piwik no script img

Ex-Profi über Homophobie im Fußball„Das kann krank machen“

Die Ex-Bundesligaspielerin Friederike Wenner hatte ihr Coming-Out mit 20. Später hörte sie mit dem Fußball auf – das Umfeld war zu lesbenfeindlich.

Hatte keine Lust, ihr Lesbischsein zu verstecken: Ex-Fußballerin Friederike Wenner. Foto: Kerstin Rolfes

taz: Frau Wenner, Sie waren 1990 mit 15 Jahren die bisher jüngste Torhüterin der Bundesligageschichte und haben 2002 ein Buch über die Coming-Outs frauenliebender Frauen geschrieben. Wie ist es, als Fußballerin ein Coming-Out zu machen?

Friederike Wenner: Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, in der lesbisch ein Schimpfwort war. In den Neunzigern gab es nur Hella von Sinnen und Martina Navrátilová. Allein der erste schwule Kuss in der Lindenstraße hat 1992 einen Shitstorm – also damals jede Menge Zuschauerbriefe – ausgelöst. Und im Frauenfußball war damals ein ungeschriebenes Gesetz: „Das ist kein Thema für die Öffentlichkeit.“ Deswegen dachte ich vor der Buch-Veröffentlichung: Die werden mich ganz schön durchs Dorf jagen. Aber es war gar nicht so. Es war ungefähr wie bei jedem Coming-Out einer Spielerin seither: Nationaltorhüterin Nadine Angerer sagt, sie liebt nicht nur Männer und in China fällt ein Sack Reis um. Weder wird Frauenfußball seitdem anders bewertet noch sind Sponsoren abgesprungen.

Andererseits ist Frauenfußball noch immer stereotypisiert: Viele sprechen noch immer von Spielerinnen als „lesbischen Mannsweibern“. Warum?

Der Fußball hierzulande unterliegt bis heute starken Männlichkeitsnarrativen. Womöglich brauchen einige immer noch diese Selbstaufwertung, indem sie Frauen generell abwerten. Und gleichzeitig steckt ein Körnchen Wahrheit drin: In den Siebzigern und Achtzigern war es komplett untypisch, als Frau Fußball zu spielen. Das haben eher diejenigen gemacht, die sich selbst schon in Rollen wahrnahmen, die man eigentlich Männern zuschrieb.

Hat sich das geändert?

Es hat sich mit den ersten Sportinternaten geöffnet. Irgendwann war es nicht mehr notwendig, eines von den herben Mädchen zu sein, um Fußball zu spielen. Heute kann das jede Frau tun, die Fußball spielen will. Ich fand es erst schon irritierend, dass in der aktuellen Nationalmannschaft keine Kurzhaarige spielt. Aber gleichzeitig kann ich ja nicht hingehen und sagen: „Mädels, ihr seht mir nicht lesbisch genug aus.“

Im Interview: Friederike Wenner

Jahrgang 1974, spielte von 1990 bis 2001 in der Frauen-Fußballbundesliga oder knapp darunter. Stieg einmal mehr auf als ab und beendete nach drei Klassenerhalten und zwei verpassten olympischen Spielen ihre sportliche Laufbahn. Die studierte Städtebauerin war gut zehn Jahre lang Texterin und Designerin. Inzwischen ist sie freiberufliche Beraterin und eine von zwei hauptamtlichen Geschäftsführenden im Queeren Netzwerk Niedersachsen. 2002 veröffentlichte sie zusammen mit Meike Watzlawik „...und ich dachte, Du bist schwanger! – Frauen erzählen ihr Coming-out“.

Wie alt waren Sie bei Ihrem Coming-Out?

Mein Coming-Out war eine Aneinanderreihung von Versuchen. Mit 16 oder 17 habe ich kapiert, dass ich lesbisch bin. In der Zeit hatte ich es schon meiner Mutter erzählt. Es war aber noch alles theoretisch: Eine Freundin hatte ich noch nicht. Meine Coming-Out-Kernzeit war dann um mein Abitur herum: Es war Mitte der Neunziger, ich war 20. Bei meinem damaligen Verein Bad Neuenahr wurde da aber nicht groß drüber geredet. Viele fantasierten, lesbische Spielerinnen würden Zuschauer vergraulen und komische Voyeure anlocken.

