Fabelhaftes St. Pauli: Die Maschine der Zukunft
Die Initiative Fabulous St. Pauli bemüht sich um die Gründung einer Werkstatt, die High-Tech für alle ermöglichen soll. Beim Recht-auf-Stadt Kongress, der am 2. Juni in Hamburg beginnt, stellt sie sich vor.
"Es geht auch um die Überwindung der Trennung von Handarbeit und Kopfarbeit", sagt Axel Sylvester. Und spricht damit von weit her. Der anarchistische Fürst Pjotr Alexejewitsch Kropotkin hatte sich den Satz einmal notiert, die chinesische Kulturrevolution ihn zwangspraktiziert, die taz in ihren Anfangsjahren noch anvisiert, aber schon bald einbalsamiert. Nun ist er wieder da, geistert durch junge, gar nicht wirre Köpfe wie den des Wirtschaftsinformatikers Axel Sylvester und dringt auf eine Materialisierung, die den Namen "Fab Lab" trägt.
Die Abkürzung Fab Lab ist doppeldeutig, sie meint zum einen das Fabrikationslabor und weist mit diesem sperrigen Wort auf die banale Werkstatt hin, die ein Fab Lab eigentlich ist. Zum anderen ist das ganze auch ein fabulous laboratory, ein irres, experimentelles Ding, viel mehr als nur eine Werkstatt, wenn überhaupt eine Werkstatt, dann eine, in der die Zukunft geschmiedet wird. So jedenfalls eine vage Hoffnung, die das Fab Lab nicht zuletzt produziert.
Zu Anfang aber das Handfeste: Ein Fab Lab ist eine Werkstatt, die mit computergesteuerten Maschinen wie 3D-Drucker, CNC-Fräse, Lasercutter und Strickmaschinen ausgestattet ist und allen offen steht. Herstellen lässt sich im Fab Lab fast alles, was im Alltag zur Anwendung kommt: Kleidung, elektronische Kleingeräte, Gebrauchsgegenstände. Entwickelt wurde das Fab Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT), realisiert erstmals in Indien und Afrika.
In den Niederlanden gibt es mittlerweile eine Handvoll, in Deutschland gibt es bislang nur in Aachen eines an der Uni. Und vielleicht bald ein zweites auf St. Pauli in Hamburg. Darauf drängt nun die Initiative "Fabulous St. Pauli", die Axel Sylvester mit einem Dutzend Mitstreitern ins Leben gerufen hat.
"Hightech für alle!" hat sich die Initiative aufs Banner geschrieben. Möglich geworden sei das, weil sich viele computergesteuerte Produktionsmaschinen mittlerweile einfach beschaffen und bedienen ließen. So ist im Open-Source-Verfahren ein 3D-Drucker entwickelt worden, der dreidimensionale Gegenstände ausdruckt, und sich sogar ein Stück weit selbst reproduzieren kann. Er gießt aus Plastik fast alle Teile, die zu seinem Bau benötigt werden. 600 Dollar veranschlagt Sylvester für die Maschine. Zusammen gesetzt sei sie in einem halben Tag.
Ein Fab Lab scheint ein Ort wie geschaffen für Bastler und Tüftler - soll das aber gerade nicht sein. "Es kommen ganz unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Problemen", sagt Sylvester, der sich Fab Labs in Holland angesehen hat.
Im Idealfall ist das Fab Lab eine offene Bildungsstätte. Jeder ist eingeladen, zu lernen, zu experimentieren, sich auszutauschen und Wissen weiterzugeben. Vor allem aber zu produzieren: Sachen etwa, die nicht mehr im Handel sind, Ersatzteile, die sonst zu einem Wucherpreis nachzubestellen wären oder auch gänzlich individuelle Objekte.
Räumlichkeiten fürs Fab Lab auf St. Pauli hat die Initiative bereits im Blick: auf dem umkämpften Gelände zwischen Erichstraße und Bernhard-Nocht-Straße, das mit Luxussanierung verbaut zu werden droht. Entsprechend versteht sie sich als Teil der Recht-auf-Stadt-Bewegung. Sie tritt für eine "neue Stadtentwicklung durch alle, für alle" ein. "Dazu gehört nicht nur bezahlbarer Wohnraum, sondern auch der Aufbau einer lokalen Ökonomie, an der alle BewohnerInnen teilhaben können", heißt es in einer Informationsbroschüre.
Ein erster Eindruck vom Fab Lab lässt sich nun auf dem Recht-auf-Stadt-Kongress bekommen, der vom 2. bis 5. Juni an verschiedenen Orten in Hamburg stattfindet. Das Fab Lab wird in dieser Zeit probehalber im Centro Sociale in Betrieb genommen.
Später soll das Fab Lab offen stehen für alle. Allerdings nur an einigen Tagen. Zur Finanzierung des Fab Lab würden an anderen Tagen wiederum Einzelpersonen gegen eine Nutzungsgebühr selbst entworfene Produkte in Kleinserie herstellen lassen und in den Läden der Nachbarschaft oder im Internet als Fab-Produkt vermarkten.
Der theoretische Hintergrund, der hier ins Spiel kommt, stammt unter anderem vom amerikanischen Sozialphilosophen Frithof Bergmann. Der hatte früh erkannt, dass die neuen Kommunikations- und Produktionsmittel dezentrale Strukturen fördern. Vor diesem Hintergrund beschwor er eine neue Ökonomie, in der wir "unablässig und Schritt für Schritt zu einer Wirtschaftsform fortschreiten, in der wir unsere eigenen Produkte herstellen".
Der britische Ingenieur Adrian Bowyer, der den 3D-Drucker zum Selberbasteln mitentwickelt hat, setzt noch eins drauf. Er hofft, dass die Fab Labs in Zukunft "ein revolutionäres Eigentum an den Produktionsmitteln durch das Proletariat ermöglichen - ohne den chaotischen und gefährlichen Revolutionskram". Kurz: Er hofft auf eine Revolution ohne Revolution - was wunderbar in eine Zeit passt, die alkoholfreies Bier ebenso schätzt wie Politiker ohne Programm und Journalismus ohne Kritik.
Ganz frei von Technikgläubigkeit mag das Fab-Lab-Konzept also noch nicht sein. Der Vision eines selbstbestimmten Lebens und Produzierens in der Stadt ist dennoch Verwirklichung zu wünschen.
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