Ex-Niedersachsenchefin über AfD: Rechtsruck ist ein Selbstläufer
Wegen des Rechtsrucks und des Rassismus ihrer Partei ist Niedersachsens ehemalige AfD-Vorsitzende, Martina Tigges-Friedrichs, ausgetreten.
taz: Frau Tigges-Friedrichs, bereuen Sie angesichts der jüngsten Wahlerfolge Ihren Austritt aus der Alternative für Deutschland (AfD)?
Martina Tigges-Friedrichs: Nein. Es ist auch nicht so, dass ich das gemacht hätte, weil ich mir in der Partei keine Chancen ausgerechnet hätte.
Worum ging es dann?
Darum, dass ich nicht sehe, dass meine liberalen Inhalte in der Partei umgesetzt werden. Ich habe immer gesagt: Ich bin eine Liberale in der AfD. Bei den Wahlkampfparolen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg war vom Liberalen nichts mehr übrig. Das waren doch alles Parolen, die sich entweder auf ausländerfeindliche oder auf sehr konservative Themen beziehen. Für mich war es der richtige Schritt, da die Reißleine zu ziehen.
Die Kritik, dass die AfD nach rechts offen ist, gab es ja von Anfang an. Haben Sie das vor einem Jahr wirklich anders gesehen?
Das Bundestagsprogramm war für mich nicht rechts. In dem wurden bundesweit einheitliche Bildungsstandards gefordert, eine Zuwanderung nach kanadischem Modell, eine Steuerreform nach Kirchhoff’schen Konzept und dass die Euro-Rettungspolitik so nicht weiter geführt werden soll. Das war für mich alles richtig. Nach der Bundestagswahl habe ich aber bei Gesprächen von Parteimitgliedern immer mehr gemerkt: Die wollen eigentlich was anderes.
Was denn?
Bei den Stammtischen vor Ort habe ich bemerkt, dass das Islam-Thema immer mehr im Vordergrund stand. Manchmal wurde über nichts anderes mehr gesprochen. Ich bin auch gegen falsche Toleranz gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Aber ich glaube, wenn wir die Mittel des Rechtsstaats ausschöpfen würden, liefe schon alles in richtigen Bahnen.
47, betreibt in Bad Pyrmont ein Hotel. Bevor sie in die AfD eintrat, war sie 15 Jahre lang Mitglied der FDP. Bis zur Landtagswahl 2013 engagierte sie sich dort als Kreisvorsitzende und Beisitzerin im Landesvorstand. Mit der Schließung der Wahllokale erklärte sie am 20. Januar ihren Austritt. Seit Oktober 2013 war sie Landesvorsitzende der AfD.
Was soll das heißen?
Ich finde es auch nicht in Ordnung, wenn jemand ein milderes Urteil bekommt, weil er die Scharia anführt und sagt: Meine Frau ist fremdgegangen, aber in der Scharia steht, in diesem Fall darf ich sie umbringen. Aber wir haben ein Rechtssystem mit klaren Strafmaßen für Mord. Wenn bei diesen Stammtischen wirklich Menschen sitzen, die denken, dass alle islamischen Menschen mit einem umgeschnallten Bombengürtel rumlaufen und diesen Staat kaputt machen wollen, dann geht mir das einfach eine Spur zu weit.
Ist Ihnen dieses Denken nur im Kreisverband in Hameln-Pyrmont begegnet?
Ich habe Ähnliches auch aus anderen Kreisverbänden gehört. Als ich dort gesagt habe, das mich das prinzipiell stört, hat mir jemand gesagt: Bei uns sagt der Zahnarzt ganz offen, dass er keine Ausländer behandelt – wenn Patienten mit ausländischem Namen dort anrufen, kriegen die erst gar keine Termine.
Und diese Art Rassismus kommt bei der AfD an?
Ja, die anderen fanden das gut. Es gibt viele, die sagen, dass die AfD endlich mal die Wahrheit sagt. Das ist aber weder meine Sicht von Rechtsstaatlichkeit noch von gelebter Integrationspolitik. Die Integrationsprobleme, die es gibt, werden wir jedenfalls nicht mit Parolen wie „Ausländer raus“ beheben.
Glauben Sie, dass die Partei als Türöffner zum gesellschaftlichen Rechtsruck beiträgt?
Auf jeden Fall. Dieses Deutschnationale, dass zum Beispiel Frau Petri fordert – wir sollen alle zum Geburtstag viel Glück wünschen und dass das Happy Birthday verboten werden sollte – das spiegelt das ja wider. Ich habe mal gesagt, wenn jemand von der Presse bei so einem Stammtisch dabei wäre, bekäme er genau das Rechte und Deutschnationale zu hören, was immer über uns vermittelt wurde. Daraufhin haben mich die anderen nur verwundert angeguckt und gesagt: „Martina, was du immer hast.“
Man hat Sie nicht ernst genommen.
Aber ich glaube schon, dass es genau so ist: Die AfD ist in vielen Bereichen ein Öffner.
Mit den Wahlergebnissen sieht sich die Partei aber bestätigt, dass sie mit ihrem Kurs alles richtig gemacht hat.
Das hat natürlich auch damit zu tun, dass sich die anderen Parteien nicht mehr um die Sorgen der Bürger gekümmert haben. Sicher gibt es Ängste und Befürchtungen. Aber es erschließt sich mir nicht, wie man mit einem ausländerfeindlichen Wahlkampf in einem Bundesland wie Thüringen, das einen Ausländeranteil von 1,8 Prozent hat, so viele Stimmen holen kann.
Wie reagierten die AfD-Mitglieder auf Ihren Austritt?
Es waren ein paar auf meiner Seite, die sagten: „Martina, du hast ja Recht – der interne Umgang ist manchmal ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber das ist eine neue Partei, das muss sich erst zurechtruckeln.“
Wer gibt in der Partei die Marschroute vor?
Das kommt nicht von oben. Bernd Lucke ist da deutlich anders. Die Entwicklung nach rechts ist ein Selbstläufer. Viele Mitglieder sind aus der islamfeindlichen Partei Die Freiheit zur AfD gekommen. Daran sieht man schon in welche Richtung das geht.
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