piwik no script img

Europarechtler Bast über Flüchtlinge„Es war bisher nicht gerecht“

Er will anerkannten Flüchtlingen sofort Freizügigkeit gewähren. Das würde EU-Randstaaten wie Griechenland entlasten, sagt Europarechtler Jürgen Bast.

Flüchtlinge in Athen. Nicht nur hier sind die Asylverfahren zu kompliziert und dauern zu lange. Foto: dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Seit 1. Januar haben die Niederlande für sechs Monate den EU-Vorsitz. Besonders schwierig ist die gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa. Was schlagen Sie vor?

Jürgen Bast: Möglicherweise ist die Lösung einfacher, als viele denken. Man müsste gegenüber dem bisherigen System nur ein entscheidendes Detail ändern.

Was wäre das?

Wie bisher vorgesehen, sollten weiterhin die Länder an den EU-Außengrenzen die Asylverfahren durchführen. Wenn ein Asylsuchender dann aber als schutzberechtigt anerkannt ist, soll er sich sofort frei in der EU bewegen und seinen Wohnsitz dort wählen können, wo er will. Flüchtlinge hätten dann die gleichen Freizügigkeitsrechte wie Unionsbürger.

Bisher musste er in dem Land bleiben, das das Asylverfahren durchgeführt hat?

Ja, so war jedenfalls die Regel. Erst nach fünfjährigem Aufenthalt erhält ein anerkannter Flüchtling ein weitgehendes Recht auf Freizügigkeit in der EU.

Was kritisieren Sie am bisherigen System?

Es war bisher nicht gerecht, dass EU-Grenzstaaten wie Griechenland oder Italien neben den Asylverfahren und der Erstunterbringung auch für die spätere Integration der anerkannten Flüchtlinge in den Arbeits- und Wohnungsmarkt ihres Landes zuständig waren. Deshalb haben sie die Flüchtlinge lange Zeit einfach durchgewunken. Wenn Staaten sich systematisch benachteiligt fühlen, haben sie wenig Anreiz, die Regeln zu befolgen.

Archiv
Im Interview: Jürgen Bast

Professor für Öffentliches Recht und Europarecht, Universität Gießen. Er gilt unter Rechtswissenschaftlern als führender linker Experte für Flüchtlingsrecht.

Wie ginge es besser?

Nach meinem Konzept könnten viele Flüchtlinge, die in den EU-Grenzstaaten anerkannt wurden, anschließend direkt nach Deutschland oder Skandinavien weiterziehen – dorthin wo die Jobs sind oder wo vielleicht schon Verwandte leben. Länder wie Griechenland und Italien wären also wirksam entlastet. Auch aus Integrationsgesichtspunkten ist es sinnvoller, dass ein Flüchtling alsbald in dem Staat leben kann, in dem er auf Dauer bleiben will.

Dass die Asylverfahren in der Regel an den EU-Außengrenzen durchzuführen sind, das steht doch nur noch auf dem Papier.

Die Dublin-III-Verordnung der EU ist geltendes Recht. Deshalb ist sie ein naheliegender Ausgangspunkt für Reformüberlegungen. Es ist zwar in den Dublin-Regeln durchaus vorgesehen, dass ein Staat wie Deutschland Asylverfahren übernehmen kann, für die er eigentlich nicht zuständig wäre. Es wird aber wohl nicht auf Dauer die Lösung sein, dass Deutschland sowohl die meisten Asylverfahren durchführt als auch anschließend die meisten anerkannten Flüchtlinge integriert.

Warum die Asylverfahren ausgerechnet in den Randstaaten der EU durchführen?

Dort kommen die Menschen nun mal an. Warum sollen Flüchtlinge sich erst durch halb Europa durchschlagen müssen, bevor sich jemand für ihre Fluchtgründe interessiert? Ein schnelles und faires Asylverfahren ist ganz im Sinne des Flüchtlingsschutzes.

Und wenn die Asylsuchenden doch gleich nach Deutschland reisen? Könnte Deutschland die Flüchtlinge dann nach Griechenland zurückschicken?

