Experte zum UN-Hochsee-Abkommen: „Erfolg für größten Lebensraum“

Das Hochsee-Abkommen ist eine große Chance, sagt Manfred Santen von Greenpeace. Doch es dürfe nicht von nationalen Interessen überlagert werden.

Schildkröte im Meer.

Milliardensummen für den Meeresschutz: In New York und Panama hat es wichtige Einigungen gegeben Foto: ap

taz: Sie sind die halbe Nacht aufgeblieben, um von Hamburg aus die Verhandlungen zum Hochseeschutz-Abkommen zu verfolgen. Hat sich das gelohnt?

Manfred Santen: Hat es, und es war dramatisch. Freitagnacht wurden die Verhandlungen unterbrochen, Samstag früh fortgesetzt. Schließlich gab es keine Updates mehr, die Konferenzpräsidentin Lee aus Singapur verhandelte hinter verschlossenen Türen in Kleingruppen, nichts drang nach außen. Schließlich gab es, nach fünf Jahren zäher Verhandlungen und insgesamt fast 20 Jahren Vorbereitungen, ein Abkommen. Das ist ein riesiger Erfolg für den größten Lebensraum unseres Planeten.

Den genauen Text des Abkommens kennen wir noch nicht …

… stimmt, er muss juristisch geprüft und dann von den einzelnen Staaten ratifiziert werden. Die wirkliche Arbeit, das heißt die Umsetzung der Vereinbarungen, beginnt erst danach. Der Text stellt eine Art Rahmen da, der gefüllt werden muss.

Das bedeutet, der Rahmen könnte auch leer bleiben?

Im Vertragstext sind Regeln und juristische Aspekte festgehalten, die sehr zentral für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Biodiversität auf der hohen See sind. Jetzt kommt es stark darauf an, was die Staatengemeinschaft daraus macht, sprich: wie schnell und wie gut sie diesen Rahmen für den Schutz der Meere nutzt. Bis 2030 müssen mindestens 30 Prozent der Meere unter Schutz gestellt werden. Im Dezember wurde dieses Ziel in Montréal für die gesamte Erdoberfläche festgelegt, nun haben wir noch ein besonderes Instrument für die Hochsee. Das ist wichtig, denn diese fast 60 Prozent unserer Weltmeere waren bisher praktisch ein rechtsfreier Raum. Jetzt muss definiert werden, was der Begriff Schutzstatus bedeutet. Um das genau festzulegen, soll, ähnlich wie beim Klimaschutzabkommen, eine COP (Conference of the Parties) und ein wissenschaftliches Gremium eingerichtet werden. Das ist gut. Außerdem soll es kein Vetorechte geben. Staaten wie China oder Russland können nicht einfach die Einrichtung eines Schutzgebietes verhindern. In den Schutzgebieten darf unserer Ansicht nach künftig keine menschliche Nutzung mehr stattfinden, weder Fischerei noch Tiefseebergbau oder Öl- und Gasförderung.

hat für Greenpeace die Verhandlungen zum UN-Hochseeabkommen verfolgt. Der Chemiker ist Experte für Schadstoffe – und hat so auch öfter mit dem Meer zu tun.

Zeitgleich zur Konferenz in New York war der Meeresschutz Thema bei der „Our Ocean“-Konferenz in Panama. Was war wichtiger?

Wir waren zunächst irritiert, dass Umweltministerin Lemke nicht nach New York zu den Verhandlungen zum Hochseeschutzabkommen gereist ist, sondern nach Panama. Schließlich ging es in New York um ein historisches, globales Abkommen, in Panama nicht. Doch dort haben die teilnehmenden Staaten Milliardensummen für den Meeresschutz versprochen. Und wie konkret Lemke dort den Meeresschutz vorangetrieben und in ihrer Rede ihr Nein zum Tiefseebergbau bekräftigt hat, das war für Deutschland auf internationaler Bühne neu.

Werden sich an so ein Moratorium auch Russland und China halten?

Diese beiden Staaten sind natürlich entscheidend, sie haben die größten Fischerei­flotten. In der Arktis oder Antarktis kommen dann noch große Fischfangnationen wie Island, Norwegen und Japan dazu. In Montréal haben sich die Chinesen recht beweglich gezeigt. Wir hoffen, dass sich die Vertragsstaaten in den anschließenden Verhandlungen nicht um jeden Quadratkilometer streiten und das gute Ergebnis von den na­tio­nalen Interessen nicht überlagert wird. Letztlich ist alles nämlich eine Frage von strategischer Geopolitik – viel mehr als eine Frage des Ringens um einzelne Ressourcen. Wie sehr das Abkommen zum Schutz der hohen See auch auf den Schutz des Meeresbodens ausstrahlt, werden die Versammlungen und Entscheidungsgremien der Internationalen Meeresbodenbehörde zeigen, die im März und im Juli stattfinden. Dort kann Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und den Start des industriellen Tiefseebergbaus verhindern.

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