Ex-Präsident der Ukraine gestorben: Zwischen den Regentropfen

Leonid Krawtschuk war der erste Präsident der unabhängigen Ukraine. Er wurde vom Sowjet­propagandisten zum Nato-Lobbyisten. Nun ist er gestorben.

Leonid Krawtschuk Porträt

Leonid Krawtschuk 2019 Foto: Olena Khudiakova/imago

Es war ein weiter Weg, den Leonid Krawtschuk in seinem politischen Leben gegangen ist. Zu Sowjetzeiten Chef der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei in der Ukraine, gehörte er neben Boris Jelzin und dem belarussischen Präsidenten Stanislau Schuschkewitsch zu dem Dreiergespann, dass 1991 die Sow­jetunion für tot erklärte. Nach seinem Rücktritt als erster Präsident der unabhängigen Ukraine 1994 wurde er einer der wichtigsten Wortführer einer ukranischen Nato-Mitgliedschaft.

Bis kurz vor seinem Tod hat Krawtschuk, Jahrgang 1934, mit seinen häufigen Auftritten im Fernsehen einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Ukraine ausgeübt. Sein letztes Amt war der Vorsitz der ukrainischen Delegation bei den Gesprächen in Minsk mit Russland und der OSZE über eine Regelung des Donbass-Konfliktes. Doch aus gesundheitlichen Gründen konnte der Mann, der im Sommer 2021 am Herzen operiert worden war, dieses Amt kaum noch ausfüllen.

Sein Erfolgsrezept sei einfach, hatte er einmal in seinen frühen Jahren gesagt. Um politische Aufgaben zu lösen, müsse man einfach nur zwischen den Regentropfen hindurch­gehen. Dass er auch gerne zwischen Regentropfen hindurchging, um Macht und Einfluss zu behalten, musste er nicht laut sagen.

Zwar hatte er in seiner universitären Laufbahn früh einen Doktortitel der Wirtschaftswissenschaften erhalten, doch schon bald zog es ihn in die Politik, 1958 trat er in die Kommunistische Partei ein. Ab 1971 hatte er verschiedene Führungspositionen bei der Kommunistischen Partei der Ukraine, die zur KPdSU gehörte. Zuletzt, 1988, leitete er die Propagandaabteilung der KP der Ukraine. Doch er hatte schnell begriffen. Nach dem Augustputsch 1991 verließ er die Kommunistische Partei, kämpfte für die Unabhängigkeit der Ukraine und wurde als Parteiloser im August 1991 mit 61,59 Prozent im ersten Wahlgang zum ersten Präsidenten der unabhängigen Ukraine gewählt.

Russland austricksen

Seine List, sein diplomatisches Geschick, sein Tricksen, sein Gespür für das politisch Machbare werden dem Land fehlen. 2019 hatte er gegenüber dem Journal NV erklärt, wie seine Maxime, „zwischen den Regentropfen zu gehen“, auch auf den Donbass-Konflikt angewendet werden könnte. Er habe immer verstanden, dass Russland einen Grund haben könne, einen Krieg in der Ukraine zu entfesseln, „aber ich habe gedacht, wir können Russland austricksen“. Konkret hieße dies, dass man auf die östlichen Regionen nicht so einen Druck in der Sprachenpolitik ausüben dürfe, die Dezentralisierung viel früher schon hätte angehen müssen und man den Regionen ein Maximum an wirtschaftlichen Freiheiten hätte zugestehen sollen.

Schade, dass Krawtschuk jetzt im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Mit seinem Wissen, seinen Kontakten, seinen Möglichkeiten und seiner Vorliebe für den Freiraum, der zwischen den Regentropfen existiert, hätte er vielleicht einen Beitrag zu einem funktionierenden Waffenstillstand leisten können.

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