FC Liverpool in der Champions League : Der Unbekannte von der Bank
Das letzte Duell zwischen Liverpool und Bayern hatte der erste schwarze Stürmer der Reds, Howard Gayle, geprägt. Der Durchbruch kam später.
Als der FC Liverpool am 4. Oktober 1980 bei Manchester City spielte, schickte in der 69. Minute Manager Bob Paisley den Stürmer Howard Gayle aufs Feld. Es war ein historischer Moment, denn der 22-Jährige war der erste schwarze Spieler in der 88-jährigen Geschichte der „Reds“. Andere englische Klubs waren schon weiter.
Vielleicht lag es daran, dass die Hafenstadt einst die „Hauptstadt des Sklavenhandels“ gewesen war. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts betrug Liverpools Anteil am atlantischen Sklavenhandel 40 Prozent. Liverpool stellte sich erst spät diesem dunklen Kapitel seiner Geschichte. Am 23. August 2007 eröffnete in den Albert Docks das International Slavery Museum.
Howard Gayle wurde in Toxtethm, auch Liverpool 8 genannt, geboren, dem „Schwarzengetto“ von Liverpool, dessen „Gründungsväter“ Seeleute aus der Karibik gewesen waren. Vom weißen Liverpool wurde Toxteth ignoriert. Vom FC Liverpool und seinem Lokalrivalen FC Everton ebenso. Bob Paisley bat Gayle wiederholt, Toxteth zu verlassen. Gayle: „Bob hatte in den Zeitungen über die sozialen Probleme in Liverpool 8 gelesen. Soweit ich weiß, hat er diesen Ort nie selbst besucht. Ich widerstand Bobs Bitten, solange ich konnte. Ich wollte nicht, dass die Menschen dort glaubten, ich würde ihnen den Rücken kehren. Schließlich hatten sie mich immer unterstützt.“
In der Saison 1980/81 spielte der FC Liverpool im Halbfinale des europäischen Landesmeisterwettbewerbs gegen Bayern München. Die erste Begegnung an der Anfield Road endete torlos. Vor dem Rückspiel plagten das Team von Manager Bob Paisley zahlreiche Ausfälle, weshalb Paisley auch Gayle, der bis dahin fast ausschließlich in der Reserve auf Torejagd ging, für seinen München-Kader nominierte.
Lauffreudig und mutig
Das Hinspiel hatte Gayle noch vom Kop aus verfolgt hatte, der berühmten Stehtribüne im Stadion der „Reds“. Das Spiel im Olympiastadion war gerade neun Minuten alt, als Kenny Dalglish verletzt vom Platz musste. Für ihn kam Gayle. Ein bisschen auch dank des portugiesischen Schiedsrichter Antonió Garrido. Kurz vor dem Anpfiff hatte sich Garrido bei den Betreuern der „Reds“ nach „diesem Howard Gayle“ erkundigt. Der Mann in Schwarz zweifelte an seiner Spielberechtigung. Paisley dachte sich: Wenn der Schiedsrichter den Spieler nicht kennt, dann werden ihn die Bayern-Spieler auch nicht kennen.
Gayles Einwechselung war letztlich spielentscheidend. Der schnelle, lauffreudige und mutige Stürmer bereitete Bayerns Abwehr Probleme. Augenthaler, Dremmler, Weiner und Co. wusste sich wiederholt nur mit Fouls zu helfen. Als Gayle von Dremmler im Strafraum zu Fall gebracht wurde, blieb Garridos Pfeife stumm. Gayle: „Wenn er gepfiffen hätte, hätten die Leute erzählt: ‚Howard Gayle holte für uns einen Elfer heraus! Howard half uns beim Einzug ins Finale!‘“
Garridos Pfeife ertönte umso lauter, als Gayle in der 70. Minute ein harmloses Foul an Dremmler beging. Für Gayle handelte der Schiedsrichter auf Zuruf der Bayern-Fans, die ihn permanent rassistisch beleidigt hatten. Paisley erzählte später, er habe so etwas noch nie erlebt.
Keine 60 Sekunden später holte Paisley Gayle vom Platz, weil er fürchtete, Gayle könne die Nerven verlieren. Seither wird immer wieder die Frage gestellt: Hätte Paisley Gayle auch vom Platz genommen, wenn der Spieler ein Weißer gewesen wäre? Bayern und Liverpool trennten sich 1:1, womit die Engländer im Finale standen. Am 27. Mai 1981 gewannen die „Reds“ zum dritten Mal den „Henkelpott“. Gayle drückte beim 1:0-Sieg über Real Madrid nur die Bank. Die 61 Minuten von München blieben seine einzigen mit den „Reds“ im Europapokal.
Rassismus und Polizeibrutalität
Einige Wochen nach dem Finale brachen in Toxteth schwere Unruhen aus. Die schwarze Jugend rebellierte gegen Rassismus und Polizeibrutalität.
1982 verließ Howard Gayle den FC Liverpool. Fünf Jahre später verpflichtete der Klub den in Jamaika geborenen englischen Nationalspieler John Barnes. Bevor Barnes eintraf, wurde das Stadion von dem rassistischen Graffito der neofaschistischen National Front gereinigt. Die Fans des Lokalrivalen erdachten sich eine rassistische Bezeichnung für den FC Liverpool. Aber mit Barnes, der zu einem Idol des „Kops“ avancierte, kam der verspätete Durchbruch für schwarze Spieler in Liverpool.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen