Europawahl in Großbritannien: Probleme bei der Stimmabgabe

Offenbar konnten zahlreiche Bürger*innen aus anderen EU-Ländern in Großbritannien nicht wählen. Der Grund: ein fehlendes Formular.

Eine Frau steht vor einem Wahllokal

Zahlreiche EU-Bürger*innen berichteten unter #DeniedMyVote von ihren Erfahrungen Foto: dpa

LONDON taz | „Ich wurde einfach vom Wahlokal weggeschickt.“ Mit diesen Worten informierte Agata Patyna am Donnerstagmorgen auf Twitter, dass sie ihre Stimme bei der Europawahl nicht abgeben konnte. Obwohl sie die Information von ihrer lokalen Wahlbehörde hatte, dass sie stimmberechtigt sei. Patyna ist Menschenrechtsanwältin und stammt ursprünglich aus Polen. Trotz ihrer Rechtserfahrung lernte sie erst im Nachhinein, dass sie ein Formular hätte ausfüllen müssen, um wählen zu dürfen.

Ein Sprecher der britischen Wahlkommission erklärte der taz, dass die EU27-Bürger*innen, also jene aus allen EU-Mitgliedsstaaten außer Großbritannien, dieses Formular vor dem 7. Mai hätten einreichen müssen. Es ist eine Erklärung, dass man in Großbritannien und nicht in seinem Herkunftsland wählen möchte – und damit ein Sonderschritt, den Brit*innen nicht einlegen müssen.

„Uns war schon nach den Europawahlen 2014 klar, dass das System zu kompliziert ist, und wir forderten die Regierung damals auf, es zu vereinfachen“, sagt der Mann von der Wahlkommission. Darauf reagiert hat die Regierung angeblich nicht. So wäre der Kommission nur geblieben, allen lokalen Wahlbehörden Großbritanniens im April zu empfehlen, die sogenannten EU27-Bürger*innen auf die Regeln hinzuweisen.

Im Laufe des Wahltags wurde jedoch klar, dass viele EU-Bürger*innen in Großbritannien vollkommen ahnungslos waren, was diese Regeln betrifft. Frustriert schilderten sie in den Sozialen Medien unter dem Hashtag #DeniedMyVote ihre Erfahrungen. Aus dem ganzen Land kamen Berichte: Formulare seien nicht verschickt worden, Formulare seien trotz Abgabe nicht verarbeitet worden, EU-Bürger*innen seien nicht über die Notwendigkeit des Formulars adäquat informiert worden.

Inoffizielles zweites Brexit-Referendum

Bei den Kommunalwahlen in Großbritannien drei Wochen zuvor konnten EU-Bürger*innen noch ohne ein entsprechendes Formular wählen. Sie mussten lediglich in ihrem Wohnbezirk angemeldet sein. Beim Brexit-Referendum 2016 und der Unterhauswahl 2017 waren sie ausgeschlossen – für viele wären die Europawahlen also die erste Möglichkeit gewesen, eine Stimme in Großbritannien abzugeben. Sie gilt vielen inoffiziell als zweites Brexit-Referendum. Doch vermutlich wurden Tausende von den Wahllokalen abgewiesen.

Das Problem ist allerdings nicht nur in Großbritannien bekannt. Auch in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssen sich Bürger anderer EU-Mitgliedsstaaten anmelden. In Berlin informierte die Landeswahlleitung seit Ende Januar zwar die EU-Ausländer – jedoch nicht die in Berlin lebenden Briten. Offenbar war durch den Austrittsantrag aus der EU nicht davon ausgegangen worden, dass Großbritannien noch an der Europawahl teilnehmen wird.

In Großbritannien kommen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung aus anderen europäischen Ländern. Im Jahr 2016 wäre das Mitwirken von EU-Bürger*innen wahrscheinlich ausschlaggebend für den Ausgang des Referendums gewesen.

Der seit 2012 in Großbritannien lebende Deutsche Ben Ryan, 33, wollte in Sunderland, im äußersten Norden des Englands, auch gerne wählen. Seine britische Frau konnte dies problemlos – er nicht, erzählt er der taz. 2014 wählte er bei den Europawahlen, und zwar ohne Formular, wie er behauptet. Dies sei auch bei den Kommunalwahlen im April so gewesen. „Bei meinen Recherchen heute Morgen stellte ich fest, dass meine lokale Wahlbehörde die Formulare automatisch an EU-Bürger*innen schicken würde. Erhalten habe ich aber nichts. Es ist alles sehr frustrierend. Es fühlt sich an, als wäre ich meiner Stimme beraubt worden, und Sunderland tat nichts um dies zu verhindern“, sagt er.

Vorhersehbare Probleme

Auch Lennart Marahrens, 27 Jahre alt und Medizinstudent in Camden, erläutert der taz, „dass ich mich darauf freute, zum ersten Mal in Großbritannien zu wählen und mich bei der Stadtbehörde Camdens vorher gemeldet hatte.“ Er lebt seit 2014 in England. „Am Donnerstag erzählten sie mir, sie hätten mir das Formular per Post geschickt.“ Als er ohne Wahlmöglichkeit am Wahltag mit örtlichen Wahlbeauftragten am Telefon sprach, wurde ihm dann auch noch erzählt, er hätte ja in Deutschland wählen können. „Ich lebe und wohne hier und möchte gar nicht in Deutschland wählen“, sagt Marahrens.

Die Probleme waren vorhersehbar. Nicht nur die Labour-Abgeordnete Catherine West bat die Regierung im Unterhaus im April 2018, das Wahlverzeichnis der Lokalwahlen für die Europawahlen zuzulassen. Doch die Regierung reagierte nicht. Aus Wests Büro ist zu hören, dass sich laut inoffiziellen Aussagen von Lokalbehörden nur ein Viertel der EU-Bürger*innen korrekt registrierten, also mitsamt der vorgesehenen Erklärung. Nach der parlamentarischen Pause will sie eine Beschwerde einlegen. Es sei ein nationaler Skandal, sagte sie der taz.

Allein beim Guardian gingen nach eigenen Angaben 500 Einzelfälle ein. Ein Sprecher der Regierung teilte der taz mit, dass es keinerlei Veränderungen zu den letzten Europawahlen gegeben habe. Für die Aufklärung über den Anmeldungsvorgang seien die lokalen Behärden verantwortlich. Niemand habe daran geglaubt, dass die Europawahlen in Großbritannien tatsächlich stattfinden würden.

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