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Facebook und DatenschutzKrone der Abschöpfung

Wer im Netz sucht und einkauft, hinterlässt Spuren. Seit letzter Woche kann man sich bei Facebook die Datenspur anzeigen lassen.

Big Data is watching you Foto: Future Image/imago

Der Takt der gespeicherten Ruderschläge, die wir im Netz tun, hat eine prosaische Signatur: eine ID-Nummer, ein Ereignis, Datum und Uhrzeit. 747592325393282, View Content, 12. September 2019 um 11.53 Uhr. In Verbindung mit dem konkreten Angebot der Seiten, die sie erheben, zusammen mit Positionsdaten und allen anderen Informationen, derer Facebook habhaft werden kann, entsteht so ein Bild des Weges, den wir gehen.

View Content: 12. September 2019 um 11.59 Uhr. Kurzfristig ein Bahnticket in Georgien zu kaufen, kann ein Albtraum sein. Der Nachtzug zwischen der Schwarzmeermetropole Batumi und der Hauptstadt Tbilissi ist Tage, wenn nicht Wochen im Voraus weitestgehend ausgebucht. Spontaner Zustieg ist unmöglich. Die Frau am Schalter spricht sehr gut Russisch. Ihr Bemühen, mein Radebrechen zu verstehen, ist relativ fruchtlos. Als Jason mit seinen Argonauten vor tausenden Jahren auf der Suche nach dem goldenen Vlies auf dem Rioni-Fluss durch diese kolchische Ebene zog, hatte er immerhin ein eigenes Boot dabei, mutmaßlich inklusive Platzreservierung.

View Content: 12. September 2019 um 12.02 Uhr. Wir sind moderne Menschen, haben internetfähige Mobilgeräte in der Tasche. Die georgische Bahn und diverse Ticketreseller bieten Onlinebuchungen in englischer Sprache an. Leider werden die Buchungen immer wieder zurückgesetzt, die letzten beiden Betten im Liegewagen gelten darauf trotzdem für jeweils einige Minuten als reserviert. Alles zurück auf los: Batumi–Tbilissi, Nachtzug, zwei Betten.

View Content: 12. September 2019 um 12.04 Uhr. Die holprige Bahnstrecke ist mir im Gedächtnis geblieben. Zwei Liegen oben, wenig Schlaf. Die Ankunft in Tbilissi, kein Kiosk hat geöffnet um 7 Uhr. An die Versuche, die Tickets zu kaufen, erinnert mich Monate später ausgerechnet Facebook in schmerzhaften Details. View Content.

Angst vor Klagen

Seit der vergangenen Woche findet sich bei Face­book in den Einstellungen, im Menü „Deine Facebook-Informationen“ ein Unterpunkt namens „Aktivitäten außerhalb von Facebook“. Das ist ein bisschen versteckt, aber da hinzukommen, ist immerhin nicht ganz so schwer, wie eine Fahrkarte bei der georgischen Eisenbahn zu lösen.

Facebook möchte möglichen Klagen wegen Verletzung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zuvorkommen. Und deshalb informiert das Netzwerk uns jetzt neuerdings ganz transparent: darüber, welche Informationen es über uns auf anderen Seiten gesammelt und mit unserem Datenprofil verknüpft hat. Diese Nutzerdaten kommen zum Beispiel von allen Apps und Webangeboten, die mit einem Face­book-Login genutzt werden, aber sie können auch in anderer Weise quasi im Vorbeigehen von Facebook gesammelt worden sein – wie zum Beispiel beim wiederholten Versuch, ein Bahnticket in Georgien zu kaufen. Jeder Aufruf der Ticket-Seiten ist gebucht. View Content: 12. September 2019 um 12.58 Uhr.

Außentemperatur knapp 30 Grad, strahlender Sonnenschein, Verbleib im Hotelzimmer (kostenloses WLAN), ich erinnere Flüche auf Deutsch, Englisch und zunehmend auch auf Russisch. Die werden im Datenprofil nirgendwo vermerkt. Immer wieder stehen da nur: die IDs, das Event, der Zeitpunkt.

View Content: 12. September 2019 um 13.12 Uhr. Facebook ist die ganze Zeit mit dabei, ein gnadenloses Logbuch des eigenen Unvermögens. Ansonsten ist das Netzwerk, zumindest nach seiner eigener Auskunft, ziemlich ahnungslos, was mein Surfverhalten angeht. Gerade einmal 24 Verknüpfungen mit anderen Seiten werden mir präsentiert. Ein paar Nachrichtenseiten und kulturelle Interessen wurden da gemeldet (schöne Grüße an das Maxim Gorki Theater).

Hunderte Verknüpfungen

Stichproben bei Freund*innen aber zeigen, dass die Zahl der Verknüpfungen für durchschnittliche Nutzer*innen schnell dreistellig werden kann. Ungeschütztes Surfen ist das Problem, also Ja sagen zu jedem Cookie und das bequeme Facebook-Login auf jeder dritten Seite, die man besucht. So wird es eine leichte Übung für den Konzern, möglichst viele Logeinträge mit unseren Namen und Adressen zu ver­knüpfen.

