Europameisterschaft und Arbeiterfußball: Als es einen anderen Fußball gab
Wenn man über eine Welt jenseits von Uefa und DFB nachdenkt, drängt es sich auf: das Andenken an einen demokratischen Sport.
D ie Fifa ist das Allerletzte. Gibt es da draußen irgendjemanden, der das anders sehen würde? Und der DFB erst. Was ist das eigentlich für ein verkommener Haufen? Das fragen sich die Leute nicht erst, seit bekannt ist, dass der Verband im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland Dreck am Stecken hat. Und die Uefa! Die ist eh das Allerallerletzte.
Geahnt werden das die meisten schon lange haben, Gewissheit haben sie seit Montagabend. Gut möglich, dass es nur einen einzigen Menschen in Deutschland gibt, der richtig findet, dass der Verband zum Spiel gegen Ungarn die Münchner EM-Arena nicht regenbogenfarben erstrahlen lässt. Das ist Reiner Koch, der kommissarische Chef des DFB. Siehe oben! Kein Wunder, dass der das denkt. Er sitzt auch in der Exekutive der Uefa. Siehe ebenfalls oben!
Aber es ist eben EM. Und die ist nun mal ein Produkt der Uefa. Und wenn man die besten Kicker, die der Kontinent hervorgebracht hat, mal spielen sehen will, dann bleibt einem doch fast gar nichts anderes übrig, als zuzuschauen. Oder? Unter der Westkurve des vor allem von Anhängern des TSV 1860 München geliebten Städtischen Stadions an der Grünwalder Straße stehen ein paar Schautafeln, die die Fantasie von einem anderen Fußball beflügeln. Eine Pop-up-Ausstellung nennt man das wohl heute. Sie wirft einen Blick auf die Geschichte des Arbeiterfußballs in München.
Der hat sich unabhängig von den bürgerlichen Sportorganisationen formiert, lernt man da. Und nachdem die Fifa ihre erste Weltmeisterschaft 1930 in Uruguay ausgerichtet hat, kam die Arbeitersportbewegung auf die Idee, eine Europameisterschaft auszutragen. 1932 wurde mit den Gruppenspielen begonnen. 1934 hätte sie entschieden werden sollen. Doch mit den Nazis kam das Ende des Arbeitersports und das Ende der EM.
Die Europameisterschaft der Arbeitersportler
Bei der Betrachtung der kleinen Ausstellung mit ihren neun Tafeln kann einem schon der Gedanke kommen, wie toll es wäre, wenn ein mächtiger Verband wie die Uefa sich dieser Geschichte annehmen und sie pflegen würde. Aber es ist eben die Uefa. Siehe oben!
So bleibt die Erinnerung an diese Arbeiter-EM und den Münchner Arbeiterfußball weitgehend unentdeckt. Die Westkurve mag ein stimmungsvoller Ort sein, wenn die Löwenfans sich selbst und ihre Mannschaft feiern, aber ein Spiel vor Publikum hat schon lange nicht mehr an der Grünwalder Straße stattgefunden. An stinknormalen Tagen ist einfach nichts los unter der Westkurve. Kaum jemand kommt an den Schautafeln vorbei.
Und so erfahren viel zu wenige Menschen, dass im Arbeiterfußball ein anderer, fast körperloser Spielstil gepflegt worden ist, dass der Onkel von Franz Beckenbauer einer der bekanntesten Arbeiterkicker in der Stadt war und welche Klubs sich seinerzeit in der Freien Fußballvereinigung Südbayern organisiert haben.
Dabei ist die Botschaft schön und groß, die da transportiert wird. Sie lautet: Ein anderer Fußball ist möglich. Siehe oben!
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