Expertentrat für künftige Entwicklungen: Der dritte Blick in die Zukunft

Der vom Forschungsministerium eingesetzte Zukunftsrat soll die Politik in Zukunftsfragen unterstützen. Es geht vor allem um langfristige Trends.

Ein Roboter aus Metall

In Science-Fiction-Filmen ist die Zukunft schon zu sehen. Nachbau von Fritz Langs Roboter von 1927 Foto: dpa

BERLIN taz | Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bezeichnet sich gern als das „Zukunftsministerium“ der deutschen Bundesregierung. Was bedeutet, in der Forschungsadministration länger als nur eine Legislaturperiode vorauszudenken und zu planen. In diesem Monat hat das BMBF einen neuen Zukunftsbeirat eingesetzt, in dem externe Experten nach den großen Langfristtrends Ausschau halten sollen. Es ist der dritte „Foresight“-Zyklus, den das Ministerium gestartet hat, mit einigen Neuerungen, dar­unter die Eindeutschung der Aktion: Anstelle des internationalen Fachbegriffs „Foresight“ wird nun von „Vorausschau“ gesprochen, sogar mit eigener Webseite: www.vorausschau.de

Der semantische Kniff soll auch die Öffnung zur Gesellschaft signalisieren, die dem Vorsitzenden des neuen „Zukunftskreises“, Armin Grunwald, sehr wichtig ist. Der Physiker und Philosoph leitet hauptamtlich das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut for Technoloy (KIT) sowie das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). „Wir dürfen die Zukunft nicht einzelnen Disziplinen überlassen“, sagt Grunwald. „Weil die Zukunft eine Gestaltungsaufgabe ist, brauchen wir unterschiedliche Perspektiven, damit wir nicht einseitig in eine Richtung marschieren, sondern die Gesellschaft als Ganzes abbilden.“

Die 17 Mitglieder des Zukunftskreises um Grunwald und der Co-Vorsitzenden Cornelia Daheim – Akteure aus Wirtschaft, Forschung, Kultur und Zivilgesellschaft – sollen in den nächsten drei Jahren den Vorausschauprozess als zentrales Beratungs- und Inspirationsgremium des BMBF in Zukunftsfragen unterstützen. Sie sollen zukünftige Entwicklungen bis zum Ende der 2030er Jahre nicht nur beschreiben, sondern auch ihre möglichen Konsequenzen sichtbar machen.

Zu den Expertinnen und Experten gehören unter anderem die Leiterin des Fraunhofer Centers for Responsible Research, Martina Schraudner, Björn Theis als Leiter der „Foresight“-Abteilung beim Chemie-Konzern Evonik bis hin zum Inhaber der größten Science-Fiction-Bibliothek Europas mit Sitz in Wetzlar, Thomas Le Blanc. Erstmals ist mit ihm auch ein Vertreter der „narrativen Zukunft“ in den Kreis der Futuristen aufgenommen worden – wohl auch deshalb, weil auf dem Wege der Science Fiction in Buch und Film, in Erzählungen von Jules Verne bis zur „Star Wars“-Saga und dem der deutschen Raumpatrouille „Orion“, eingängige Zukunftsbilder die meisten Menschen erreichen.

Neu ist die Einrichtung eines „Zukunftsbüros“ durch einen externen Dienstleister. Nach der Ausschreibung des BMBF vom 12. März 2019 soll das Zukunftsbüro den Zukunftskreis der Experten unterstützen und „als Impulsgeber sowie Foresight-Akteur fungieren“. Die genauere Aufgabenbeschreibung lautet: „Das Zukunftsbüro identifiziert und entwickelt in einem Themen-Scanning zukünftig relevante Themen und führt ausgewählte, vertiefende Foresight-Aktivitäten durch“. Dabei gehe es um technologische und gesellschaftliche Themenfelder.

Die großen „Megatrends“

Auf der Webseite vorausschau.de werden zwar keine Angaben über das Zukunftsbüro gemacht, dafür aber die großen „Megatrends“ genannt, auf die der Blick gerichtet wird: von den anthropogenen Umweltbelastungen, demographischer Wandel, Urbanisierung, digitaler Transformation und veränderten Arbeitswelten bis hin zu Business-Ökosysteme mit neuen Geschäftsfeldern sowie ausdifferenzierte Lebenswelten.