Hunderte Apps und Logins mit Tausenden Pageviews werden auf diese Weise in das individuelle Profil integriert, um „dir relevante Werbung zu präsentieren“, wie Facebook es selber ausdrückt. Die Krone der Abschöpfung, der Homo digitalis, ist immer zum Konsum bereit, nur relevant müssen die Produkte sein. Es ist die Macht der Plattform, genau diese Relevanz, mindestens aber eine Illusion davon vermitteln zu können. Die Marketingabteilungen der kleinen Klitschen und der großen Konzerne warten ungeduldig auf ihre produktgenau zugeschnittenen Zielgruppencluster. Angebots- und Nachfrageseite füttern gemeinsam das System mit Daten, kleinen ungeschliffenen Kristallen. Zusammengeführt werden sie zum Prisma, durch das die Welt uns bis ins Innerste sehen und erkennen kann. Es ist ein endloses Geben und – nochmals Geben.

Für jede Datenschutzverletzung einen Cent, das wär’s. Reich könnten wir alle werden. Tatsächlich macht die Drohung mit finanziellen Sanktionen einen Unterschied, einen kleinen vielleicht, aber immerhin. Die Blackbox Facebook ist also gerade ein bisschen transparenter geworden. Die Algorithmen aber bleiben Verschlusssache, die tatsächlich angehäuften Daten und ihre Verwendung ein Firmengeheimnis.

In kleinen Häppchen wird das gelegentlich gelüftet durch den engagierten Einsatz von Aktivist*innen, Daten­schüt­ze­r*innen und Bürgerrechtsorganisationen. Deren Unbeirrbarkeit hat Facebook gerade erst so sehr unter Druck gesetzt, dass der Konzern in einem Vergleich im US-Staat Illinois 550 Millionen Dollar Entschädigungen und Gerichtskosten zahlen muss.

In dem Verfahren ging es um eine Verletzung eines Gesetzes zum Schutz der Privatsphäre von Bürger*innen des Staates. Die müssen nämlich ihre explizite Einwilligung bei der Erhebung biometrischer Daten geben können. Das betrifft auch Gesichtserkennungsverfahren. „Einen Freund im Foto markieren“? Nicht in Illinois! Neben den Millionen, die jetzt fällig werden und die laut New York Times lediglich das Ausmaß eines „Rundungsfehlers“ in der Gesamtbilanz des Unternehmens haben, erhalten Nutzer*innen die Möglichkeit, auf eine individuelle Entschädigung zu klagen. Theoretisch kann sich das auf mehrere Milliarden Dollar aufaddieren.

Ein Tropfen im Meer

Es ist also möglich, mit gesetzlichen Regelungen Druck zu machen und ein wenig Respekt vor der Privatsphäre der Nutzer*innen zu erzwingen. Dafür braucht es gesellschaftliches Problembewusstsein – und Gesetzgeber*innen, die die Mechanik der Netzwerke verstehen und willens sind, auf deren Lobbygeld zu verzichten.

View Content: 12. September 2019 um 13.43 Uhr. Das ist der letzte Eintrag der georgischen Tickethustler in meinem Profil. Endlich gebucht. Wie eine halbe Ewigkeit erschien es mir, dabei waren es laut Aktivitätsprotokoll nicht einmal zwei Stunden der Verlorenheit. Jason, längst zu Staub zerfallen, dreht sich lachend im Grabe um. Das Log jenes nervtötenden Versuchs, eine Bahnfahrkarte zu kaufen, repräsentiert nicht einmal einen Wassertropfen im Meer all der digitalen Informationen über mich, die ich nach wie vor nicht zu sehen bekomme.

Relevant war er für die Beteiligten dennoch, eine wichtige Etappe auf dem Weg nach Kachetien, der Wiege des Weinbaus. Über die Buchung der Übernachtungen dort blieb Facebook übrigens im Dunkeln. Die Daten der genutzten Reservierungsportale sind nämlich mit einem anderen individuellen Profil verknüpft: mit dem von Google.

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1 Kommentar

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    Das ist das Profil dieser Website, ohne Adblocker. Das Problem auf Facebook zu beschränken, das mit Sicherheit eine der größten Datenaggregatoren ist, greift viel z kurz. Ähnliche Dimensionen nimmt es bei Google und Microsoft an. Apple vernüpft und verkauft die Daten angeblich nicht, aber viele Apps schon. Dazu kommen die zahlreichen anderen Werbenetzwerke, die den meisten nicht einmal bekannt sind. Was sie mit den Trackingdaten anstellen, ob und wie sie gehandelt werden, ist intransparent und durch die Masse an Trackern kaum nachvollziehbar.

    Auf taz.de: 99 embeds (Aufrufe externer Dateien), darunter 88 bekannte Werbenetzwerke, 112 Cookies werden gesetzt, darunter 39 von bekannten Trackern.

    Das ist heute der Zustand des Netzes. Wer sich bewegt, wird von allen möglichen Interessenten dabei beobachtet.