Europäische Migrationspolitik im Tschad: Im Asyl-Versuchslabor

Aus dem Tschad dürfen zukünftig ausgewählte Flüchtlinge nach Frankreich reisen. Präsident Déby verkauft sich als bester Freund Europas.

Zwei Männer stehen nebeneinander

Der tschadische Präsident Deby (li.) bei seinem französischen Amtskollegen Macron Foto: dpa

N'DJAMENA taz | Dass der Tschad in der internationalen Flüchtlingspolitik Gesprächsthema ist, hat er Emmanuel Macron zu verdanken. Zuletzt wurde der Tschad in diesem Zusammenhang kaum genannt – obwohl es fast 408.000 Menschen auf der Flucht beherbergt.

Vier Fünftel davon stammen aus Darfur, die an den Tschad angrenzende Bürgerkriegsregion im Sudan, und leben mitunter seit mehr als einem Jahrzehnt auf tschadischer Seite. International sind sie längst in Vergessenheit geraten. „Jedes Jahr werden die Mittel weiter gekürzt“, sagt Alberto Martin Huertas, Landesdirektor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes im Tschad, der in den Unterkünften im Osten des Landes Schulen sowie die Ausbildung von Lehrern unterstützt. Die Finanzmisere bestätigt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR: Bis Anfang Oktober sind nur 24 Prozent der 165,3 Millionen US-Dollar eingegangen, die dieses Jahr benötigt werden

Jetzt soll der Tschad zum Vorreiter einer neuartigen Flüchtlingspolitik werden: Flüchtlinge können im Tschad für Asyl in Frankreich vorsprechen. Asylbüros im Tschad und auch in Niger, wo es gut 100.000 Flüchtlinge gibt, sollen 3.000 Flüchtlinge auswählen, die direkt nach Frankreich reisen dürfen, verkündete Präsident Macron am 9. Oktober. Bei einem Gipfel in Paris am 28. August hatte er diese „Hotspot“-Idee zuerst ventiliert, um den afrikanischen Flüchtlingszustrom nach Europa über das Mittelmeer zu verringern.

Vor Ort hinterlässt Macrons Ankündigung Verwirrung. Marie Larlem, Leiterin der Gesellschaft zur Stärkung der Freiheit im Tschad in der Hauptstadt N’Djamena, lacht, als sie die Frage nach den Asylbüros und der Migration hört. „In Europa beschäftigt ihr euch gerne damit. Wir spüren davon aber wenig. Manchmal fragen wir uns sogar, was der Tschad überhaupt mit Migration zu tun hat.“

Kein Weg in die USA

Asylbüros – das klingt nach Gebäuden, festen Strukturen und Langzeitprojekt. Tatsächlich waren bisher aber nur einmal kurz Mitarbeiter der französischen Asylbehörde Ofpra vor Ort. Ibrahima Diane, UNHCR-Sprecher in N’Djamena, bestätigt, dass Ende Oktober erste Gespräche mit Flüchtlingen geführt worden, um sich „mit dem Schutz der französischen Autoritäten in Frankreich niederzulassen.“ Mehr als 200 Menschen seien befragt worden – aus Sudan und aus der Zentralafrikanischen Republik.

Damit könnte Frankreich die bisherige Rolle der USA übernehmen. Sie hatten im vergangenen Jahr 523 Flüchtlingen, die im Tschad lebten, Asyl gewährt. Weitere 118 gingen nach Kanada sowie Skandinavien. Mit Donald Trump hat sich das geändert: Ende September wurde der Tschad auf die Liste der Länder gesetzt, für die ein Einreiseverbot in die USA besteht. Auf der Homepage der US-Botschaft heißt es zwar, der Tschad sei „Hauptpartner in der Terrorismusbekämpfung“. In diesem Jahr erhielten bisher allerdings nur 99 im Tschad lebende Personen Asyl in den USA.

Mit 3.000 Plätzen in Frankreich hat nicht mal ein Prozent der Flüchtlinge im Tschad und Niger eine Chance auf legale Einreise, im Gegenteil: Mit der Aktion soll auch die sogenannte illegale Migration bekämpft werden, was zu verschärften Kontrollen für andere Migranten führen dürfte.

Eine Rückkehr in die Krisenländer Sudan, Zentralafrikanische Republik und Nigeria ist bis heute für die Mehrheit der Flüchtlinge nicht möglich. Im Tschad sind sie allerdings zum Nichtstun verdammt. Sie dürfen nicht arbeiten, sagt Huertas. Damit haben sie auch keine Möglichkeit, sich in ihrem Gastland zu integrieren und sich dort eine Zukunft aufzubauen.

