Fahren ohne Fahrschein: Kein Grund für den Knast
In Bremerhaven verzichtet man darauf, das Fahren ohne Ticket anzuzeigen. Nun soll auch in Bremen niemand mehr deswegen ins Gefängnis.
Darauf berufen sich Verkehrsunternehmen. Die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) hat nun bekannt gegeben, auf Strafanzeigen in Zukunft verzichten zu wollen – weil fast nur Menschen wegen Fahrens ohne Ticket ins Gefängnis müssen, die die Geldstrafen nicht zahlen können und sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen absitzen, in der Regel wenige Tage bis Wochen.
„Wir prüfen das aufgrund der aktuellen politischen Diskussion“, sagte Jens-Christian Meyer, Pressesprecher der BSAG, jetzt der taz. Vorausgegangen war eine Forderung der Grünen-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft an die BSAG, nach dem Vorbild Bremerhavens auf Strafanzeigen zu verzichten. Denn wer regelmäßig ohne Ticket unterwegs ist und dann versäumt, das erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro zu zahlen, oder gar nicht erst die Post mit den Mahnschreiben öffnet, handle selten planvoll, so die Grünen. Freiheitsstrafen verfehlten daher ihre abschreckende Wirkung.
„Wir reden über Personen, die in schwierigen Lebenssituationen stecken und mit vielen Problemen von Sucht über psychische Erkrankungen bis zu Verschuldung zu kämpfen haben“, sagte Ralph Saxe, verkehrspolitischer Sprecher der Bremer Grünen-Fraktion.
2021 mussten 65 Menschen ohne Ticket in Bremen ins Gefängnis
Deshalb sei er fassungslos gewesen, als der Bremer Senat Anfang Juni mitgeteilt hatte, im vergangenen Jahr hätten 65 Personen in der Justizvollzugsanstalt eine Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund wiederholten Fahrens ohne Ticket absitzen müssen. Mit Ausnahme von sechs Fällen betraf dies Menschen, die in Fahrzeugen der BSAG ohne Fahrschein erwischt worden waren.
Dabei unternimmt das Land Bremen einiges, um die Anzahl derjenigen zu reduzieren, die aufgrund von Bagatelldelikten – etwa Ladendiebstahl – inhaftiert sind. So gibt es mit der BSAG eine Einigung über ein vergünstigtes Ticket für die von Saxe benannte Gruppe zum Preis von monatlich 25 Euro. 58 Personen hat die BSAG derzeit auf dieser Liste, sie selbst zahlen nur 10,50 Euro für das Ticket, den Rest übernimmt der Staat. Für den ist dies wesentlich günstiger als ein Haftplatz, der in Bremen 130 Euro am Tag kostet.
Aus Kostengründen stellen auch die Bremerhavener Verkehrsbetriebe bereits seit zehn Jahren keine Strafanzeigen mehr. „Der Aufwand, den wir allein betreiben müssen, um Adressen herauszufinden, steht in keinem Verhältnis zum finanziellen Nutzen“, sagt Hans-Jürgen Jahnke, Prokurist bei Bremerhaven Bus. Er findet aber, dass die Situation nicht mit der in Großstädten vergleichbar sei. Zum einen sei in der Seestadt alles fußläufig erreichbar, zum anderen fahren nur Busse. Dort müssen alle – sobald die Pandemie vorüber ist – wieder vorne einsteigen und ihr Ticket vorzeigen. In Straßenbahnen und U-Bahnen geht dies nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“