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Fachkräfte-Mangel in HamburgStadt Hamburg findet keine Arbeitskräfte mehr

In Hamburgs Jugendbehörde wurden deswegen bereits Arbeitsgruppen zur Erziehungshilfe eingestellt. Wohlfahrtsverband Soal fordert Abhilfe.

Wegen Personalmangels in Schieflage: der Kinder- und Jugendnotdienst in Hamburg-Alsterdorf Foto: Hanno Bode/Imago

In Hamburgs Behörden sind gerade viele Stellen unbesetzt. Das hat eine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion ergeben. Knapp 5.000 von rund 60.000 Stellen sind vakant. Doch dies führt im Bereich der Jugendhilfe jetzt zum Stillstand der Arbeit, darauf weist der Alternative Wohlfahrtsverband „Soal“ hin. Das Referat Jugendhilfe sei „dünn besetzt“, einzelne Arbeitsgruppen sogar „bis auf Weiteres“ ausgesetzt. „So können wir nicht arbeiten!“, schreibt der Dachverband, dem über 200 Einrichtungen aus Bereichen wie Kitas, Jugendarbeit und Hilfen zur Erziehung angeschlossen sind.

Der Vorgang ist auch deshalb bedeutsam, weil dieses Referat als Teil des „Amts für Familie“ gerade erst von der Zuständigkeit der Sozialbehörde in die der nunmehr noch größeren Schulbehörde gewechselt ist. Laut jener Kleinen Anfrage, die der CDU-Abgeordnete Stefan Bereuter gestellt hat, sind allein in der Behörde für Schule, Familie und Berufsbildung 1.380 Stellen nicht besetzt. Darunter dürften zwar viele Lehrerstellen sein, aber es sind auch hoch dotierte Stellen vakant. Und es gibt insgesamt mehr Beschäftigte in der Altersgruppe über 60 Jahre, die also demnächst aus dem Beruf ausscheiden.

Dem Soal geht es bei seinem Hilfsappell konkret um zwei Arbeitsgruppen der sogenannten „Vertragskommission“ der Hilfen zur Erziehung, in denen die Behörde gemeinsam mit den Trägerverbänden und den Hamburger Bezirken über Inhalte, Qualität und Bezahlung verhandelt. „Uns wurde letzte Woche gesagt, diese Arbeitsgruppen sind bis auf Weiteres ausgesetzt“, sagt Soal-Jugendhilfereferentin Janne Kiehl. Der Grund seien unbesetzte Stellen wegen des Fachkräftemangels im sozialen Bereich. Es fehlten Sozialpädagogen, Sozialarbeiter und Erziehungswissenschaftler.

Der Hamburger Senat müsste dringend Maßnahmen ergreifen, um die behördliche Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen, fordert die Soal-Referentin. „Weitere Terminabsagen aus personellen Gründen können nicht mehr hingenommen werden“. Jener Stillstand wirke sich auch auf die praktische Arbeit der Jugendhilfe aus, denn die Träger seien auf die Finanzierung ihrer Leistungen angewiesen. „Leidtragende sind vor allem die Kinder und ihre Familien“, schreibt Soal. Erfolge auf „bekannte Bedarfslagen“ keine Reaktion aus der Behörde, führe dies „schlimmstenfalls zu einer Gefährdung des Kindeswohls“.

Zu wenig Plätze, nicht bedarfsgerecht

Den Handlungsbedarf gebe es zum Beispiel im stationären Bereich, also bei den Wohngruppen. „Es gibt zu wenig Plätze und sie sind nicht unbedingt bedarfsgerecht“, sagt Kiehl. Es gebe auch inhaltliche Themen zu besprechen. „Ein aktuelles Beispiel ist die Auswirkung der Kriege in der Welt auf Kinder und Jugendlichen. Wir müssen als Jugendhilfe in der Praxis auch auf so etwas reagieren.“

Das Recht auf Förderung der Kinder durch die Jugendhilfe sei in der UN-Kinderrechtskonvention verankert, ergänzt Soal-Jugendhilfereferentin Sandra Tiemann. Deutschland habe die Pflicht, alle erforderlichen Maßnahmen zur Verwirklichung dieser Rechte zu treffen. Das zeitliche Aussetzen von inhaltlicher Arbeit der Behörde führe zu einer „nicht hinnehmbaren Blockade“ der praktischen Tätigkeit der Träger der Kinder- und Jugendhilfe, folgert der Verband. „Dies muss sofort beendet werden“.

Aber die Personalnot scheint sich zu verschärfen. So hat der CDU-Abgeordnete Stefan Bereuter errechnet, dass in Hamburg über acht Prozent der Stellen unbesetzt sind und findet neben der Lücke der Schulbehörde von 1.380 Stellen auch jene der Innenbehörde mit rund 940 Stellen und der Bezirke mit knapp über 760 Stellen bemerkenswert.

Im Vergleich zum Jahresbeginn ist die Zahl der offenen Stellen nochmals gestiegen

Stefan Bereuter, CDU-Fraktion

„Im Vergleich zum Jahresbeginn ist die Zahl der offenen Stellen nochmals gestiegen“, sagt der Oppositions-Abgeordnete Bereuter. Dabei leisteten die Beschäftigten dort „tagtäglich wertvolle Arbeit für alle in unserer Stadt“. Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, müsse Rot-Grün den Beschäftigten Wertschätzung entgegenbringen, sagt er. „Die bevorstehenden Tarifverhandlungen im Dezember werden zeigen, wie ernst es dem Senat ist.“

Die Schulbehörde dementiert auf taz-Anfrage zwar nicht explizit, dass jene Arbeitsgruppen ausgesetzt sind, erklärt aber: „Die Behauptungen aus der Pressemitteilung sind falsch.“ Die temporäre Fluktuation in einzelnen Arbeitsbereichen der Behörde führe keinesfalls dazu, dass der Bereich Jugendhilfe nicht angemessen handlungsfähig wäre, schreibt Sprecherin Claudia Pittelkow.

Besagte Vertragskommission der Hilfen zur Erziehung sei weiterhin handlungs- und beschlussfähig, „ihre Sitzungen finden im mit allen Beteiligten abgestimmten Turnus statt“. Auch sei die Finanzierung benötigter Angebote, anders als in der Pressemitteilung behauptet wird, „zu keiner Zeit gefährdet“. Träger hätten weiterhin die uneingeschränkte Möglichkeit, ihre Angebote weiterzuentwickeln und neue Leistungsvereinbarungen mit der Behörde zu schließen.

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