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Fahrräder als HandwerkskunstHerzstück aus Stahl

Rennräder aus Karbon sind im Trend. Marek Parajka baut trotzdem Stahlrahmen. Die haben Charakter und sind nachhaltiger als industrielle Massenware.

2.400 Euro kostet ein Rahmenset aus der slowakischen Manufaktur – mindestens Foto: Stefan Schauhuber

Hradište pod Vrátnom taz | Fingernagelklein sind ein Herz und die Ziffern 071 in den Stahl eingraviert. Sie liegen ganz unten an dem Stück Rohr, ums das sich am Fahrrad später Kurbel und Pedale drehen werden. Ein Detail nur, niemand außer dem zukünftigen Besitzer wird es je bemerken. Trotzdem hat Marek Paraj­ka es dort eingraviert.

Parajka baut Fahrradrahmen aus Stahl. Passgenau und nach den Wünschen seiner Kundinnen und Kunden fertigt er sie in seiner Werkstatt in einem 700-Einwohner-Dorf im Nordwesten der Slowakei an. Unter der niedrigen Decke zwischen den alten Holzbalken hängen Laufräder, Schutzbleche und Rahmen. An den Wänden Erinnerungsfotos und bunte Bilder. Zwischen Werkzeug, Teilen einer Schaltung und Stahlmuffen steht Parajka. Die schwarzen Brillengläser schützend vor den Augen, führt er die spitze Flamme seines Schweißbrenners über glänzende Stahlrohre.

An diesem Sommertag lötet und feilt er wieder an Nummer 71, weil er bei diesem Rahmen vor Monaten einen Fehler gemacht hat. Damals hat er dann lieber gleich Nummer 72 neu gebaut hat, als die Ungenauigkeiten auszubessern. Die Makel­losigkeit des Rahmens war ihm wichtiger als die Mehrstunden. Nummer 71 musste warten.

78 Rahmen hat Parajka gebaut, in 13 Jahren. Wenn die Auftragslage passt, verlässt rund ein Premium­fahrrad im Monat die Arko-Bici-Werkstatt. In den Fahrrad­fabriken in Ostasien, wo die großen Hersteller Karbonfasern zu High-Tech-Rahmen verweben, spucken Maschinen diese Menge in wenigen Minuten aus. Branchenriese Gaint etwa produziert in Taiwan in einem Werk allein eine Million Fahrräder pro Jahr.

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Parajka braucht Zeit für seine Arbeit. Nur so kann er auf Kleinigkeiten achten und Räder mit Charakter bauen. Seine Kunst erkennt man an den Schweißnähten des Rahmens – oder vielmehr an ihrer Unsichtbarkeit. Parajka lässt den Rahmen aussehen, als wäre er aus dünnwandigen Stahlrohren gewachsen. Makellos fließende Übergänge, stahlglatte Kurven. Löten, Bürsten, Polieren. Löten, Bürsten, Polieren. Immer noch feiner, noch eleganter, müsse es sein, sagt Parajka.

Jahre habe er gebraucht, um das Handwerk zu beherrschen. Dabei habe er sich alles selbst beigebracht, mit Büchern französischer Rahmenbauer und Youtube-Videos US-amerikanischer Koryphäen. Heute bekommt Parajka Komplimente von den Besten der Zunft, renommierte Rohrhersteller brüsten sich mit seiner Arbeit. Hinter ihm liegt ein weiter Weg, seine ersten Rahmen seien nicht zu gebrauchen gewesen, sagt er. „Jeder Rahmen hat mich etwas gelehrt. Es ist eine ständige Praxis, ein permanenter Lernprozess.“

Völlig unverständlich ist für den leidenschaftlichen Radfahrer, warum Rad-Aficionados tausende Euro für ein Kohlefaser-Bike von der Stange bezahlen, in denen kaum Handarbeit und wenig Liebe zum Detail steckt. Abgesehen davon, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken schlecht bezahlt und die Produktion wenig nachhaltig seien. Für Karbonrahmen werden dünne Fasern aus reinem Kohlenstoff mit Harzen zu Verbundwerkstoff verklebt. Dadurch können sie nicht recycelt werden, fehlerhafte Rahmen landen einfach im Müll.

Trotz seiner Skepsis ging Paraj­ka im Vorjahr zu einem bekannten Hersteller von Karbonrahmen, der als einer von wenigen noch in Europa fertigen lässt. Parajka hoffte auf ein sicheres Einkommen und darauf, dort vielleicht sogar für ein bisschen mehr Nachhaltigkeit sorgen zu können. Es klappte nicht. Nach wenigen Monaten hat Parajka wieder gekündigt. Es habe einfach nicht gepasst. Die Leute dort hätten keinen Bezug zum Radfahren, sagt er. Aus den großen Hallen wechselte er also wieder zurück in die eigene Werkstatt – von den Karbonfasern zurück zu den Stahlrohren.

Jeder Rahmen hat mich etwas gelehrt. Es ist eine ständige Praxis, ein permanenter Lernprozess

Handgefertigte Fahrradrahmen aus Stahlrohren, wie man sie bei Parajka bestellen kann, waren bis in die 1970er Jahre der Standard. Heute spielen sie auf dem Gesamtmarkt keine Rolle, dominant sind dort weiterhin Aluminium- und eben noch leichtere und flexibler gestaltbare Karbonrahmen. Auch wenn Stahlrahmen in den vergangenen Jahren bei Liebhaberinnen und Liebhabern wieder mehr Anklang finden, werden diese meist genauso als Massenware in Ostasien produziert. Dabei schneidet der Werkstoff Stahl in Sachen Nachhaltigkeit am besten ab, auch wenn die Herstellung ressourcen- und energieintensiv bleibt. Stahl oder auch Aluminium kann man recyceln, Karbon kann man bestenfalls reparieren. Was länger hält, ist nachhaltiger – das zeigen Studien und das ist auch Parajkas Credo.

