Facebook und die Meinungsfreiheit: Eine Kneipe ist kein Marktplatz
Sind Online-Netzwerke privat oder quasi-öffentlich? Davon hängt ab, ob auf staatlich verbriefte Rechte wie Meinungsfreiheit geachtet werden muss.
Facebook und andere soziale Medien sollen gegen Hass im Netz vorgehen, gegen Gewalt- und Todesdrohungen, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus. Dieser alten Forderung wollte der ehemalige Justiz-, jetzt Außenminister Heiko Maas 2017 mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gerecht werden. Es regelt, dass soziale Netzwerke Inhalte, die nicht mit den deutschen Gesetzen konform gehen, tilgen müssen.
Zufrieden sind viele mit diesem Gesetz nicht; Facebook nicht, weil es nicht reguliert werden will. Und viele Nutzer*innen nicht, weil sie ihre Meinungsfreiheit beschnitten sehen. Denn der Konzern beseitigt längst nicht nur Hate Speech – auch satirische oder dokumentierende Beiträge werden immer wieder mit Verweis auf die deutsche Rechtslage gelöscht.
Große Aufregung herrschte etwa, weil Facebook Posts löschte, die einen Beitrag der Satire-Website Der Postillon teilten. Oder auch das Video, das den antisemitischen Übergriff auf das Berliner Restaurant Feinberg zeigte. „Overblocking“ nennt man das auch, lieber einmal zu viel gelöscht als einmal zu wenig, um auf der sicheren Seite zu sein – denn bei Verstoß gegen das NetzDG drohen hohe Geldstrafen von mehreren Millionen Euro. Aber darf der Konzern das? Oder haben Nutzer*innen einen Anspruch darauf, dass Facebook ihre Meinung mit der Welt teilt?
Diesen Standpunkt zumindest vertreten viele Nutzer*innen. Von „Zensur“ ist die Rede. Von einer Missachtung der Meinungsfreiheit. Man könnte es aber auch so sehen: Facebook ist ein rein privates Unternehmen. Als solches darf es selbst entscheiden, welche Inhalte es bevorzugen und welche es vernachlässigen will. So, wie auch jede Kneipenbesitzerin das Hausrecht über ihre Räume hat. Und somit selbst entscheidet, ob sie einen Gast, der sich danebenbenimmt – aber nichts Strafbares tut –, rauswirft oder ob er sein Bier weitertrinken darf. Es geht um die Frage: Ist Facebook diese Kneipe – oder doch eher der Marktplatz oder ein anderer öffentlicher Raum?
Alles läuft über Facebook
Tatsächlich ist Facebook inzwischen so groß, so mächtig, so umfassend, dass das Leben vieler Menschen durch die Plattform strukturiert wird. Leute schicken Nachrichten über den Messenger, statt SMS zu schreiben, planen ihre Freizeit, nutzen das Netzwerk für Arbeitskontakte und vieles mehr. Inzwischen kann man über Facebook sogar telefonieren. Vieles passiert öffentlich, und selbst Posts, die nur für Freund*innen sichtbar sind, erreichen meist mehrere hundert Menschen – mindestens. Wer hat Geburtstag, welche Veranstaltung findet wann wo statt, was steht in der Zeitung. Sogar Politik wird in den sozialen Medien gemacht: Politikerinnen posten etwas, Medien zitieren diese Aussagen und posten ihre Texte wiederum auf Facebook. Wer nicht mitmacht, kann auch nicht mithalten.
„Man kann Facebook wegen seiner Dominanz und marktbeherrschenden Stellung nicht behandeln wie ein herkömmliches privatwirtschaftliches Unternehmen“, findet Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. „Bei einem sozialen Netzwerk mit 30 Millionen aktiven Nutzern allein in Deutschland ist es nicht so wie beim Autokauf, wo man sich ganz einfach zwischen den Modellen verschiedener Hersteller entscheiden kann“, sagt sie. „Die Frage ist: Will ich sozial vernetzt sein?“ Wer sich gegen Facebook entscheide, sei damit aus gesellschaftlich sehr relevanten Bereichen ausgeschlossen. Und da wird es interessant.
In Deutschland ist es der Staat, der unmittelbar verpflichtet ist, Grundrechte wie etwa die Meinungsfreiheit nicht nur zu wahren, sondern sie auch aktiv zu schützen. Private Personen oder Unternehmen sind nicht verpflichtet, auf ihrem Gelände etwa Demonstrationen zu gestatten. Doch durch seine Macht stellt auch das private Unternehmen Facebook inzwischen in gewisser Weise grundlegende Infrastruktur zur Verfügung. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg selbst betont immer wieder, die „Mission“ des Netzwerks sei es, „die Welt zu verbinden“.
