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„Eventisierung“ der WissenschaftIn den Händen des Marketings

Science-Show, Science-Slam. Zur aktuellen Berlin Science Week stellt sich die Frage, wie Forschung nutzbringender vermittelt werden kann.

Schwer angesagt: Science-Slam Foto: dpa

Berlin taz | In Berlin fackelt die Wissenschaft in diesen Tagen mit der Berlin Science Week ein Feuerwerk der Forschung ab. Höhepunkt war am Donnerstag die internationale Science-Show „Falling Walls“, die auch mit einem Protest gegen „alternative Fakten“ vor der US-Botschaft am Brandenburger Tor erstmals politisch wurde. Wenn Wissenschaft sich der Gesellschaft nähert, wird daraus jedoch immer häufiger „Sciencetainement“ und Marketing. Ein problematischer Trend.

Die Berlin Science Week verknüpft 60 einzelne Wissenschaftsevents, die vom 1. bis 10. November in der Hauptstadt stattfinden – unter einem werblichen Dach, dem roten Würfel, der vor jeder Veranstaltung postiert wird. Ziel ist es, die internationale Aufmerksamkeit für den Wissenschaftsstandort Berlin zu erhöhen, erklärt Jürgen Mlynek, früher Präsident der Humboldt-Universität Berlin und der mächtigen Helmholtz-Forschungsgemeinschaft, der jetzt als Pensionär der Falling-Walls-Stiftung vorsteht.

Im vorigen Jahr, als er erstmals die Idee der Wissenschaftswoche kreierte, sprach Mlynek noch von einem „Davos der Wissenschaft“, das man erreichen wolle. In diesem Jahr wird etwas bescheidener der Claim von der „Berlinale der Wissenschaft“ ausgegeben. Die Teilnehmerzahl soll von 6.000 auf 15.000 Teilnehmer gesteigert werden, davon die Hälfte externe Besucher. 50.000 Euro gibt der Senat für die Promotion, im nächsten Jahr sogar doppelt so viel.

Der Themenreigen ist breit, er reicht von der Quantenphysik über Migrationsforschung bis hin zu frühkindlicher Bildung und wissenschaftspolitischer Debatte sowie der Verleihung des Berliner Wissenschaftspreises, der in diesem Jahr an den TU-Mathematiker Günter Ziegler ging. In der Regel handelt es sich um Veranstaltungen, die auch ohne den Schirm der Science-Week stattgefunden hätten.

Die „dritte Mission“

Die Beteiligung aus der Berliner Szene ist divers. Die Humboldt-Universität ist mit sieben Events dabei, 100.000 Euro werden dafür investiert; für HU-Präsidentin Sabine Kunst ein wichtiges Element, die „dritte Mission“ an ihrer Hochschule auszubauen – neben Forschung und Lehre stärker für die Gesellschaft zu forschen. Andere Unis halten sich aus dem Wissenschaftsrummel vornehm raus. „Das ist uns zu rummelig“, bekennt eine Führungsperson der Freien Universität Berlin hinter vorgehaltener Hand.

Die Wissenschaftswoche gehört zum Trend, der Gesellschaft die Arbeit und Fortschritte der Wissenschaft statt über sachbezogene Erklärungen immer mehr über emotionale Events näherzubringen. Neue Formen der Wissenschaftskommunikation lösen den klassischen Wisschaftsjournalismus ab. Die „Eventisierung“ von Wissenschaft schreitet rasant voran.

Die Berliner Falling-Walls-Stiftung setzt mit ihren Veran-staltungen pro Jahr rund 1,64 Millionen Euro um

Aus der ersten „Falling-Walls-Konferenz“, bei der aus Anlass des Mauerfalls immer am 9. November 20 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von den aktuellen Durchbrüchen in ihrem Fach berichten, ist eine ganze Reihe von Science-Slams geworden. In dieser Woche etwa mit der Veranstaltung „Future Medicine“ des Berlin Institutes for Health und der Berliner Zeitung Der Tagesspiegel. Ihr Wissen präsentierten die 80 Doktoren nicht in akademischen Vorträgen, sondern in unterhaltsamen Kurzpräsentationen. 800 Teilnehmer zahlten dafür Eintritt – ein Geschäft.

Teilweise schon ein großes sogar. Die Berliner Falling-Walls-Stiftung setzt mit ihren Veranstaltungen – dazu zählen auch der Nachwuchswettbewerb „Falling Walls Lab“ und die Start-up-Präsentation „Venture“ – pro Jahr 1,64 Millionen Euro um. Das Geld kommt zumeist von öffentlichen Einrichtungen (das Bundesministerium für Forschung gibt 460.000 Euro) und wissenschaftsnahen Stiftungen. Von der Helmholtz-Gemeinschaft kommen 280.000 Euro, von der Robert Bosch Stiftung 200.000 Euro.

Immer gezielter wird vom Berliner Senat die Wissenschaft als Magnet für auswärtige Besucher eingesetzt. Im vorigen Monat kreierte die landeseigene Tourismusbehörde „visitberlin“ für einen sechsstelligen Betrag die neue Konferenz „Berlin Questions“, in der führende ausländische Experten Antworten auf die großen Menschheitsfragen suchten.

Gelingt das? Offenbar muss an den Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft noch gearbeitet werden. Zwar werden laufend neue Ansätze ausprobiert, das Individualwissen der Bürger und ihre Beteiligung an der Wissenschaft via „Citizen Science“ zu steigern. So postierten sich im Rund des Sony Centers Mediziner und Biologen auf Seifenkisten, um in einer Art von Hydepark-Format direkt zu den Laien zu sprechen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Soapbox Science“ fand in zwei Stunden immerhin über 150 Zuhörer und Diskutanten.

Offenbar muss an den Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft noch gearbeitet werden

Dass aber über die Berlin Science Week medial nur wenig berichtet wurde – nicht nur eine Schwäche des kränkelnden Wissenschaftsjournalismus –, verweist auf ein perspektivisches Problem dieser neuen Ansätze der Kommunikation von Wissenschaft. Im Zeitalter von „information overload“ scheint wissenschaftliches Wissen immer häufiger zu verrauschen und nicht mehr an die Stellen zu gelangen, wo es lösungsorien­tiert benötigt würde.

Dies wurde etwa bei der Eröffnungsveranstaltung der Wissenschaftswoche deutlich, in der Forscher des neuen Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität ihre hoch interessanten Ergebnisse aus der Befragung von über 10.000 Geflüchteten präsentierten. In die aktuelle Diskussion der Berliner Asylpolitik fand dies, wie die öffentliche Berichterstattung zeigte, jedoch keinen Eingang.

Die Zukunft der Wissenschaftskommunikation

Gleiches war exemplarisch in einer Präsentation des Einstein Center Digital Future festzustellen. Forscher entwerfen hier digitale Stadtmodelle und intelligente Gebäude der Zukunft, doch aus dieser wissenschaftlichen Parallelwelt fließt nur wenig Wissen in die reale Berliner Baupolitik über, die gerade jetzt jede gute Idee gebrauchen könnte, um schneller, effizienter und klimaverträglicher zu neuen Bauten in der wachsenden Metropole zu kommen.

Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ab, dass die eigentliche Zukunft der Wissenschaftskommunikation – und damit auch der Berlin Science Week – nicht in der populären und partizipativen Vermittlung von Wissenschaft in die Gesellschaft hinein liegen wird, auch um die Akezptanz beim steuerzahlenden Bürger zu erhöhen.

Viel nötiger ist eine bessere Logistik des Wissens an die Stellen, wo damit Veränderung, Verbesserung und gesellschaftlicher Nutzen gestiftet werden kann. Das bedeutet: weniger Marketing, sondern präziseres „Targeting“ von wissenschaftlicher Erkenntnis, wie es in einzelnen Fachdisziplinen, wie der personalisierten Medizin oder dem „precision farming“ in der Agrartechnologie, bereits stattfindet. Mutmaßlich eine der nächsten Wissenschaftsmauern, deren Fall bevorsteht.