Transit-, nicht Herkunftsland

In N’Djamena ärgert viele die Menschen die Diskussion um die Asylbüros aber aus einem ganz anderen Grund: Der Tschad wird plötzlich mit dem Reizwort Migration in Verbindung gebracht. Zwar wird er nicht als Herkunftsland, aber immerhin als Transitland bezeichnet – also als Land, das seine Grenzen besser überwachen sollte.

Während andere Länder der Sahelzone wie etwa Senegal und Mali seit jeher für Arbeitsmigration bekannt sind, sei das im Tschad kein Thema, sagt Menschenrechtlerin Marie Larlem. Ihrer Einschätzung nach liegt das daran, dass es keine Kultur der Migration gibt. Um Richtung Europa aufzubrechen, fehlt der Masse der Bevölkerung aber vor allem das Geld. Die Reise ins Ungewisse kostet mehrere tausend Euro und wird immer komplizierter. Das durchschnittliche Monatseinkommen im Tschad liegt bei weniger als 100 Euro.

Die Debatte um Abwanderung dürfte einem helfen: Präsident Idriss Déby, seit 1990 an der Macht und mittlerweile zentraler Partner der USA und Europas beim Kampf gegen islamistischen Terror in der Sahelzone. Er setzt sich nun auch als Partner beim Kampf gegen illegale Migration in Szene. Wer Europa zusagt, diesen Kampf zu unterstützen, der wird belohnt. Während des Frankreich-Afrika-Gipfels im September erhielt Déby Zusagen von 15,2 Milliarden Euro für wirtschaftliche Investitionen im Tschad in den nächsten fünf Jahren. Daneben hat Frankreich 223 Millionen Euro für den nationalen Entwicklungsplan bis 2021 zugesagt. Déby „führt den Krieg für sie und wird dafür bezahlt“, sagt Gewerkschaftspräsident Michel Barka. „Nicht weil er gut regiert, sondern weil er den Krieg führt.“

Die Bevölkerung Tschads wird daran bei jeder Gelegenheit erinnert. Manchmal lächelt Präsident Déby gleichzeitig von drei Plakaten, die an den Straßenrändern N’Djamenas stehen. Sie machen Werbung für eins seiner Projekte oder erinnern an ein Treffen, an dem der 65-Jährige gerade teilgenommen hat.

Halbierte Gehälter

Der hochgewachsene Barka gehört zu den wenigen, die offen über die Misere sprechen. Besonders die soziale Krise in Verbindung mit dem Verfall des Ölpreises beschäftige die Bevölkerung, berichtet er. „Wir haben in einer Zeit Öl produziert, in der es uns gut ging“, erinnert sich Barka, „wir haben geglaubt, dass die Entwicklung des Landes mithilfe der Ölgelder voran schreitet.“ Doch von der Hoffnung, die zu Beginn der Förderung im Jahr 2003 aufkeimte, ist heute nichts mehr übrig. Der Tschad, so konstatiert Barka nüchtern, würde heute noch schlechter dastehen als vor dem Ölboom.

Barka spricht über Geschäfte in guter Lage, die dauerhaft geschlossen sind, und hält bei der Frage nach der Arbeitslosigkeit einen Moment lang inne: „Kann man das überhaupt noch Arbeitslosigkeit nennen? Praktisch hat keiner der jungen Menschen, der seine Ausbildung beendet, anschließend eine Arbeit.“ Wer noch eine Anstellung hat, muss enorme Gehaltskürzungen hinnehmen. Vergangenes Jahr wurden die sogenannten „16 Maßnahmen“ erlassen, die das Land aus der Krise holen sollten. So wurden beispielsweise im öffentlichen Dienst Gehälter halbiert und Prämien gestrichen. Es wird geschätzt, dass einfache Polizisten auf nicht einmal 50 Euro monatlich kommen.

Doch Proteste bleiben aus. Das liegt einerseits daran, dass viele Menschen zu arm zum Demonstrieren sind: Ein Tag auf der Straße ist einer ohne Verdienst. Barka, ein ironisches Lächeln auf den Lippen, meint außerdem mit Verweis auf die schlechte Menschenrechtslage: „Wenn man hier die Menschen auf die Straße schicken würde, könnte man sie gleich in eine Metzgerei schicken.“

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