Exil-Kunst in Hamburg: Ästhetischer Übersetzer
Khaled Barakeh setzt sich mit Konflikten und ihrer Befriedung auseinander, mit Folter und Flucht – und mit all den Erwartungen, die sich an ihn richten.
Rechtsrum ist richtig. Wenn auch nur bei der Uhr. Doch im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe geht das auch genau andersrum: Dort hängt eine linksgängige Uhr mit indischen Ziffern. Aber ist die Zeit, die Khaled Barakeh damit anzeigt, auf diese Weise eine ganz andere?
„One hour is sixty minutes“, konstatiert diese Arbeit des syrischen Künstlers gleichmacherisch. Sie zeigt, dass selbst ein grundlegend scheinender Unterschied oft nichts anderes ist, als eine andere Art der Problemlösung. Es ist eine durchaus reflexive Installation, die durch einen über Eck hängenden Spiegel zudem wieder in das gewohnte Bild des Uhrzeigersinns reflektiert wird.
Mit Witz und nicht ohne didaktischen Hintersinn begegnen alle konzeptionellen Arbeiten dieser Ausstellung der Irritation durch Fremdes. „Die blaue Stunde“ heißt die Schau von etwa zwanzig Werken zu aktuellen Konflikten, zu der Tobias Mörike, der neue Kurator der seit den Gründertagen bestehenden Islam-Abteilung des Schatzhauses am Steintor, den 1976 in Damaskus geborenen Künstler eingeladen hat. Der Titel bezieht sich weniger auf die romantische Verklärung der Dämmerung, in der zwischen Tag und Nacht die Konturen verschwimmen, als auf die Ungewissheiten und Brüche jedweden Übergangs.
Dauernde Krise und kulturelle Differenz
„Die blaue Stunde“: bis 13. Januar 2019, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe; „In Between“: bis 12. Januar 2019, Galerie Postel, Rutschbahn 2, Hamburg
Die Dauerkrise in seinem Geburtsland, die weltweite Migration und die Erfahrung kultureller Differenzen sind die Kernthemen des seit zehn Jahren in Deutschland lebenden und an der Berliner Universität der Künste unterrichtenden Künstlers. Für den allzu engen Zusammenhang von Macht und Tod hat er ein einfaches Zeichen aus geschichtsgesättigtem Holz gefunden: Eine originale Leichenbahre aus Syrien hat er zu einem gestürzten Thron umgearbeitet.
Denn der Krieg begann mit dem Machtmissbrauch des Systems und dessen Geheimgefängnissen. An die Opfer von dortigen Misshandlungen erinnert eine ganze Fotowand. Aber die Hunderte von herausgeschmuggelten Fotos von Folteropfern werden nicht direkt gezeigt, sondern in der Reihe der kleinen Fotorahmen sind nur die Metadaten der Aufnahmen angegeben: Leid ist im Bild nicht direkt darstellbar, sehr wohl aber im Kopf vorstellbar.
So schneidet Barakeh auch aus den Bildern von Trauernden die Körper der Toten heraus: Aus der distanzierten Dokumentation eines historischen Ereignisses wird so eine fast schmerzhaft wirkende Leerstelle, die Metapher des unwiederbringlichen Verlustes, wie sie trotz der von Fotoreportern oft gewählten Anklänge an die Ikonologie der christlichen „Pietà“-Darstellung im Abbild allein nur schwer zu vermitteln ist.
Sicher ist dabei auch eine Kritik am latenten Voyeurismus der Bildmedien zu erkennen. Und die könnte zudem auf die generell stark ablehnende Haltung zum Abbild im islamischen Kulturkreis bezogen werden. Solche vielleicht nur klischeehaft vermuteten kulturellen Unterschiede drängen sich immer wieder auf. Auch das vorschnelle Deuten von leicht ornamental geschwungenen Chiffren als orientalische Kalligrafie erfolgt wohl nur im Wissen um die Herkunft des Künstlers.
Der aber weiß mit solchen Erwartungen zu spielen: Tatsächlich abstrahieren diese Drucke die Spuren der Rückenverletzungen eines befreundeten Verhöropfers. Auch westlich abstrakte Malerei ist in der Ausstellung vertreten. Doch auch dieses scheinbare Bild ist etwas anderes: Es entstand durch das in den Kissenbezug geweinte Make-up einer Trauernden.
Objekt gewordene Entfremdung
Dass es Barakeh um allgemeine Erfahrungen von Auseinandersetzungen, von Ab- und Ausgrenzungen geht – und nicht nur um Syrien –, zeigt seine ausführliche Beschäftigung mit dem Nordirlandkonflikt. In Derry/Londonderry steht die Statue „Hands across the Divide“ von Maurice Harron: Ein Protestant und ein Katholik setzen da zu einem Handschlag an, jedoch ohne sich wirklich zu erreichen. Barakeh nun lässt Repliken dieser Figuren auf verschiedenen Uhren gegeneinander kreisen oder materialisiert die Distanz zwischen den Händen zu einer Keramik: Objekt gewordene Entfremdung.
In einer anderen Arbeit zitiert er die historische japanische Reparaturtechnik des Kintsugi: Wie dort bei zerbrochenem Porzellan werden hier die politisch umkämpften oder vermauerten Grenzen dieser schäbigen Welt auf einer Karte als mit Gold markierte Bruchlinien gezeigt – vielleicht mit Hoffnung auf „Heilung“ wie im japanischen Vorbild.
Barakeh dekonstruiert auch das über alle Notwendigkeiten weit hinausgewachsene Monster der Bürokratie und dessen Schmuckformen. So zeigt er die Wasserzeichen des syrischen Passes. Es sind Architektursymbole der großen historischen Vergangenheit des Landes, die staatliche Identität stiften sollen, im Exil aber langsam verblassen. Zudem sind darunter einige, die in der Realität ebenfalls aus identitätspolitischem Kalkül nunmehr schwere Zerstörungen erleiden mussten, wie beispielsweise die Tempel und Grabestürme der antiken Wüstenmetropole Palmyra.
Eine an Urkundenfälschung grenzende Selbstermächtigung kann in der Arbeit gesehen werden, in der Barakeh aus den Stempelabdrücken in seinem Reisepass die Stempel der Behörden rekonstruiert und in landestypischem Holz nachgebaut hat.
Interkulturelles Versöhnungsprojekt
Eine interkulturelle Versöhnungsaktion ist das das Publikum miteinbeziehende Projekt „The Aperture“. Hier wird das deutsche Grundgesetz in arabischer Kalligrafie auf Blätter geschrieben, die in Syrien im Stil islamischer Buchmalerei gerahmt und ornamental geschmückt wurden. Doch wirklich lesen können wird diese gemeinsamen Grundlagen anschließend doch wieder nur ein spezieller Teil der Gesellschaft.
Doch das macht nichts. Denn diese Kunst leistet insgesamt sehr viel an ästhetischer Übersetzungsarbeit. Und Barakeh ist unermüdlich: In der Galerie Postel im Hamburger Uni-Viertel hat er gerade die Ausstellung „In Between“ mit vier syrischen Exil-KünstlerInnen kuratiert, er sammelt im „Syria Cultural Index“ die verbliebene Künstlerschaft im Virtuellen und er plant zukünftig eine Exil-Biennale syrischer Kunst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft