Fachkräfte-Mangel in Hamburger Kitas: Bei Rot gibt’s keine Kita
Kita-Beschäftigte klagen, dass sie die Bildungsempfehlungen nicht mehr umsetzen können. Ver.di fordert Ampeln, die den Personalstand vor Ort offenlegen.
„In solchen Notfallplänen könnte man ganz klar festlegen, ab welcher Krankenzahl Öffnungszeiten eingeschränkt werden“, erläutert Netzwerk-Sprecherin Alexandra Balthasar. Theoretisch sei die Grundversorgung mit Personal in Hamburgs Kitas gar nicht so schlecht. „Das Problem ist die Realität“, sagt Balthasar. Die meisten Kitas könnten nicht alle Stellen besetzen. Hinzu kämen Ausfälle durch Krankheit, Urlaub, Fortbildung, Schwangerschaft und Langzeitkranke. „Es gibt schon Kitas, die ganz schließen, weil sie kein Personal haben.“
Die Idee solcher Notfallpläne kommt von Ver.di. „In vielen Einrichtungen steht das Personalbarometer auf Sturm“, sagt Ver.di-Gewerkschaftssekretär Michael Stock. Der Kita-Fachkräftemangel werde „von kaum jemandem mehr bestritten“. Darum hat die Gewerkschaft eine Art Ampel mit fünf Stufen entwickelt. Mit Farben von Grün und Grüngelb über Gelb und Orange bis zu Rot sollen Eltern einer Kita schon am Eingang über die aktuelle Personallage informiert werden. Grün bedeutet, dass alle da sind und das pädagogische Angebot nach Konzept stattfindet. Bei Rot ist so wenig Personal da, dass die Kita schließt. In den Farben dazwischen gibt es stufenweise Einschränkungen.
„Das Thema Leistungseinschränkungen wird uns weiter begleiten. Wir denken, dass ein offener Umgang damit sinnvoll ist“, sagt Stock. Die Notfallpläne sollten am besten in den Kitas mit den Beschäftigten vereinbart werden. Auch die Eltern gehörten informiert. Bei einigen Trägern gebe es diese Pläne schon, bei vielen aber auch nicht.
Kitas sollen weg vom Konkurrenz-Denken
Das Kita-Netzwerk und Ver.di Hamburg fordern deshalb von Politik und Behörde, dass alle Träger verpflichtet werden, diese einzuführen. Man müsse davon wegkommen, sagt Balthasar, dass Kitas aus einem Konkurrenzgedanken heraus die Einrichtung offen lassen. In Hamburg werden solche Dinge in einer „Vertragskommission“ zwischen Sozialbehörde und Sozialverbänden vereinbart.
In der Behörde ist man schon im Bilde. „Die Forderung zur Einführung von Notfallplänen wird von uns geprüft“, sagt Sprecherin Stefanie Lambernd. Hamburg brauche in der Tat ständig neue Kita-Fachkräfte. Bis 2026 rechne man wegen der wachsenden Stadt mit einem Mehrbedarf von 200 Fachkräften im Jahr. Hinzu kämen jährlich 300 bis 500 Fachkräfte, die etwa wegen Renteneintritt ersetzt werden müssten. Die Stadt habe schon früh die Ausbildungszahl erhöht. Aufgrund der Statistiken gehe man nicht von einem „expliziten Fachkräftemangel“ bei Kitas aus. Gleichwohl nehme auch die Sozialbehörde eine starke Belastung der Kita-Mitarbeitenden wahr. Zu den Gründen zählten auch die Folgen „aktueller Krisen“. Man rede mit allen Beteiligten, um „Maßnahmen zu erarbeiten“.
Die Landeselternvertretung der Kitas (LEA) fände so eine Kita-Personal-Ampel gut. „Wir sind dafür, das es transparent wird, wenn keine frühkindliche Bildung stattfindet“, sagt LEA-Vorständlerin Ellen Pietzarka. Zugleich befänden sich die Eltern im Zwiespalt. „Es wäre schlimm, wenn die Ampel auf Rot steht und sie ihr Kind nicht abgeben können. Das darf nicht passieren.“
Skepsis äußern größere Sozialverbände. „Die letzten drei Jahre waren eine enorme Belastung für die Kita-Teams“, sagt etwa Beatrix Wildenauer-Schubert vom Paritätischen Hamburg. Gerade im Dezember und Januar seien sehr viele krank gewesen. Notfallpläne könnten ein Schritt sein, um mehr Sicherheit im Austausch mit Eltern zu schaffen, sie wären aber „nicht für alle Kitas gleichermaßen praktikabel“.
Zudem gebe es bereits seit Corona eine mit der Behörde abgestimmte „gute Praxis“, bei schlechter Personallage „individuelle Lösungen“ zu finden, so Wildenauer-Schubert. Das könnten eine Kürzung von Randzeiten, temporäre Gruppenzusammenlegungen oder, falls nötig, eine befristete Schließung von Gruppen oder kleinen Kitas sein. Die gut 350 Kitas des Paritätischen gingen mit solchen Notfällen „sehr verantwortungsvoll“ um.
„Die Personallage ist sehr eng“, sagt auch die Kita-Referentin der Diakonie Hamburg, Mirjam Nadolny. Auch die evangelischen Kita-Träger machten sich deshalb über Notfallpläne Gedanken oder müssten sie bereits umsetzten. Vorgaben der Politik, solche Notfallpläne bei allen Trägern verpflichtend einzuführen, sehe die Diakonie aber skeptisch, da dies zu „Überregulierung“ führen könne. Wichtiger sei, dass die angespannte Personallage in den Kitas „von der Sozialbehörde als solche anerkannt und auch gegenüber den Eltern benannt wird“.
Auch beim Alternativen Wohlfahrtsverband „Soal“ kennt man Kitas, die seit Ende letzten Jahres auf solche Notfallpläne zurück greifen. Damit werde eine Transparenz erreicht und „bestenfalls auch ein Bewusstsein darüber, was an pädagogischer Arbeit überhaupt noch leistbar ist“, sagt Soal-Refrentin Maike Wesseln. Der Fachkräftemangel werde sich perspektisch noch verstärken, vermutet Wesseln: „Deshalb braucht es solche Lösungen, um die frühkindliche Bildung und Begleitung der Kinder zu sichern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin