Experte Groß über Ausländerwahlrecht: „Es ist Sache der Länder“

Bremen will Ausländern Stimmrecht geben: Freitag prüft der Staatsgerichtshof den Gesetzentwurf. Experte Thomas Groß erklärt, warum der gute Chancen hat.

Anna Netrebko und Rolando Villazón mögen noch so schöne Stimmen haben - abgeben dürfen sie die bisher nicht. Bild: dpa

taz: Herr Groß, was macht es so schwierig, in Deutschland lebenden Ausländern das Wahlrecht zu geben?

Thomas Groß: Die Frage ist, ob sich das mit dem Grundgesetz vereinbaren lässt. Um das zu prüfen, hat die Bremische Bürgerschaft den dortigen Staatsgerichtshof angerufen: Die traditionelle Auffassung ist ja, dass nur eigene Staatsangehörige auch an der Zusammensetzung der Parlamente mitwirken dürfen.

Das steht im Grundgesetz?

Nicht ausdrücklich – dort ist nur das Demokratieprinzip verankert, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen muss. Aber das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass dieses Wahlvolk „von den Deutschen gebildet“ werde.

Das war, als Hamburg das Wahlrecht für Ausländer einführen wollte?

Hamburg und Schleswig-Holstein: Es waren zwei Urteile, die 1990 am selben Tag verkündet wurden.

49, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung an der Uni Osnabrück, ist dort seit 2012 Mitglied des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS).

Und mittlerweile gibt es Zweifel an dieser Interpretation?

Diese wohlwollend gesagt ethnozentrische Auslegung war schon damals nicht unumstritten. Es gab auch damals schon Fachleute, die meinten, dass sich das Wahlrecht als Individualrecht besser fassen ließe und nicht an die Abstammung zu knüpfen wäre.

In Ihrer Stellungnahme für den Bundestag zu diesem Thema hatten Sie die Menschenwürde als Wurzel der Demokratie bestimmt. Jetzt differenziert aber auch der Bremer Entwurf zwischen Ausländern, denen man nur erlauben will, auf kommunaler Ebene mitzubestimmen, und EU-Angehörigen, die sogar das Landtagswahlrecht bekommen sollen. Wie kann man denn das Wahlrecht als Ableitung aus der unteilbaren Menschenwürde teilen?

Es gibt ja weiterhin Unterschiede zwischen Wahlrecht und Menschenwürde. Diese ist ein allgemeines Grundprinzip und gilt für jeden immer und überall. Ein völlig entgrenztes Wahlrecht zu fordern – so weit geht, glaube ich, keiner: Das hieße ja, es müsste jeder Mensch hier wählen dürfen …

sogar Touristen?

Eigentlich sogar Menschen überall auf der Welt. Das wäre nicht sinnvoll. Es muss schon durch sachgerechte Kriterien limitiert werden – etwa durch eine bestimmte Aufenthaltsdauer.

Aber die Unterscheidung EU-Bürger und Nicht-EU-Bürger greift ja doch auf ein erweitertes Staatsbürgerprinzip zurück.

Diese Unterscheidung ist ausdrücklich in Artikel 28 des Grundgesetzes eingeführt worden, weil es europäischem Recht widersprach, EU-Bürgern von der Mitgestaltung auszuschließen. Das ist also unproblematisch, und es hat gezeigt, dass eine solche Ausweitung nicht das Demokratieprinzip als solches berührt ...

das durch die Ewigkeitsklausel geschützt gewesen wäre?

Genau: Das Demokratieprinzip ist durch das Grundgesetz selbst der gesetzgeberischen Gestaltung entzogen. Wenn das aber für den Volksbegriff nicht zutrifft, wenn der geändert werden kann – dann liegt es, das ist meine Interpretation, in der Kompetenz der Länder, zu definieren, wer in ihnen wahlberechtigt ist: Das Grundgesetz schreibt ihnen nur vor, das Demokratieprinzip zu verwirklichen.

Aber genau darüber hat doch das Bundesverfassungsgericht 1990 entschieden!

Auch das Bundesverfassungsgericht ändert mitunter seine Meinung.

Wieso sollte es?

Es kommt zwar ausgesprochen selten vor, aber es ist nicht ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht reagiert dann auf gesellschaftliche Veränderungen, die in diesem Fall ja offenkundig sind: Einerseits ist die Zahl gerade der Bürger, die nicht aus der EU stammen, aber dauerhaft hier leben, seit 1990 stark gestiegen. Trotzdem wird ihnen ein wichtiges Mitwirkungsrecht vorenthalten. Und zugleich hat sich die Bewertung dieses Zustands geändert.

Woran machen Sie das fest?

Das zeigen nicht zuletzt die Initiativen für ein Ausländerwahlrecht auf Landesebene – wie die in Bremen.

Mündliche Verhandlung: Freitag, 31. 1., 9.30 Uhr, Staatsgerichtshof
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