Anfang Juli war er auf der Euro­bike, Europas größter Fahrradmesse. In Frankfurt zeigten die großen Hersteller wieder noch leichtere, noch windschlüpfrigere Räder. Dazu mehr und mehr E-Bikes. Zum ersten Mal gab es auch Raum für kleine Handwerker. Für Parajka ist das eine Chance, seine Arbeit zu zeigen – und gleichzeitig ein großer Kostenpunkt.

Parajkas Rahmen sind zwar nachhaltig und mit viel Liebe zum Detail geformt. Sie zu verkaufen und Wertschätzung für seine Kunstform zu erhalten, ist aber gar nicht einfach. Sein Geschäft lief dieses Jahr so schlecht wie nie, nur fünf Rahmen habe er verkauft. Erstmals habe seine Frau die Rechnungen zahlen müssen. Trotz oder gerade wegen der knappen Kasse beschloss er dann doch nach Deutschland zu fahren. Er baute zwei besondere Räder und zimmerte einen Prä­sen­tations­stand. Es sei an der Zeit, aktiver zu sein, die eigene Arbeit mehr zu präsentieren und sich mit ­anderen Handwerkern zusammenzutun.

Parajka ist kein Marketing-Mann, das weiß er selbst. Statt Werbung zu machen, schraubt er lieber in der Werkstatt. Während er teilweise monatelang an einem Wunschrad werkt, schreibt und telefoniert er laufend mit den Kundinnen und Kunden aus ganz Europa und Übersee. Oft tüftelt er abends noch in der Werkstatt, während seine Frau und seine kleine Tochter im Stock über der Werkstatt längst schlafen. Von der ersten E-Mail bis zur Übergabe des fertigen Fahrrads macht Paraj­ka alles selbst. Nach dem Löten, Feilen und Schleifen auch das Lackieren. Dann wählt er edle Komponenten aus und montiert Schaltung, ­Bremsen und Laufräder. 2.400 Euro kostet eines seiner Rahmensets, mindestens. Das sei deutlich weniger als bei vielen Kollegen aus Deutschland, aber er sei hier schließlich auch in der Slowakei, sagt Parajka.

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Bevor er sich ganz dem Rahmenbau widmete, arbeitete Parajka in Irland in der IT-Branche. Bis dann im Jahr 2007 Fahrradkuriere aus der ganzen Welt zu den Weltmeisterschaften in Dublin zusammenkamen, mit ihren Botenrädern, jedes ein Einzelstück, zusammengebaut für täglichen Einsatz auf den ­Straßen. Parajka bemerkte, dass viele der Räder um neue Stahl­rahmen zusammengebaut sind. Handgemachte Rahmen schienen wieder gefragt zu sein. So bekam die Idee, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen, den nötigen Rückenwind. Er ging zurück in die Slowakei und widmete sich ganz dem Zweirad.

Die Begeisterung fürs Fahrrad war bei Parajka schon früh da. Die wichtigsten Handgriffe habe ihn sein Vater gelehrt, der als Spengler und Lackierer arbeitete. Als Teenager habe er dem Vater dabei geholfen, Autos auf das Lackieren vorzubereiten. Und wenn Farbe übrig blieb, dann habe er damit selbst Fahrräder lackiert, sagt Parajka. Noch heute verwendet er das Werkzeug seines Vaters. Überhaupt: Das Handwerk liege ihm im Blut. Der eine Großvater sei Metallarbeiter gewesen, der andere Schmied.

Liebe zum Detail: Rahmen 71 aus der Produktion von Marek Parajka Foto: Stefan Schauhuber

Mit dem Reparieren und Restaurieren alter Rennräder hat das alles bei Parajka begonnen. Hunderten alten Stahlrennern habe er neues Leben eingehaucht, bis er den ersten eigenen Rahmen und das erste vollständige Fahrrad gebaut hat. Zehntausende Euro hat er seither in die kleine Werkstatt gesteckt. Jetzt finde man hier jedes Werkzeug, sagt er stolz. Also, sofern es die Tochter nicht stibitzt und zum Spielen mit in den Garten nimmt. Als er anfing, sei er noch allein gewesen, ohne Familie. Deshalb habe er immer weitermachen können.„Wäre ich damals schon Vater gewesen, hätte ich es vielleicht anders gemacht“, sagt Parajka.

Auch er spürt den Druck, der auf der ganzen Fahrradbranche liegt. Nach dem Coronaboom sind die Lager jetzt voll und die Nachfrage gering. Trotzdem will er weitermachen mit dem Handwerk. Geduldig sein, dranbleiben, weiterlernen. „Du musst einfach kämpfen dafür, beharrlich bleiben“, sagt Parajka. „Was soll ich sagen, ich liebe Fahrräder einfach.“

Auf der Eurobike konnte Paraj­ka eines der zur Schau gestellten Räder verkaufen, wenn auch zum Vorzugspreis. Das habe seine Kosten gedeckt und es sei sogar noch etwas übrig geblieben. Im Oktober ist er dann nach Dresden gereist, um sein Handwerk zu zeigen. Auf der „Bespoked Handmade Bike Show“ in Dresden, der Fahrradmesse schlechthin für Custom-Rahmenbau-Kultur, bekommt eines von Mareks Rädern die Auszeichnung zum „Best City/Utility Bicycle“. Das Herzstück des Fahrrads: ein glänzendweißer Stahlrahmen mit türkisfunkelnden Feinheiten.

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