Andreas Speit
Der rechte Rand
: Warum eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen einen Rechtsextremen beschäftigt

Die Fakten sind eindeutig. A. war nicht nur lange Zeit in der rechtsextremen Szene aktiv. Er kannte auch den harten Kern der Bremer Szene zwischen Kameradschaft und Rechtsrock. Diverse Aufnahmen von verschiedenen Aktionen belegen diese Aktivitäten. Seit gut einem Jahr arbeitet er in einer heilpädagogischen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung in Niedersachsen. „Wir haben diesen politischen Hintergrund nicht gekannt“, sagt Markus Schmidt vom Vorstand des Trägervereins der Einrichtung. „Wir haben gerade ein Transparent – ‚Kein Platz für Rechtsextremismus‘ – in unserem Gebäude aufgehängt“, ergänzt Klaus Hartwig, ebenfalls vom Vorstand, und betont: „In Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe darf eine solche Weltanschauung erst recht keinen Platz haben.“

Nur ein Bekenntnis ohne Konsequenzen? Denn A.s rechtsextreme Vergangenheit ist dem Vorstand seit rund acht Wochen bekannt. Dennoch ist er nach wie vor als Heilpädagoge in der Einrichtung beschäftigt. „Nach dem internen Hinweis haben wir die Vorhaltungen überprüft“, sagt Hartwig. In den sozialen Medien habe man Bilder gefunden. Die Polizei sei eingeschaltet worden. Die Bilder seien acht Jahre alt, sagt Hartwig. Jüngere Hinweise hätten sie nicht gefunden. Auch die Polizei habe keine aktuellen Aktivitäten festgestellt. „Sie haben die Vorhaltungen mehrere Tage lang überprüft“, sagt Schmidt.

In den vergangenen Jahrzehnten drängten Rechtsextreme immer wieder in pädagogische Berufsfelder. Sie wollen Kinder und Jugendliche erziehen, anleiten und führen. Meist sind sie als Leh­re­r*in­nen oder Er­zie­he­r*in­nen in den Regeleinrichtungen tätig. Im heilpädagogischen Bereich sind Rechtsextreme bisher wenig aufgefallen. In einer Behinderteneinrichtung, ebenfalls in Niedersachsen, outete sich eine Rechts­extreme unfreiwillig. Ihre Tätowierungen verrieten ihre Gesinnung. Das Arbeitsverhältnis wurde ­beendet.

Foto: Jungsfoto: dpa

Andreas Speitarbeitet als freier Jour­nalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

Die Vorstandsmitglieder haben auch das Gespräch mit A. gesucht. Der habe die Aktivitäten zugegeben, habe aber versichert, dass er aus der Szene raus sei. Das habe dem Vorstand nicht gereicht. „Hätten wir von den Aktivitäten gewusst, hätten wir ihn nicht eingestellt“, betont Schmidt. Doch jeder mache mal Fehler und auch A. habe eine zweite Chance verdient, erklärt Hartwig. Der Vorstand habe ihn aufgefordert, sich schriftlich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, sagt er. „Wir wollten wissen, ob er heute nicht nur nicht mehr mitmacht, sondern auch anders denkt“, sagt Schmidt. Die erste schriftliche Darstellung habe ihnen nicht gereicht. „Die war uns zu oberflächlich.“ Bei einem zweiten Anlauf sei den Vorstandsmitgliedern die veränderte Weltsicht deutlicher geworden. In der Zwischenzeit hatten sie sich bereits über Kündigungsmöglichkeiten informiert. Der Betriebsrat war eingeschaltet. Nun sei A. bewusst versetzt worden. Er kümmere sich nicht mehr allein um die Bedürftigen, sagt Schmidt.

Dass bisher nicht viele Rechtsextreme im heilpädagogischen diesem Bereich aufgefallen sind, liegt auch daran, dass Menschen mit Behinderungen für sie nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehören. Die Unterscheidung zwischen „lebenswertem“ und „lebensunwertem“ Leben war dabei schon in den 1920er-Jahren nicht auf die rechtsextreme Bewegung beschränkt. Im Nationalsozialismus dann mündeten diese eugenischen Vorstellungen in „Euthanasie“- und Zwangssterilisationsmaßnahmen. Ärzte und Pfle­ge­r*in­nen töteten schätzungsweise 300.000 Menschen. Etwa 400.000 Menschen wurden zwangssterilisiert.

Im heilpädagogischen Bereich sind Rechtsextreme bisher wenig aufgefallen

* alle Namen im Text wurden geändert