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3 Kommentare

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  • Lieber Herr Ronzheimer,

    vielen Dank für die guten Hinweise, wie man die Berlin Science Week noch besser machen kann. Das von Ihnen vorgeschlagene zielgerichtete Verbinden („targeting“) von Forschern und Praktikern findet schon heute zumindest teilweise statt. Bei der Falling Walls Conference beispielsweise auf dem „Forum“. Nach den Vorträgen treffen die Forscher auf Praktiker. So beispielsweise der Ökologe und Pflanzenforscher Sayed Azam-Ali mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden von KWS Saat Andreas Büchting oder die Erforscherin der Vermüllung der Ozeane Jennifer Lavers mit der Chefin der Berliner Stadtreinigungsbetriebe. Die zeitliche Nähe vieler Veranstaltungen der Berlin Science Week hilft dabei, genau diese Expertise in die Stadt zu holen, weil viele der internationalen Gäste nicht nur für eine, sondern für mehrere Veranstaltungen (die sich bezüglich der Sprecher untereinander absprechen und „tauschen“) nach Berlin kommen. Zudem haben die von Ihnen angeregten „Target“-Events zum Teil auch in Eigeninitiative neben dem Programm der Berlin Science Week stattgefunden, so haben beispielsweise mehrere Botschaften zu Treffen mit Forschern aus ihren Ländern eingeladen. Auch scheint der gemeinsame Auftritt in einem gemeinsamen Kalender den Besuch der Veranstaltungen gefördert zu haben. So ist die Anzahl der Besucher von ca. 6.000 im ersten Jahr auf ca. 15.000 in diesem Jahr angestiegen. Besonders erfreulich dabei die deutliche Zunahme ausländischer Gäste. Dabei sind die Zuschauer der Livestreams von Falling Walls noch gar nicht gerechnet. Allein beim Finale des Nachwuchswettbewerbs von Falling Walls (dem 68 Qualifizierungswettbewerbe auf allen Kontinenten vorausgingen) gab es über 22.000 Teilnehmer an den Abstimmungen zum Audience Award. Beste Grüße, das Presseteam der Berlin Science Week

    • Manfred Ronzheimer , Autor*in des Artikels,
      @Presseteam Berlin Science Week:

      Danke für die Hinweise. Ich will diese zum Aspekt Targeting gerne vertiefen. Wichtig ist mir dabei, dass dabei eine öffentliche Arena immer noch erhalten bleibt. Das Forum-Format bei Falling Walls ist gut, bei der Auswahl der Partner muss gut überlegt werden. Beim Thema Plastik beschwerte sich BSR-Chefin Wielgoß, dass sie als Entsorger den Plastikmüll erst getrannt sammeln muss, um ihn dann doch mit andern Fraktionen zu verbrennen. Ozeanforscherin Lavers hatte ihren Hauptpunkt aber nicht auf der Beseitigung, sondern auf der Plastik-Verhinderung. Das betrifft Chemieforschung auf der Wissenschaftseite und Konsumforschung auf der Verbraucherseite. Das wären geeignetere Gesprächspartner gewesen. Zu den Teilnehmerzahlen: Obacht! Die 15.000 ist eine Planzahl. Gestern konnte mir die HU noch nicht sagen, wieviele Besucher sie bei ihren sieben Veranstaltungen hatte.

  • Dass Kurzvorträge keinen Eingang in die wissenschaftliche Debatte finden ist logisch. Dass sie deswegen unwichtig sind allerdings ein Trugschluss: Um etwas zu bewirken, muss Wissenschaft ihre direkten Anwender erreichen. Gleichzeitig muss aber auch die Bevölkerung ihre Fortschritte sehen. Denn es stimmt: Die Bevölkerung zahlt den Großteil der Wissenschaftlichen Forschung, und daher sollte sie über wissenschaftliche Arbeit informiert werden — also darüber, was ihre Unterstützung Gutes bewirkt, und zwar nicht nur im kleinen, sondern auch im größeren Kontext.

     

    Allerdings ist es unklar, ob es der richtige Weg ist, dass Wissenschaftler selbst diese Vermittlung übernehmen.

     

    Und ganz allgemein muss man bei den Kosten die Kirche im Dorf lassen: 2 Millionen Kosten bedeutet, dass davon 20 Stellen finanziert werden könnten. Fünfmal soviel geht im KIT alleine für unnötige¹ Verwaltungskosten drauf.

     

    ¹: Kosten, die es erst durch eine Umstrukturierung gab, die die Verwaltung nicht effizienter, sondern vielmehr das Präsidium für die Wissenschaftler schwerer erreichbar und Dienstwege deutlich länger gemacht hat.