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Ewigkeits-Chemikalien in HollandVerseucht bis in alle Ewigkeit

Seit Jahren schädigt eine Chemiefabrik im niederländischen Dordrecht ihre Umgebung mit giftigen Stoffen. Der Protest dagegen könnte nun Erfolg haben.

Aktivist bei der zweihundertsten Aktion gegen die Chemiefabrik Foto: Robin Utrecht/ANP/imago

Dordrecht taz | „Die Quelle der Verschmutzung ist hier. Darum geben wir ihnen ihren Dreck zurück“, ruft Kees van der Hel, ehe er einen Eimer mit kontaminierter Erde vor das Fabrikstor leert. Dann gießt er Leitungswasser darüber, ebenfalls verseucht. So laufen seit mehreren Jahren Woche für Woche die Proteste ab, die vor dem Haupteingang der Chemiefabrik Chemours in Dordrecht südöstlich von Rotterdam stattfinden. An diesem Samstag sind besonders viele Protestierende, Parlamentsmitglieder und Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen gekommen. Auf dem Programm steht die zweihundertste Kundgebung gegen Chemours.

Aufgerufen hat wie immer die „Aktionsgruppe Gesundheit zuerst“. Van der Hel, 69, ist von Anfang an dabei. Gegründet hat sie sein Nachbar im Städtchen Sliedrecht ganz in der Nähe. „1.200 Meter Luftlinie von hier, der Wind weht oft von dort herüber, sodass wir alles, was Chemours ausstößt, voll abbekommen“, sagt der Aktivist. Seit die Fabrik des US-Chemiekonzerns, die unter anderem Teflon herstellt, 1962 eröffnet wurde, haben ihre Emissionen und Verklappungen Boden, Grund- und Oberflächenwasser der Umgebung mit PFAS verseucht. Diese ultrarobusten Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen verbreiten sich leicht und sind etwa im menschlichen Körper nur äußerst langsam abbaubar, weshalb sie als „Ewigkeits-Chemikalien“ bezeichnet werden.

In Dordrecht wurde jahrzehntelang unter anderem Perfluoroctansäure (PFOA) in das Flüsschen Merwede entsorgt. Eine Ex­per­t*in­nen­grup­pe der International Ageny for Research on Cancer (IARC), die zur WHO gehört, stufte den Stoff im November als „krebserregend für Menschen“ ein. Zu unfreiwilligen Ex­per­t*in­nen sind auch mehrere der Protestierenden geworden: Van der Hel berichtet von der verminderten Fruchtbarkeit seines Sohns, außerdem von Schwächungen des Immunsystems und Schilddrüsen-Krankheiten.

Alles Wirkungen, die Kontakt mit PFAS zugeschrieben werden. Sein Nachbar von damals, Bram de Winter, ist an Krebs gestorben, ebenso wie die Frau von Joop Keesmaat, einem der Aktivposten der Gruppe. „Ich bin ein indirektes Opfer“, sagt er, als er während des zweihundertsten Protests nach seiner Motivation gefragt wird.

Leberkrebs ohne übermäßigen Alkoholkonsum

Meta Kamphuis, 49, die in der Nähe der Fabrik aufwuchs, verlor vor etwa 30 Jahren ihre Eltern an Krebs. Mit 45 bekam sie selbst die Krankheit, jedoch, wie untersucht wurde, nicht durch erbliche Vorbelastung. Kamp­huis überlebte. Vor drei Jahren starb ihr Freund an Leberkrebs – „obwohl er nie getrunken hat“, ein Jahr später wurden bei ihrer Schwester Karzinome diagnostiziert. „Ich kann es leider nicht beweisen, sonst stünde ich nicht hier, sondern vor Gericht“, so Kamphuis. Ver­tre­te­r*in­nen der Industrie berufen sich seit jeher darauf, dass individuelle Erkrankungen nicht einwandfrei auf PFAS-Kontaminierungen zurückgeführt werden können.

Im September befand ein Rotterdamer Zivilgericht dennoch per Zwischenurteil, Chemours sei für die Schaden haftbar, die die umliegenden Kommunen durch die PFAS-Verseuchung erlitten haben. An einer strafrechtlichen Sammelklage von Anwohnerinnen arbeitet außerdem die Amsterdamer Anwältin Bénédicte Ficq.

Im Namen von 4.000 Personen erstattete sie im Herbst Anzeige gegen Chemours. Grundlage sei „ein Paragraf, der es strafbar macht, absichtlich gesundheitsschädliche Stoffe in Boden, Luft oder Wasser einzubringen. Darauf stehen 12 bis 15 Jahre Gefängnis.“ Die Staatsanwaltschaft habe bereits eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet, die etwa anderthalb Jahre dauern werde.

Chemours, 2015 vom amerikanischen Mutterkonzern Dupont abgespalten, präsentiert sich derweil als besonders nachhaltig: In der Anhörung einer Parlaments-Kommission beteuerten zwei Manager im vergangenen Sommer, die PFAS-Verschmutzung gehöre der Vergangenheit an, Chemours habe seine Emissionen weitestgehend reduziert. In einer Erklärung vor dem Jubiläumsprotest heißt es: „Letztlich teilen wir das gleiche Ziel, Emissionen zu vermindern.“ Dieses technologisch zu realisieren, koste jedoch Zeit.

Umweltbehörden wollen PFAS verbieten

Aktivist Van der Hel betont, das löse das Problem nicht. „Der Boden um die Fabrik ist in alle Ewigkeit schwer verseucht – bis ins Grundwasser, das wir zu trinken bekommen.“ Dennoch werde „weiter jeder Verstoß, den Chemours begeht, unter den Teppich gekehrt“. In die Schlagzeilen geriet die Fabrik im vergangenen Jahr durch die Entsorgung der PFAS-Verbindung TFA. Ohne Genehmigung leitete Chemours offenbar TFA ins Abwasser, wofür die Umweltbehörde aber nur im Wiederholungsfall hohe Strafen androhte.

Inzwischen hat die Initiative „Gesundheit zuerst“ Abgeordnete des EU-Parlaments kontaktiert. Bei einem Besuch in Brüssel präsentierten die Ak­ti­vis­t*in­nen Forderungen nach einem schnellen PFAS-Verbot. Ausnahmen soll es nur für wichtige medizinische Verwendungen geben. Die Umweltbehörden der Niederlande, Deutschlands, Norwegens, Schwedens und Dänemarks haben bereits 2023 bei der Europäischen Chemikalien-Agentur (ECHA) einen Verbotsantrag für PFAS eingereicht.

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