Evakuierungschaos in Afghanistan: „Wir werden euch heimholen“
US-Abgeordnete wollen eine Anhörung wegen der Fehler beim Truppenabzug. Biden weist die Kritik zurück und konzentriert sich auf die Evakuierungen.
Inhaltsverzeichnis
Aktuell befinden sich knapp 6.000 US-Einsatzkräfte in Afghanistan, die für die Planung und Durchführung der Evakuierungen zuständig sind. Seit Montag habe das US-Militär fast 13.000 Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul ausgeflogen, erklärte Biden. 5.700 davon innerhalb der letzten 24 Stunden. Tausende weitere seien an Bord von Charterflügen in andere Länder evakuiert worden. Trotz der steigenden Evakuierungszahlen bleibt die Lage in Afghanistan weiter angespannt. „Bildet euch nichts Falsches ein, dieser Evakuierungseinsatz ist gefährlich“, sagte Biden.
Beschämende Bilder
Nach dem Zusammenbruch der afghanischen Regierung waren Videos um die Welt gegangen. Darin war zu sehen, wie Menschen den Flugplatz in Kabul stürmten und verzweifelt versuchten, einen Platz in einem der Evakuierungsflüge zu ergattern. Es waren beschämende Bilder für die USA und ihre Verbündeten, auch für Deutschland. Der CNN-Korrespondentin Clarissa Ward zufolge versuchten die Taliban die Menschenmassen mit Gewalt unter Kontrolle zu bringen. Schüsse in die Menge seien dabei keine Seltenheit. Es sei ein Wunder, dass bisher nicht mehr Menschen ernsthaft verletzt wurden.
Die fehlerhafte Planung des US-Truppenabzugs wird von allen Seiten kritisiert, auch aus den eigenen Reihen. In der kommenden Woche wollen Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus und Senat in einer Anhörungen herausfinden, wie es zur aktuellen Situation kommen konnte. Der demokratische Senator Bob Menendez sei enttäuscht über Präsident Biden und die Regierung, die offensichtlich die Folgen des Abzugs nicht richtig beurteilt haben. „Was wir jetzt sehen, sind die tragischen Resultate von jahrelangen Versäumnissen in der Politik und den Geheimdiensten“, so der Vorsitzende des Senatsausschusses für Auslandsbeziehungen.
Viele Kritiker sehen den Ursprung für die aktuellen Probleme in Afghanistan beim Ex-Präsidenten Donald Trump. Dessen Regierung hatte sich im Februar 2020 auf ein Friedensabkommen mit den Taliban geeinigt, das einen US-Truppenabzug aus Afghanistan zum 1. Mai 2021 vorsah. Justin Russel, Direktor des außenpolitischen Think Tanks New York Center for Foreign Policy Affairs zufolge, sei die Trump-Regierung von den Taliban während der Verhandlungen in Doha im letzten Jahr vorgeführt worden. Sowohl Trump als auch Biden hätten die Stärke der Taliban unterschätzt. „Es ist ein politisches und geheimdienstliches Versagen epischen Ausmaßes“, sagte er im Gespräch mit der taz.
Biden sieht keine Fehler
Das stümperhafte Verhalten der beiden letzten Regierungen könnte zur Verschlechterung der nationalen Sicherheitslage beitragen, eine humanitäre Krise auslösen und die bereits angekratzte Verlässlichkeit der USA weiter schmälern. Biden sieht das aber anders. Die Terrorismusbekämpfung habe sich in den letzten zwei Jahrzehnten so stark weiterentwickelt, dass auch ohne US-Truppen in Afghanistan keine höhere Terrorgefahr bestehe. Außerdem habe er in seinen Gesprächen mit Nato-Partnern und anderen Alliierten keine Frage zur Verlässlichkeit der USA erhalten. „Ganz im Gegenteil, wir handeln unverzüglich und tun genau das, was wir gesagt haben“, sagte Biden.
Unterstützung erhält Biden von Douglas Lute, dem ehemaligen stellvertretenden nationalen Sicherheitsberater für Irak und Afghanistan unter dem früheren Präsidenten George W. Bush. Im Gespräch mit der taz sagte er: „Am Ende des Tages haben wir unser wichtigstes nationales Interesse mit der Tötung von Osama bin Laden erreicht.“ Der US-Regierung sei die Umstrukturierung des afghanischen Saates zwar nicht gelungen, das sei aber seiner Meinung nach eh ein „überambitioniertes Ziel“ gewesen.
Sollte Präsident Biden Recht behalten und die Evakuierungsmission bis zum 31. August vollständig abgewickelt sein, dann wäre es das offizielle Ende des längsten Krieges in der US-Geschichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit