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Explosion in BeirutDie „Bombe“ war seit Jahren bekannt

Im Libanon wusste man seit Jahren von der Gefahr, die im Hafen von Beirut lagerte. Trotzdem ist noch vieles offen. Was wir wissen – und was nicht.

Hier lagerte die explosive Fracht über Jahre – nach der Explosion ist der Beiruter Hafen verwüstet Foto: Hassan Ammar/AP

Berlin taz | Man kann von Glück sprechen, dass bei der Detonation am Dienstagabend in Beirut nicht weit mehr als die bislang bestätigten 137 Menschen ums Leben gekommen sind. Die Explosion war eine Bombe der Superdimension – kaum auszumalen ist das Ausmaß, wäre sie im Stadtgebiet oder etwa am Flughafen in die Luft gegangen und nicht auf dem für Unbefugte in weiten Teilen nicht zugänglichen Hafengelände der libanesischen Hauptstadt.

An den Angaben libanesischer Behörden und hochrangiger Politiker, dass Ursache der Detonation rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat waren, die seit Jahren im Hafen lagerten, besteht wenig Zweifel. Die Aussagen decken sich mit aktuellen Recherchen und online zugänglichen Berichten, die vor der Explosion über das Material Auskunft geben. Aufgeklärt ist der Vorfall damit allerdings noch lange nicht: Warum lagerte das Ammoniumnitrat in dem Hafen? Und warum unternahmen die Behörden – trotz mehrfacher Warnung – nichts?

Das ist bislang bekannt: Detaillierten Recherchen des Investigativ-Netzwerks Bellingcat zufolge lagerte das Ammoniumnitrat im Hangar 12 des Beiruter Hafens, in unmittelbarer Nähe zu den belebten Beiruter Ausgeh- und Künstlervierteln Gemmayzeh und Mar Mikhael. Wie das Material dort hingelangte, darüber gibt ein kurzer, auf Juli 2014 datierter Eintrag auf der Webseite des Unternehmens Fleetmon Auskunft, das unter anderem Positionsdaten und Bewegungen von Schiffen beobachtet.

Dort heißt es: Das Schiff „‚RHOSUS‘ lief im Oktober letzten Jahres Beirut im Libanon an. Mit Ammoniumnitrat beladenes Schiff war für ein anderes Land bestimmt. Der Grund, warum sie Beirut anrief, ist unklar, möglicherweise für Lieferungen oder aufgrund mechanischer Probleme. Seitdem ist das Schiff in Beirut gestrandet.“ Verfasst wurde der Eintrag von dem Journalisten Mikhail Voytenko, der sich auf seinem Twitter-Account als „Maritim-Experte“ bezeichnet.

Hochexplosive Ladung im Hafen

Seine Angaben decken sich weitgehend mit den Aussagen des libanesischen Regierungschefs Hassan Diab, der noch am Dienstagabend sagte, 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat hätten ohne Vorsichtsmaßnahmen im Hafen von Beirut gelagert – auch wenn er nicht von knapp sieben, sondern nur von nur sechs Jahren sprach, was möglicherweise damit zu erklären ist, dass die Fracht erst später verladen und im Hangar 12 gelagert wurde.

Wann dies genau geschah, ist bislang unklar. Offenbar lag die Rhosus mit der hochexplosiven Ladung monatelang im Hafen. In dem Fleetmon-Eintrag von Juli 2014 ist von einer Verladung noch nicht die Rede. Selbst einige Crew-Mitglieder waren demnach noch an Bord, drei Ukrainer und ein Russe.

Die libanesischen Behörden hätten ihnen nicht gestattet, von Bord zu gehen. „Der Grund liegt auf der Hand“, schreibt der Autor. „Die Hafenbehörden möchten nicht mit verlassenen Schiffen an ihren Händen zurückgelassen werden, die mit gefährlicher Fracht und Sprengstoff beladen sind.“

Hier beginnen die Fragen: Dem Bericht zufolge hatten sowohl der Eigentümer der „Rhosus“ als auch der des Ammoniumnitrats das Schiff mitsamt der Ladung aufgegeben. Warum? Die aus Georgien kommende „Rhosus“ war mit ihrer Ladung eigentlich auf dem Weg nach Mosambik, wie Juristen des Anwaltnetzwerks shiparrested.com angaben, die 2015 mit dem Fall befasst waren.

Briefe warnten vor Gefahr

Das explosive Material im Hafen der Millionenmetropole war also kein Geheimnis. Das untermauern jüngste Angaben des Chefs der libanesischen Zollbehörde, Badri Daher. Ihm zufolge haben Zollmitarbeiter mindestens sechs Briefe verfasst und vor einer Gefahr durch die Ladung gewarnt.

