hat diese Sätze in dieser Woche oft wiederholt. Dazu auch den riskanten Satz, dass es sicher noch mehr Vorfälle gegeben habe, die nicht angezeigt wurden. Nur: Auf welchem Volksfest kommt es nicht zu Gewalt und Grapschereien? Und wer glaubt, dass es solche Vorfälle ohne Flüchtlinge nicht geben würde?
Klopfer sitzt in seinem klimatisierten Büro mit Blick auf den Marktplatz. Auf der Hauptbühne vor seinem Fenster singt gerade eine Frau in gemustertem Kleid Lieder von Vico Torriani zum Halbplayback. Aber eigentlich sitzt der Rathauschef hier seit Samstag in einem schalltoten Raum. Fakten, die man vor Ort rekonstruieren könnte, haben sich völlig von dem entkoppelt, was im Netz und im politischen Raum los ist.
„Uns kommt jetzt keiner zu Hilfe“
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der seit einer Weile das Thema kriminelle Flüchtlinge für sich entdeckt hat, schreibt schon am Sonntagabend auf Facebook: „Mir völlig unbekannte Gewalt und Übergriffe bei einem an sich friedlichen Fest. Und wieder sehr junge Asylbewerber mitten drin.“ Ausgerechnet der Kollege Palmer, stöhnt Klopfer. Der sitzt nur ein paar Kilometer weiter in seinem Rathaus, er ist in der Nähe aufgewachsen, Klopfer ist mit dem Grünen per Du. „Der hätte wenigstens anrufen und sich erst mal informieren können.“
Auch Innenminister Thomas Strobl hat nichts von sich hören lassen. Der CDU-Mann macht stattdessen im Innenausschuss des Landtags schale Wortwitze über den Schorndorfer OB: Der habe wohl „einen Klopfer“, hat Strobl gesagt. „Wir brauchen von Lokalpolitikern keine Belehrungen.“
Matthias Klopfer ist nicht empfindlich, er kennt das Geschäft, schließlich hat er bis 2006 als politischer Geschäftsführer für die SPD-Landtagsfraktion gearbeitet. Er weiß: „Uns kommt jetzt keiner zu Hilfe, weil man da nur verlieren kann.“ Und so schaut er nur zu, wie bundesweit AfD-Politiker, aber auch der CDU-Mann Jens Spahn, Schorndorf zum Spielball des heraufziehenden Wahlkampfs machen.
„Marodierende Horden“
Die Äußerungen sind gemacht, lange bevor das Polizeipräsidium Aalen am Mittwochabend Fakten nachliefert: 53 Straftaten gab es während der fünf SchoWo-Tage. Neun Anzeigen wegen sexueller Übergriffe. Gegen zwei Verdächtige mit Flüchtlingsstatus wird deswegen ermittelt, die anderen Täter sind unbekannt. Der Auslöser der Randale am Stadtschloss waren nach dem Polizeibericht „deutsche Jugendliche“, die von einer Gruppe Jugendlicher, „mehrheitlich mit Migrationshintergrund“, unterstützt worden seien. Festnahmen gab es auf der Schlosswiese nicht.
Die bewaffneten Gruppen, die durch das nächtliche Schorndorf gezogen sein sollen, bleiben ein Phantom, die Polizei hat darüber keine weiteren Erkenntnisse. Der Sachschaden, vor allem an Polizeieinsatzwagen, beträgt insgesamt 2.400 Euro. Die dpa entschuldigt sich und zieht ihre Meldung zurück.
Am Donnerstag präsentiert OB Klopfer zusammen mit dem Polizeipräsidenten die Faktenlage auf einer Pressekonferenz und stellt sich kritischen Fragen. Dem Livestream der örtlichen Zeitung folgen 31 Leute.
Am selben Tag postet AfD-Parteichef Jörg Meuthen seine Landtagsrede zu Schorndorf. Er wettert gegen den „Chaosstaat“ und „marodierende Horden“. Er spricht vom „Krawallwochenende von Schorndorf“. Meuthens Rede wird bei Facebook 99.000-mal geklickt. 2.200 Facebook-Freunden „gefällt das“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“