„Das Zukunftsbüro ist in die Netzwerke der strategischen Vorausschau sowie den wissenschaftlichen Diskurs eingebunden und hat gemeinsam mit dem vom BMBF für die Unterstützung bei strategischen Aufgaben in den Bereichen Strategie, Innovationspolitik, Strategische Vorausschau sowie Daten- und Analysegrundlagen für Bildung und Forschung beauftragten Projektträger die notwendige Infrastruktur sicherzustellen“, wird der Auftrag des neuen Akteurs vom Ministerium weiter beschrieben. Der aktuelle Prozess der „Strategischen Vorausschau“ des BMBF läuft von 2019 bis 2022 und ist mit insgesamt 6,5 Millionen Euro ausgestattet.

Neu ist die Einrichtung eines „Zukunftsbüros“ durch einen externen Dienstleister

Als erstes großes Zukunftsthema werden sich Zukunftskreis und Zukunftsbüro mit der Frage befassen: Wie werden sich die Wertvorstellungen der Menschen in Deutschland entwickeln? Das Zukunftsbüro, das nach Aussage von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek „halbjährlich eine Trendliste erarbeitet“, ist auch mit der Ausarbeitung einer „Werte-Studie“ befasst. Erste Ergebnisse werden für Anfang 2020 erwartet. Die Umfrage zur Datenerhebung wurde vom Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag des BMBF an zwei Tagen Ende August 2019 im Kontakt mit 2.500 Befragten durchgeführt.

„Wir möchten wissen, ob und wie sich der innere Kompass der Menschen verändert und was das für unsere zukünftige Gesellschaft und unser Zusammenleben bedeutet“, formulierte die Ministerin das Erkenntnisinteresse der Studie. „Was wird die heute junge Generation ihren Kindern mitgeben?“ Ihrem Ministerium sei es „wichtig, einen offenen Diskurs über die Herausforderungen, Chancen und Risiken, die sich aus den großen Zukunftsfragen ergeben, anzuregen und zu fördern“, so Karliczek. Dazu auch sei das in diesem Monat eröffnete Futurium, das Haus der Zukünfte, in Berlin eingerichtet worden.

Die Zukunft hat auch eine Vergangenheit, etwa in Gestalt der vorherigen Foresight-Programme des BMBF. Der Ingenieur und Zukunftsforscher Axel Zweck vom VDI Technologiezentrum in Düsseldorf war maßgeblich am letzten Zyklus der strategischen Zukunftsschau beteiligt, der 2015 endete. Was wurde mit dem Blick in die ferne Zukunft für die Verbesserung der aktuellen Forschungspolitik bewirkt? Zweck sieht Wirkungen in drei Bereichen. So habe sich die Vorhersage, dass die Digitalisierung nicht nur einige Branchen betreffen, sondern alle wirtschaftlichen und später auch gesellschaftlichen Bereiche durchdringen werde, sehr schnell in Realität umgesetzt.

Auch die „autonomen Systeme“ – Anfang des Jahrzehnts wollten die Zukunftsforscher noch nicht von „Künstlicher Intelligenz“ sprechen – seien dabei, ihre vorhergesagte Relevanz faktisch einzulösen. Dies werde in Deutschland von einer verstärkten ethischen Debatte über die gesellschaftlichen Folgen begleitet.

Zum dritten sei auch das Petitum seiner Foresight-Gruppe, dass es weniger um die Vorbereitung technischer als vielmehr soziotechnischer Innovationen gehen müsse, im Ministerium aufgegriffen worden. Zweck: „Wir hatten versucht, deutlich zu machen, dass bei der Entwicklung von Technik auch immer die sozialen Effekte mitbedacht werden müssen“.

Kritischer sieht dagegen der Berliner Zukunftsexperte Klaus Burmeister, Mitautor der Studie „Deutschland D2030“, die innerministerielle Wirkung. Die ersten beiden Foresight-Zyklen seit 2007 seien „hinter ihren Möglichkeiten und Erwartungen zurückgeblieben“, ist seine Meinung. Bereits ihre organisatorische Konstruktion weise Defizite aus, da die Foresight-Vorschläge nur „als add-ons und nicht als integrierter Bestandteil der strategischen Ausrichtung des BMBF“einbezogen werde, urteilte Burmeister gegenüber der taz. „Zukunftsforschung hat auch nach zwei Zyklen keinen geachteten oder anerkannte Stellung in der Wahrnehmung des BMBF“.

Wirklich ernst genommen werden dagegen die Big Player der Forschung wie die Fraunhofer Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft oder die Akademie der Wissenschaften acatech.

Foresight brauche „Mut und Unabhängigkeit“, postuliert Burmeister, „Ob das in einem Ministerium realisiert werden kann, muss bezweifelt werden“, setzt er hinzu. Foresight, die Vorausschau in die Zukunft, müsse Diskurse führen und Themen besetzen. Burmeister: „Hierzu braucht es eine Wissenschaftskommunikation auf der Höhe der Zeit“.

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