Experte über „Demokratie leben“: „Die Probleme sind gewachsen“
Der Bund plant erneut 115,5 Millionen Euro für demokratiefördernde Projekte. Das ist zu wenig, sagt Josef Blank von der Gesellschaft für Demokratiepädagogik.
taz am wochenende: Herr Blank, der Etat der Bundesregierung für demokratiefördernde Projekte bleibt unverändert. Im kommenden Jahr sind 115,5 Millionen Euro für das Programm „Demokratie leben“ eingeplant. Warum ist das immer noch zu wenig?
Josef Blank: Weil die Herausforderungen und Probleme, vor denen wir stehen, im gleichen Zeitraum in ungleich größerem Maße angewachsen sind. Wir haben ein gesellschaftliches Klima, in dem sich rechtes Gedankengut und Alltagsrassismus bis in Schulen und Bildungseinrichtungen hinein massiv verstärkt haben, dazu kommen neue Themen wie Onlinemobbing und Hate Speech. Deswegen sind alle Organisationen viel mehr Anfragen konfrontiert, zum Teil mit doppelt so vielen wie früher. Der Mittelzuwachs von „Demokratie leben“ reicht einfach nicht aus.
Wirken sich Zäsuren wie der rechtsextremistische und antisemitische Anschlag in Halle auf Förderstrukturen aus?
Zäsuren führen zwar dazu, dass es kurzfristig eine intensivere Debatte in Politik und Gesellschaft zu der Frage gibt, was man langfristig gegen die Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas tun muss. Wenn die öffentliche Aufmerksamkeit dann abebbt, verschwinden diese Debatten aber auch schnell wieder.
Wie kann eine nachhaltigere Demokratieförderung aussehen?
Sie bräuchte vor allem langfristige Strukturen. Momentan werden Projekte zeitlich begrenzt gefördert, eine Folgeförderung ist nur möglich, wenn die Projekte deutlich umgestaltet werden. Das heißt: Wir haben eine Förderstruktur, in der gute Projekte entwickelt und erprobt werden, und wenn sie funktionieren und man auch weiß, dass sie funktionieren, muss man sie wieder verändern.
Und auf struktureller Ebene?
33, ist geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik e. V.
Brauchen wir auch eine Förderung von Organisationen und Strukturen. Weil die Mitarbeitenden bei der Projektförderung nur für dieses eine Projekt arbeiten dürfen, haben alle Organisationen große Probleme, das Personal zu finanzieren, das darüber hinaus notwendig ist, um neue Projekte zu entwickeln und die bestehenden zu verwalten. Das ist eine dauerhafte Mangelwirtschaft.
Eine der Neuerungen von „Demokratie leben“ ist die Einführung sogenannter Partnerschaften für Demokratie, bei denen das ehrenamtliche Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gefördert wird.
Das ist unglaublich wichtig für den Zusammenhalt in der Gesellschaft, ersetzt aber nicht ein professionelles, hauptamtliches und dauerhaftes Engagement von Expertinnen und Experten. Eigentlich könnten sich diese beiden Förderbereiche wunderbar ergänzen, momentan führt es aber leider dazu, dass zwar viele punktuelle Projekte gestärkt werden, aber der hauptamtliche Einsatz für die Demokratieförderung geschwächt wird.
Viele Organisationen kritisieren auch die geplante Verteilung der Gelder. Anstatt an Bund und Länder soll künftig mehr Geld an die Kommunen gehen. Welche Folgen könnte das haben?
Über die Vergabe dieser Fördertöpfe entscheidet ein Begleitausschuss in der Kommune. Gut an „Demokratie leben“ ist, dass dieser Ausschuss überwiegend zivilgesellschaftlich besetzt ist. Aber nichtsdestotrotz sind dort auch Kommunalpolitikerinnen und -politiker eingebunden. An vielen Orten sehen wir schon jetzt, dass es eine Angst davor gibt, die AfD gegen sich aufzubringen. Die große Gefahr ist: Wenn das gesellschaftliche Klima in einer Kommune schon kaputtgegangen ist, werden auch Förderentscheidungen ängstlich getroffen.
Rassismus und Antisemitismus haben sich modernisiert und verbreiten sich nicht zuletzt durch die digitale Vernetzung. Muss sich auch die Demokratieförderung modernisieren?
Auf jeden Fall. Was wir brauchen, ist eine Struktur, in der wir ausprobieren, was funktioniert – und dann die Möglichkeit, diese erfolgreichen Projekte in die Breite tragen zu können. In meinem Hauptarbeitsfeld Schule haben wir sehr viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die gute Demokratiearbeit machen. Aber das sind eben nur die, die sich selbst um Weiterbildungen kümmern. Ob ein Kind in der Schule tatsächlich Demokratie lernen und leben kann, hängt also vom Zufall ab. Um die Demokratie flächendeckend zu fördern, brauchen wir also eine staatlich sichergestellte Demokratiearbeit.
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Was braucht es noch?
Wir müssen unsere Methoden und Projektansätze modernisieren, stärker in den digitalen Raum gehen und auf Dialogarbeit setzen. Und wir brauchen Fortbildungsinitiativen, müssen neue Zielgruppen erschließen. Pädagoginnen und Pädagogen müssen lernen, wie sie mit demokratiefeindlichen Äußerungen und Handlungen umgehen. Eine Mathelehrerin kann heute nicht mehr sagen: Mir ist es egal, wenn sich ein Schüler rassistisch äußert oder den Hitlergruß zeigt. Das ist nicht mein Fachgebiet. Auch von diesen Lehrerinnen und Lehrern ist Grundrechteklarheit und ein Eintreten für die Grundwerte gefragt. Sie haben das aber in ihrer Ausbildung nie gelernt, höchstens, wenn sie Politik unterrichten. Die Demokratieförderungen kann nicht mehr nur Aufgabe von Spezialisten sein, sondern muss Daueraufgabe von allen Pädagoginnen und Pädagogen in allen Bildungseinrichtungen werden.
Seit zwei Jahren kämpfen einige Politiker*innen für ein Demokratiefördergesetz. Heiße Luft oder Hoffnungsschimmer?
Wenn mit dem Demokratiefördergesetz tatsächlich eine langfristige Finanzierung von Projekten und Strukturen möglich wird und wir endlich aus diesem Teufelskreis von zeitlich begrenzter Projektförderung ausbrechen können, dann wäre das ein wichtiger Meilenstein für die Demokratiearbeit.
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