Dies berichtete am Mittwoch der Nachrichtensender Al Jazeera. Den Recherchen zufolge schlug der Zoll drei Optionen vor: das Ammoniumnitrat exportieren, es der libanesischen Armee übergeben oder es an ein Privatunternehmen verkaufen.

Eine Antwort blieb demnach aus, bis es zu spät war. Den Bellingcat-Recherchen zufolge brach am Dienstag zunächst in einer Lagerhalle, offenbar dem Hangar 12, ein Feuer aus. In lokalen Medien war als Ursache von Schweißarbeiten die Rede, was bislang aber nicht bestätigt ist. Auch ungeklärt ist, ob Feuerwerk im Spiel war, wie einige Medien berichteten. Es folgten mehrere kleine Explosionen und schließlich die riesige Detonation, die ganze Stadtteile Beiruts verwüstete und das Land noch über Jahre beschäftigen dürfte.

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7 Kommentare

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  • 0G
    09617 (Profil gelöscht)

    Schlamperei hat auch im September 2001 zur gigantischen Explosion von Amoniumnitrat in der Düngemittelfabrik AZF von Toulouse geführt. Unsere Wohnung war total zerstört und die komplette Instandsetzung hat zwei Jahre gedauert. Und da rede ich von einem Land und von einer wohlhabenden Stadt, die normal funktioniert. Aber auch da hat es Betrug und Unterschlagung von Hilfsgeldern gegeben. Man kann sich dann ja wohl vorstellen, wie die korrupte libanesische Regierung den Wiederaufbau handhaben wird, wenn man sie lässt. Es bleibt nur zu hoffen, dass das Volk sich in der Not über alle konfessionellen Gegensetze hinwegsetzt, die Regierung zum Teufel jagd und den Wiederaufbau selbst in die Hand nimmt .

  • ein traumatisches Ereignis das jetzt Solisarität erfordert



    und



    dem dann tatsächlich etwas positives innewohnt:



    die Stadt muss und wird wieder aufgebaut werden und das bedeutet jede Menge Arbeit die dann vielleicht auch ein positiven Einfluss auf die Entwicklung des Libanons haben kann (wenn genug Geld investiert wird.)

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    ein sehr informativer artikel, danke!



    „Was wir wissen – und was nicht.“ als unterzeile ist dagegen sehr unangenehm yellow-press-mäßig. als autor des artikels wäre ich vermutlich das letzte mal für die taz tätig gewesen, wenn mir dieser untertitel seitens der redaktion ohne rücksprache zugeteilt worden wäre.

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Die Untereile ist vom Spiegel „geklaut“. Dort gibt es regelmäßig solche Artikel bei Sachverhalten, die unklar sind, aber über die trotzdem viel berichtet wird.

  • Eine sehr klare Recherche Jannis Hagmann! Da kann Frau/Mann mal sehen, wie Gefahrenpotentiale wissenschaftlich/technischer Herkunft durch unfähige Bürokratie und Ökonomie verschleppt und verdrängt werden. Es gibt mit Sicherheit viele ähnliche, ungesehene, technologisch katastrophische Gefahrenherde weltweit!



    Eben die "faustisch entfesselte Wissenschaft", gekoppelt an die Profitideologien der technischen Entwicklung?



    Die Ökologie, die Natur der Welt.. bisher bis zum "Geht Nicht Mehr" instrumentalisiert



    und vergewaltigt vom Ethnozentrismus, schlägt zurück..?... Klima, Corona... und nun Beirut..? Die Katastrophe von Beirut, als Ausdruck menschlicher Verfehlung, steht doch irgendwie im Zusammenhang mit der Katastrophe des Atombombenabwurfs auf Hiroshima? Heute, vor 75 Jahren! Zum Glück hat das UMDENKEN in der Welt begonnen.



    Respekt sei der Jugend der "Fridays For Future" und deren Sozialen Bewegungen gezollt!

    • @vergessene Liebe:

      "wie Gefahrenpotentiale wissenschaftlich/technischer Herkunft durch unfähige Bürokratie und Ökonomie verschleppt und verdrängt werden"

      Die "Bürokratie" (Zoll) hat nicht versagt, auch die "Ökonomie" war nicht schuld daran, dass ein paar Tausend Tonnen Sprengstoff für eine der Bürgerkriegsparteien so wertvoll waren, dass die alles getan hätten, um einen Abtransport zu verhindern.