Wie war es, bevor Sie sich offenbarten?

Bis 14 durfte ich bei den Jungs mitspielen, danach musste ich zu den Frauen wechseln. Mein Torwarttrainer gab mir den Tipp: „Gehe bloß nicht zur Wiehre, da sind die alle andersrum.“ Ich bin dann zum TuS Binzen gegangen, weil die keine Torhüterin hatten und ich unbedingt weiter im Tor spielen wollte. Mein Trainer war ein herzensguter Mensch, der mit seinem Ratschlag mein Wohl im Blick hatte. Aber bei vielen Heterosexuellen fehlt der Gedanke: „Was macht das eigentlich mit jungen Menschen, wenn ich ihnen sowas sage?“

Was hat es mit Ihnen gemacht?

Ich bin insgesamt sehr selbstverständlich davon ausgegangen, dass lesbisch sein nicht richtig ist, sondern etwas Falsches, Ekeliges, Krankes. Das musste niemand groß aussprechen. Das steckte implizit in den Handlungen: Als ich in Binzen auf einem Weinfest mit der Mannschaft saß, sagte eine Spielerin: „Wir wissen um das Vorurteil, dass Fußballerinnen alle Lesben sind. Aber wir haben keine Einzige.“ Witzigerweise war die, die das gesagt hatte, dann die erste, die eine Freundin hatte. Alle, denen ich damals vertraute, haben mir signalisiert, dass sie nicht drüber reden wollen. Das verhindert schlimmstenfalls einen entspannten Umgang mit sich und kann krank machen. Mir gab es das Gefühl von Einsamkeit und ich wollte auf komische Art und Weise dann auch allen beweisen: Ich bin nicht lesbisch, nur weil ich Fußball spiele. (lacht) Hat nicht wirklich hingehauen.

Wie lange haben Sie das ausgehalten?

Naja, bis ich meine erste große Liebe traf mit 20 … Dann war es lange okay so, wie es war. Als ich 2000 für die Aufstiegsrunde zum FFC Heike Rheine wechselte, habe ich mir gesagt, ich bin jetzt fertig mit diesen Coming-Outs und lebe einfach, wie ich bin. Wenn ich mit meiner Freundin Hand in Hand von der Kabine nach dem Spiel zum Auto gehe, dann ist das für mich normal. Das machen Heteros ja auch, ohne sich zusätzlich als Hetero zu bezeichnen. Die Reaktionen waren gemischt. Einige sagten: „Boah, bist du mutig.“ Andere sagten „Ich weiß nicht, ob das gut für uns ist.“ oder „Ich kann dich verstehen, aber ich will nicht für eine Lesbe gehalten werden.“ Insgesamt war das Team in Rheine aber lockerer drauf.

Lockerer als …?

Danach spielte ich beim WSV Wolfsburg-Wendschott und kam immer mehr an den Punkt, dass ich in diesem Klima nicht mehr spielen wollte. Es gab da ziemlich krasse Aussagen wie: „Lesben schaden dem Frauenfußball!“ Auf einmal gab es in meinem Team die Trennung zwischen wir und ihr und meine Trainerin ließ mir mitteilen, ich dürfe ja jede Zuschauerin nach dem Spiel umarmen, aber nicht meine eigene Freundin. Wolfsburg habe ich damals als ein ziemlich homophobes Frauenfußball-Team wahrgenommen. Das war die erste Mannschaft, bei der es tatsächlich ein Geheimnis war, wer lesbisch war. Und die, die damals am lautesten „Ihr macht uns den Fußball kaputt!“ gerufen hat, habe ich einige Jahre später bei L-Beach, einem lesbischen Festival an der Ostsee, getroffen. Jedenfalls war das damals einer der Gründe, warum ich relativ früh aufgehört habe, wenn auch längst nicht der einzige.