Der Schutz der Kommunikation
Warum das bedeutsam sein könnte, zeigt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011. Damals hatten die Richter*innen entschieden, dass das Demonstrationsrecht auch dann noch an Bahnhöfen und Flughäfen gilt, nachdem diese (teil-)privatisiert wurden. Geklagt hatte eine Aktivistin, die am Frankfurter Flughafen gegen Abschiebungen demonstriert und deswegen Hausverbot bekommen hatte. Das verstoße gegen das Versammlungsrecht sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung, entschied das Gericht in Karlsruhe. Als mehrheitlich von der öffentlichen Hand beherrschtes Unternehmen sei die Fraport AG genau wie eine Behörde unmittelbar an die Grundrechte gebunden.
Nun ist Facebook nicht mehrheitlich von der öffentlichen Hand beherrscht und war nie staatlich. Doch in einem Absatz des Urteils heißt es überraschenderweise, dass die Grundrechtsbindung privater Unternehmen der Grundrechtsbindung des Staates je nach Fall „nahe oder auch gleich kommen“ könne. „Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die – wie die Sicherstellung der Post- und Telekommunikationsdienstleistungen – früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsfürsorge zugewiesen waren.“ Inwieweit das für „private Unternehmen gilt, die einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte der allgemeinen Kommunikation schaffen“, bedurfte zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keiner Entscheidung.
„Die Ausführungen des Gerichts sind vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung sozialer Netzwerke als allgemeine Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen zu verstehen“, sagt Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund. Zusammen mit einem Kollegen ist er 2017 in einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass der Entwurf des NetzDGs verfassungsrechtliche Probleme aufweist, insbesondere mit Blick auf die Meinungsfreiheit. „Diese Netzwerke privatwirtschaftlicher Unternehmen werden damit anderen Netzen gleichgestellt, die zunächst in staatlicher Hand waren und dann privatisiert wurden – wie etwa die Telekommunikation oder die Post.“
Grundsatzentscheidung steht noch aus
Bisher gibt es nur diesen „deutlichen verfassungsrechtlichen Wink mit dem Zaunpfahl“, wie Gostomzyk sagt. Ob es in absehbarer Zeit eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts geben wird, die auch Facebook einschließen würde, ist fraglich. Dazu müsste ein solcher Fall erst einmal den Karlsruher Richter*innen zur Entscheidung vorgelegt werden, etwa als Verfassungsbeschwerde von Facebook gegen das NetzDG. „Ein Gesetz darf uns nicht zwingen, unverhältnismäßig in die Grundrechte von Nutzern des sozialen Netzwerks einzugreifen“ – so könnte die Argumentation des Konzerns für eine Klage lauten.
Dass Facebook diesen Schritt gehen wird, sei aber derzeit unwahrscheinlich, sagt Gostomzyk: „Das soziale Netzwerk scheint sich eher zu arrangieren. Darauf deutet zumindest die Umsetzung des Gesetzes hin, verbunden mit der Werbung um Vertrauen durch eine kostspielige Imagekampagne.“
Eines sollte man bei der Diskussion für oder wider Meinungsfreiheit auf Facebook nicht vergessen: Von diesem Grundrecht sind nicht nur Satire oder progressive Meinungen gedeckt. Falls die Plattform der Meinungsfreiheit verpflichtet ist, heißt das auch, dass rechte Stimmen ihre Inhalte ohne Einschränkung durch eine Netiquette oder AGB verbreiten dürfen – wenn sie nicht den Rahmen des rechtlich Zulässigen übertreten. Björn Höckes Dresdner Hetzrede zum Berliner Holocaustmahnmal etwa – Sie erinnern sich, „Denkmal der Schande“ und die Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ – erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung in den Augen der Staatsanwaltschaft nicht und dürfte bleiben.
Erst vergangene Woche gab das Landgericht Berlin einem Nutzer Recht, der eine einstweilige Verfügung gegen die Löschung eines Kommentars und die Sperrung seines Facebookkontos beantragt hatte – ein juristischer Präzedenzfall in Deutschland. „Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über ‚Facharbeiter‘, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt“, hatte der User einen Artikel der Basler Zeitung über Viktor Orbán kommentiert, Facebook hatte den Post mit Verweis auf die Gemeinschaftsstandards gelöscht. Der Post bedient rechtspopulistische und gegen Geflüchtete gerichtete Stereotype. Die Argumentation des Anwalts: Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das Gericht begründete seine Entscheidung nicht.
Rechte Trolle haben in den sozialen Medien längst ein aggressives Klima geschaffen. Dies ist einer der Punkte, an denen Kritik an Facebook immer wieder ansetzt und das Netzwerk zum Handeln aufruft. Allein: Soll Facebook einerseits der Meinungsfreiheit verpflichtet sein, hat es auf der anderen Seite bei solchen Aussagen wenig Spielraum. „Das so etwas dann auch stehen bleibt, finde ich richtig – so doof ich die Äußerungen auch finde“, sagt die Linken-Politikerin Domscheit-Berg. „Aber meine Gegenrede dazu darf dann eben auch stehen bleiben.“
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