Ja, das wäre die Logik meines Vorschlags. Anerkannte Flüchtlinge können sich zwar später ihren Wohnort in der EU frei wählen. Aber sie können nicht wählen, wo sie während des Asylverfahrens leben wollen. Deutschland hätte natürlich weiterhin die Möglichkeit, den Asylantrag selbst zu prüfen. Dafür kann es gute pragmatische oder humanitäre Gründe geben.

Wären Länder wie Griechenland und Italien nicht interessiert, möglichst viele Flüchtlinge ohne große Prüfung anzuerkennen, damit die schnell gen Norden weiterziehen?

Ja, das könnte eine denkbare Folge sein. Es wäre deshalb zu überlegen, ob die Asylverfahren künftig von EU-Beamten durchgeführt werden, damit überall einheitliche Standards angewandt werden.

Die EU will in Italien, Griechenland und anderen EU-Randstaaten „Hot Spots“ einrichten, wo Asylaussichten grob geprüft werden. Flüchtlinge mit Bleibeperspektive sollen dann gleichmäßig auf alle EU-Staaten verteilt werden, dort werden die eigentlichen Asylverfahren durchgeführt. Was halten Sie davon?

Wenig. Denn das Umverteilungskonzept hält weiterhin daran fest, dass die Flüchtlinge erst einmal fünf Jahre in dem EU-Staat bleiben müssen, der sie anerkannt hat. Das ist dann zwar nicht mehr Griechenland, aber zum Beispiel Polen oder Lettland. Daran haben weder die EU-Staaten ein Interesse noch die Flüchtlinge. Dass die planwirtschaftliche Umverteilung von Asylsuchenden keine Lösung ist, sieht man auch daran, dass von den beschlossenen 160.000 Flüchtlingen bisher nur wenige hundert in andere EU-Staaten transferiert werden konnten.

Und Ihr Konzept würde besser funktionieren?

Vermutlich ja, weil es auf einem solidarischen Ausgleich zwischen den EU-Staaten beruht und die Interessen der Flüchtlinge besser berücksichtigt. Aber natürlich wird es immer Reibungen geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Der Vorschlag ist der einzig sinnvolle. Dann hört auch der Wettlauf um das schlechteste Asylrecht auf.

    Sicherlich muss dann umgekehrt die Einhaltung des Mindeststandards für Asylanerkennung festgelegt werden. Die Freizügigkeit ist gut für die Integration, muss aber flankiert werden von Mindeststandards im sozialen Bereich. Sonst gibt es einen Wettlauf um die miesesten Aufnahmebedingungen, den dann die Länder "verlieren", die nicht unter einen gewissen Mindeststandard gehen können oder wollen. Gut wäre daher, dies mit einem Finanzierungsfond zu verknüpfen. Die Flüchtlinge werden darüber finanziert und die Länder profitieren am meisten, die die meisten Flüchtlinge tatsächlich integrieren können.

    Dieser Fond würde dazu führen, dass sich die Aufnahme von Flüchtlingen finanziell lohnt, wenn diese schnell in den Arbeitsprozess integriert werden können. Gleichzeitig führt die Freizügigkeit dazu, dass sich die Flüchtlinge die Länder aussuchen, die ihnen insgesamt attraktive Bedingungen anbieten.

    Flüchtlingspolitik wäre einfach, wenn man es denn will - doch am Willen hapert es in der EU.

    • @Velofisch:

      Obwohl ich Ihre Beitraege an sich sehr schaetze, anders als die manch anderer Kommentatoren hier, muss ich Ihnen hier doch wiedersprechen. M.E. fuehrt der im Artikel angesprochene Vorschlag zu einer absehbaren Belsatung der "attraktivsten" Laender. Waere es nicht besser, aber das ist angesichts der Aufnahmebereitschaft der meisten unserer EU.-Partner ohnehin alles pure Illusion, die Fluechtlinge, unter Beruecksichtigung "Kernfamiliaerer" Verbindungen weitestgehend nach dem Zufallsprinzip zu verteilen. Natuerlich muessen dabei die finanziellen, arbeitsmarktvorgegebenen, raeumlichen usw. Voraussetzungen in den Mitgliedsstaaten entspr. beruecksichtigt werden. Fas faende ich am fairsten. Unter den Mitgliedsstaaten, ggü. den Fluechtlingen u im Hinblick darauf, dass es, wenn etwa jeder Fluechtling aufgr des mgl Lebensstandarts dann in entspr Laender moechte, es Menschen in anderen EU-Laendern gibt, die einen solchen Standart nicht in Aussicht haben.

    • @Velofisch:

      Obwohl ich Ihre Beitraege an sich sehr schaetze, anders als die manch anderer Kommentatoren hier, muss ich Ihnen hier doch wiedersprechen. M.E. fuehrt der im Artikel angesprochene Vorschlag zu einer absehbaren Belsatung der "attraktivsten" Laender. Waere es nicht besser, aber das ist angesichts der Aufnahmebereitschaft der meisten unserer EU.-Partner ohnehin alles pure Illusion, die Fluechtlinge, unter Beruecksichtigung "Kernfamiliaerer" Verbindungen weitestgehend nach dem Zufallsprinzip zu verteilen. Natuerlich Berueckberuecksichtigung

  • Der Vorschlag entbehrt jeder realpolitischen Grundlage, denn kaum ein europäisches Land wäre bereit, die von Griechenland anerkannten Flüchtlinge aufzunehmen.

  • Allein der Ausdruck "planwirtschaftliche Verteilung von Asylsuchenden" ist es wert, dieses Interview mal langsam (zum Mitdenken) zu lesen. Und ja, die bisherige Politik (und die Diskussion darüber, gerade im Netz) dreht sich immer viel zu viel um das "Ob" anstatt um das "Wie".

     

    Denn dass diese Leute in Europa sind und das noch mehr kommen werden, ist einfach so, ob man das will oder nicht. Verhindern könnte man das nur mit Mitteln, die einem Völkermord nahekämen oder zumindest unseren grundlegenden Werten (ob politisch oder religiös oder moralisch) widersprechen. Bürgerkriege und deren Folgen, Klimaveränderungen, Globalisierung - es werden nicht weniger werden, sondern mehr. Es sei denn, wir schaffen es, all das irgendwie zu regulieren (und die Ergebnisse der Paris-Verhandlungen sind da immerhin ein Schritt in die richtige Richtung), aber das ist eine andere Baustelle, das wäre Strategie, wegen derer man die Taktik nicht vergessen sollte.

     

    Dass wir darüber diskutieren sollten, WIE wir all diese Leute irgendwie unterbringen in Europa und ihnen eine Perspektive eröffnen, die nicht nur Verwahrung heißt, kann man gar nicht oft genug sagen. Und freie Wahl des Aufenthaltsortes ist da durchaus ein Ansatz. Das muss ja nicht heißen, dass Flüchtlinge einfach dorthin gehen, wo es die besten Sozialleistungen gibt. Das ist nur so, wenn sie ansonsten keine Chance haben. Aber wenn ein afghanischer Schafhirte die Wahl hat, in Spanien Schafe zu hüten oder in Deutschland von den Behörden gefüttert in einem Sammellager zu leben, dann sollte man ihm vielleicht die Wahl lassen. Das würde natürlich systematische Hilfe, Aufklärung über wirtschaftliche Fakten, Bewussmachung von Chancen durch individuelle Umstände (Ausbildung oder zumindest Fertigkeiten), Hilfe auch bei Ortswechseln, etc. voraussetzen.

  • Bitte weiterdenken ...

     

    Die Freizügigkeit macht nur -und nur dann- einen Sinn, wenn die EU-Mitgliedstaaten einen uniformen Standard bei der Sozialabsicherung und Integration bieten.

    Dies ist bislang nicht der Fall.