Gab es keine Möglichkeit, beides überein zu bringen?

Fakt ist: Ich hab damals lesbische Frauen kennengelernt, die überhaupt nichts mit Fußball zu tun hatten. Bei ihnen merkte ich, dass es auch ganz anders geht: Das ganze „Du darfst das nicht erzählen“ und „Das ist schädlich“ gab es bei ihnen nicht. Dadurch hatte ich immer weniger Lust, in einer so lesbenfeindlichen Umgebung zu sein – obwohl mir Fußball sehr lange total wichtig war. Ich habe meinen Wohnort nach dem Sport ausgerichtet, länger studiert und selbst Beziehungen sind zerbrochen, weil ich so viel unterwegs war.

War es ein bitterer Abschied?

Ich habe damals angefangen zu schreiben und war nach dem Ende meiner Bundesliga-Zeit total produktiv. Aufzuhören hat mir also einen neuen Freiraum gegeben, mich zu entwickeln, und das ist überhaupt nicht bitter. Ich habe 20 Jahre lang Fußball gespielt, deswegen war es natürlich auch ein trauriger Abschied. Gleichzeitig hat die Situation in Wolfsburg es mir auch leichter gemacht zu gehen.

Bei der Heim-WM 2011 war bekannt, dass mehrere Nationalspielerinnen lesbisch waren. Stimmt der Eindruck, dass das in der Öffentlichkeit als normal wahrgenommen wurde und akzeptiert war?

Ach, irgendwann kam ein „Wieso ich hab das doch nie verschwiegen, ist doch nichts Besonderes“. Dass unsere Bundestrainerin Steffi Jones jetzt mit ihrer Frau öffentlich präsent ist – ich habe ja auch in Bad Neuenahr mit ihr gespielt – das entspricht überhaupt nicht der Art, wie wir alle uns Ende der Neunziger verhalten haben. Inzwischen gibt es etwas mehr öffentliche Präsenz, aber auch einen Rollback bei den Zuschauerreaktionen.

Inwiefern?

Bei der EM hieß es auf einmal am virtuellen Stammtisch auf Twitter: „Frauen können halt nicht Fußball spielen – guck dir das doch an.“ Das habe ich in diesem Maß seit den Achtzigern nicht mehr gehört. Hinzu kommt, dass die mediale Berichterstattung oft immer noch unerträglich ist. Bernd Schmelzer vom ZDF kommentiert auch im Jahr 2017 das Aussehen der Spielerinnen oder muss wohl sagen, dass sie besonders gut die Zähne zusammenbeißen und dass das doch bestimmt besonders doll weh getan hat. Also ein Verständnis von Frauensport hat …

… das schon ein bisschen älter ist …

… naja, es findet ja jetzt statt. Das ist leider nur eine Fantasie von uns, dass diese Ansichten von früher sind. Comedians wie Mario Barth befeuern heute, dass Männer vom Mars und Frauen von der Venus sind. Auf die vermeintlich großen Unterschiede zwischen Mann und Frau zu setzen, ist eine gesellschaftliche Realität, die sich in den letzten 20 Jahren wieder stark entwickelt hat. Gendermarketing hilft, in einem Land mit einer niedrigen Geburtenrate noch mehr Spielzeug zu verkaufen. Bei „Germany’s Next Topmodel“ heißt es in jedem Intro: „Der Traum aller Mädchen ist es, Topmodel zu werden.“ Nein, wir wollen auch Astronautin werden, Bundeskanzlerin, Profifußballerin. Es gibt so viele andere Dinge. Die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und Zuschreibungen sind wieder stereotyper geworden: Beim Frauenabend im Kino gibt es Prosecco, bei den Männern Bier. Und dann kommen „besorgte Eltern“, mit einem rosa und einem blauen Ballon in der Hand und sagen, wir queeren Menschen seien die mit dem Genderwahn.

Würden Sie sagen, dass es diesen Backlash auch derzeit im Frauenfußball gibt?

Als nicht mehr Aktive kann ich das nicht mehr ganz beurteilen: Ich freue mich sehr, dass Nilla Fischer für den VfL Wolfsburg mit der Regenbogen-Kapitänsbinde aufläuft. Das hat mir echt noch mal gut getan, weil ich gesehen habe, dass sich auch bei Wolfsburg was geändert hat. Coming-Outs sind im Frauenfußball selbstverständlich und die Frau oder Freundin wird heute kurz in einem Nebensatz erwähnt. Während immer noch alle darauf warten, dass ein aktiver männlicher Fußballprofi sich outet.

Inwiefern ist der Männerfußball da rückschrittlicher als der Frauenfußball?

Bei den Männern sagen die aktiven Funktionäre: „Also ich würde mich nicht outen. Das wird richtig schlimm.“ Also genau das, was ich in den Achtzigern in Südbaden gehört habe. Es gab eine kurzzeitige Phase in Theo Zwanzigers Ära als DFB-Präsident, da hat er sich unter anderem um Homophobie gekümmert. Meine Wahrnehmung war, dass er da bereits ein Fremdkörper in diesem System war. Seitdem er weg ist, macht der DFB wieder „business as usual“.

Auf der anderen Seite gibt es auch die Biografie von Justin Fashanu, dem ersten aktiven Fußballprofi, der medial geoutet wurde. Zuvor hatte dessen Trainer Brian Clough ihn vor versammelter Mannschaft als „verdammte Schwuchtel“ beschimpft und sich später verantwortlich dafür gefühlt, dass Fashanu sich Jahre später umbrachte. Sein öffentliches Outing hat zumindest sein Leben nicht leichter gemacht.

Aber es ist trotzdem falsch, dass alle darauf warten, wann sich der schwule Mann outen wird und gleichzeitig davor warnen. Die Ironie ist doch, dass viele Fankurven schon lange Regenbogen-Choreos machen. Es gibt linke Ultras, die politisch und reflektiert Themen diskutieren. Aber natürlich hat der Männerfußball ein Problem. Das zeigen solche Begebenheiten, wie damals Roman Weidenfeller vom BVB, der den Schalker Gerald Asamoah als „schwarze Sau“ beschimpft haben soll und dann milder bestraft wurde, als er darauf bestand, nur „schwule Sau“ gesagt zu haben.

Was für Maßnahmen bräuchte der Fußball konkret, um Vorurteile gegen Homosexuelle abzubauen?

Die Männlichkeitsforscherin Almut Sülzle sagte dazu neulich: „Um Homophobie im Männerfußball abzubauen, muss man den Frauenfußball stärken und Männlichkeitsquatsch abbauen.“ Außerdem müssen Trainer und Mitspieler sagen: „Homosexualität ist für mich in Ordnung und ich würde meinen Mitspieler verteidigen, wenn jemand was gegen ihn sagt.“ Und vielleicht, wenn ich jetzt mal einen wilden Vorschlag machen darf, sollte im Fernsehen einfach nur noch halb so viel Männerfußball laufen, weil das inzwischen total redundant und selbstreferenziell ist.

Wie könnten öffentlich-rechtliche Sender dabei helfen?

ARD und ZDF müssten zumindest ihre Narrative reflektieren und aufhören, die Investitionshöhe in Übertragungsrechte mit Relevanz zu verwechseln. Diese festgefahrene und überhöhte Männlichkeitskultur beim Fußball müsste aufhören: Auch die durch das Fußballkultur-Magazin 11 Freunde aufkommende Intellektualität ist letztlich in der Nische geblieben. Am Samstagabend zeigt die Sportschau Männerfußball, das Aktuelle Sportstudio zeigt am selben Abend noch mal das Gleiche. Wir sind ein Land mit 80 Millionen Einwohnern, nicht alle interessieren sich für Fußball. Und das ist auch gut so.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!