Experte über Manipulation im Tennis: „Warum im Drogenhandel bleiben?“
Sportradar-Geschäftsführer Andreas Krannich überraschen die vielen verschobenen Tennisspiele nicht. Er erklärt, was den Sportbetrug so attraktiv macht.
taz: Hallo, Herr Krannich ...
Andreas Krannich: Hallo. Eines nur vorab: Ich kann Ihnen nicht viel sagen.
Aber ich habe Ihnen ja noch nicht einmal eine Frage gestellt.
Ich sage das nur, um vielleicht zu hohe Erwartungen zu dämpfen. Wir haben in unseren Verträgen zur Überwachung von Sportmanipulation immer Vertraulichkeit vereinbart, um laufende Verfahren nicht zu gefährden.
Ein Manipulationsskandal, den die BBC enthüllt hat, sorgt ja heute für große Aufregung. Sind Sie überrascht?
Wir von Sportradar haben mit Tennis nicht soviel zu tun. Wir überwachen nur Spiele, die vom französischen Verband organisiert werden. Und da bin ich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Aber grundsätzlich: Uns überrascht leider gar nichts mehr.
Mehr können Sie nicht sagen.
Das ist ja das Frustrierende, wenn wir mit Medien sprechen. Ich könnte Ihnen so viel sagen. Wir haben jedes Jahr hunderte von manipulierten Veranstaltungen, die wir in elf verschiedenen Sportarten entdecken.
48, arbeitet in der Geschäftsführung von Sportradar. Das Unternehmen überwacht für Sportverbände (wie DFB, DFL, Uefa etc.) und für staatliche Ermittlungsbehörden den Sportwettenmarkt auf Betrugsversuche hin.
Dann erzählen Sie uns doch etwas zur allgemeinen Entwicklung – etwa auf dem Wettmanipulationsmarkt im Fußball.
Wir beobachten in den letzten Jahren einen Trend, verstärkt in der Winter- und Sommerpause, Freundschaftsspiele zu manipulieren.
Von welcher Größenordnung sprechen Sie?
In den letzten vier, fünf Jahren hat sich die Anzahl der verschobenen Partien verdoppelt bis verdreifacht. Das umfasst Spiele von Mannschaften unterschiedlichster Nationalitäten und Ligen.
Ist es nicht abstrus, dass dann ein einzelnes wahrscheinlich verschobenes Spiel – wie das zwischen Wehen und Gladbach II vergangene Woche – soviel Aufregung verursacht?
Diese Frage müssen sich die Journalisten stellen. Es wird viel zu sehr vereinfacht. Das Thema Manipulation im Sport nimmt in jedem Fall stark zu. Aber das ist ja keine neue Erkenntnis.
Sprich: Die Problematik wurde zu passiv angegangen?
Zehn Jahre nach der Schiedsrichterbestechungsaffäre Robert Hoyzer wird jetzt an einem Gesetzentwurf gearbeitet, der Sportmanipulation als Straftatbestand einführen will. Es ist schon erschreckend, dass das so lange gedauert hat.
Inwiefern würde das Ihre Arbeit erleichtern?
Es würde die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden erleichtern. Bislang haben sie Hilfstatbestände finden müssen, um agieren zu können.
Was muss noch getan werden?
Das große Problem ist doch: Es gibt bei Manipulationen oft eine Mannschaft, die kommt aus Land A, die spielt gegen ein Team aus Land B in einem Land C. Und die Schiedsrichter kommen aus einem Land D. Die Jungs, die hinter der Manipulation stecken, kommen aus Land E und die haben in Land F ihr Geld gesetzt. Wer hat die juristische Zuständigkeit für den Fall?
Schwierig.
Die internationale Koordination muss nach vorne gebracht werden. Der Europarat hat 2014 eine Konvention verabschiedet. Sportverbände und Strafverfolgungsbehörden sollen demnach über die Grenzen hinweg international miteinander zusammenarbeiten, um gegen Sportmanipulation besser vorgehen zu können. Das ist ein erster Schritt.
Die Rechtslage müsste auch angeglichen werden.
Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel sind im Unterschied zum Sportbetrug Straftatbestände. Warum also im Drogenhandel bleiben, wenn sich mit Sportbetrug so schnell und gefahrlos höhere Gewinne erzielen lassen?
Warum treten Sie für Ihr Anliegen nicht mehr öffentlich auf?
Wir exponieren uns nicht. Was qualifiziert uns, in der Angelegenheit den moralischen Zeigefinger zu heben? Wir sind Dienstleister, die über ihre Arbeit versuchen, dem „Krebsgeschwür“ der sportwettbezogenen Manipulation Paroli zu bieten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen