„Kein Shitstorm, sondern Kampagne“

Die Journalistin Ferda Ataman wurde als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nominiert – und erntet seitdem viel Gegenwind. Warum die Dynamik dahinter gefährlich ist, erklärt Heike Kleffner vom Verband der Opferberatungsstellen

Seitdem die Bundesregierung Ataman nominiert hat, rollt eine mediale Lawine Foto: Sarah Eick

Interview Dinah Riese

taz: Frau Kleffner, vorige Woche hat die Bundesregierung die Journalistin Ferda Ataman als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nominiert. Seitdem rollt in eine mediale Lawine; ein Artikel jagt den anderen, unzählige Tweets wurden abgesetzt. Könnte man nicht sagen: Wie gut, dass es offensichtlich ein so großes Interesse an diesem Amt gibt?

Heike Kleffner: Es wäre schön, wenn wir eine Debatte darüber hätten, wie viele Menschen in Deutschland Diskriminierung erleben. Da würden sich auch diejenigen Po­li­ti­ke­r*in­nen von Union und FDP, die jetzt gegen Ferda Ataman Sturm laufen, wundern; das betrifft nämlich durchaus ihre eigene Wählerklientel. Zum Beispiel Menschen, die aufgrund ihres Alters oder wegen einer Behinderung diskriminiert werden. Tatsächlich aber wird genau diese Debatte bewusst von einer Phalanx aus Spal­te­r*in­nen unmöglich gemacht, und zwar durch das gezielte Verbreiten misogyner, rassistischer und antimuslimischer Ressentiments. Bemerkenswert fand ich, wie wertschätzend sich Armin Laschet für Ataman ausgesprochen hat. Es gibt also auch weltoffene Konservative, die diesem unappetitlichen Spiel öffentlich widersprechen.

Ataman spitzt gerne zu. Muss sie da nicht einen Shitstorm aushalten können?

Das ist kein Shitstorm, sondern eine orchestrierte Kampagne durch rechte Filterblasen. Angefacht werden diese durch gezielte Tweets prominenter Accounts, zum Beispiel des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt. Es folgt ein längst eingeübtes Muster: Fol­lower*in­nen, Fake-Accounts und Troll-Armeen spitzen die Botschaft zu, verkürzen, ergänzen Falschbehauptungen, bis nur noch gefährlicher Hass und Hetze übrig sind und die Person, um die es geht, nachhaltig beschädigt ist. Wie gefährlich genau diese Dynamik nicht alleine für den politischen Diskurs ist, erleben unzählige Man­dats­trä­ge­r*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen tagtäglich – und wissen wir spätestens seit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübke.

Welche Rolle spielen die klassischen Medien? Allein die Welt veröffentlichte in der vergangenen Woche mehr als zehn Artikel über Ataman: Sie sei eine Fehlbesetzung, die Ampel betreibe Identitätspolitik, die künftige Antidiskriminierungsbeauftragte diskriminiere selbst und spalte die Gesellschaft.

Solche Onlinekampagnen zielen sehr klar darauf, über Twitter die Medienberichterstattung zu beeinflussen. Für Welt und Bild ist es Teil des Geschäftsmodells, Reichweite über emotionalisierte und polarisierte Debatten zu erzielen. Dabei wird auf einen Dominoeffekt gesetzt: Nicht nur dass jeweilige „Hassobjekt“ mit Schmutz zu bewerfen, sondern auch alle, die deren Positionen teilen, einzuschüchtern.

Dahinter steckt politisches Kalkül?

Ganz klar. Ferda Ataman ist nicht die erste profilierte und fachkundige Frau im Umfeld der neuen Bundesregierung, die in die Schusslinie gerät. Die gleiche unheilige Koalition schießt gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Das Innenministerium war 16 Jahre lang unionsgeführt. Schauen wir uns an, was Horst Seehofer in seiner gesamten Amtszeit im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsterrorismus alles verweigert oder verschlafen hat. Faeser hat in den letzten sechs Monaten eine Aufholjagd gestartet – aber dafür werden sie und ihr Personal auch massiv angegriffen. Und das macht leider auch jede konstruktive Kritik unmöglich.

Inwiefern?

Alle, die dringend notwendige Fortschritte einfordern, müssen sich erst mal hinter der Person versammeln, damit diese nicht von einer reaktionären Allianz weggemobbt wird. Im Kampf gegen Diskriminierung oder gegen rechte, rassistische und antisemitische Gewalt gibt es noch sehr viel, was verbessert werden muss. Dafür brauchen wir offensives Streiten. Nicht über einzelne zugespitzte Äußerungen, sondern mit Fokus auf Atamans künftiges Handeln als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, die Arbeit von Nancy Faeser oder anderer wichtiger Ver­ant­wor­tungs­trä­ge­r*in­nen in diesem Bereich.

Was für Verbesserungen meinen Sie mit Blick auf Antidiskriminierung?

Foto: Martin Neuhof/ Herzkampf

Heike Kleffner ist Journalistin mit Schwerpunkt Rechtsterrorismus und Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Sie ist Mitherausgeberin des aktuellen Sammelbands „Fehlender Mindest­abstand: Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratie-Feinde“ (Herder 2021).

Man muss sich die Geschichte des Amtes und des dazugehörigen Gesetzes anschauen: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt es erst seit 2006. Es war längst überfällig, und dennoch hat Deutschland es nur auf Druck der EU verabschiedet. Bis heute ist es viel zu vielen Menschen nicht mal bekannt und eine Baustelle, die nicht alle Formen der Diskriminierung erfasst. Es gibt zum Beispiel keinen bundesweiten Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Institutionen, sei es in der Schule, der Polizei oder der Ausländerbehörde. In anderen Ländern ist das längst selbstverständlich. Darüber müssen wir reden. Doch wir erleben eine enorme Diskursverschiebung, die genau das unmöglich macht.

Dazu passt, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit 2018 nur eine kommissarische Leitung hatte, oder?

Die Botschaft der vorherigen Bundesregierung an Betroffene war klar: Eure Belange sind für uns zweitrangig. Dabei geht es um große Teile der Bevölkerung; um Diskriminierung etwa aufgrund von Alter, Rassismus, Antisemitismus, geschlechtlicher Identität oder Behinderung, und sehr oft auch die um Verschränkung von mehreren dieser Ebenen. Ataman muss nun für viele sehr verschiedene Menschen einstehen und offensiv Verbesserungen an diesem Gesetz erkämpfen. Dafür braucht es eine streitbare und durchsetzungsfähige Fürsprecherin. Dass Ataman das sein kann, das hoffen viele – es fürchten aber offensichtlich auch sehr viele.

An Ataman gibt es nicht nur Kritik von rechts, sondern zum Beispiel auch von kurdischen Stimmen, die sagen, sie gehe nicht entschieden genug gegen türkischen Rassismus vor.

Es ist wichtig, dass die Kritik kurdischer oder alevitischer Gruppen an Ferda Ataman ernst genommen wird. Deutlich zu machen, dass sie keine Hierarchien zwischen unterschiedlichen Dis­kri­mi­nie­rungs­erfah­rungen ­aufmacht, sondern deren Mehrdimensionalität mutig adressiert – das ist ihre persönliche Herausforderung. Ob sie das kann, wird sich zeigen. Aber die Chance dazu, die sollte sie in jedem Fall bekommen.