Europäische Linke: Gregor Gysi will Europa retten
In den Parteien, die der Europäischen Linken angehören, wird heftig über die Haltung zur EU gestritten. Neuer Vorsitzender soll Gregor Gysi werden.
Nun macht sich Gysi auf, die EU zu retten: Dieses Wochenende will er sich in Berlin zum neuen Vorsitzenden der Europäischen Linken (EL) wählen lassen. „Mir geht es darum, die Kräfte der Linken in Europa zu bündeln und auf das gemeinsame Ziel zu lenken, die soziale Spaltung und Perspektivlosigkeit in Europa zu überwinden“, sagte Gysi der taz.
Aber für welches Europa steht die EL? Bei ihr ist es wie in der Linkspartei: Wenn es um die Kritik an den neoliberalen Verhältnissen in der EU geht, sind sich die mittlerweile 25 Mitgliedsparteien zwar weitgehend einig. Aber was daraus folgt, darauf gibt es kontroverse Antworten.
Es ist der fünfte Kongress der 2004 in Rom gegründeten EL, zu dem an diesem Wochenende rund 380 Delegierte sowie Vertreter von sechs Beobachterparteien und Gäste aus aller Welt im Congress Center am Alexanderplatz erwartet werden. Die EL ist eine von der EU anerkannte – und finanziell unterstützte – „politische Partei auf europäischer Ebene“. Wie auch bei den christ- und sozialdemokratischen, liberalen oder grünen Europazusammenschlüssen ist die Bezeichnung als Partei aber irreführend. Denn tatsächlich handelt es sich um eine Vereinigung linkssozialistischer, kommunistischer und rot-grüner Parteien mit Konsensprinzip. Das Spektrum reicht von der traditionsreichen Parti Communiste Français (PCF) über die griechische Regierungspartei Syriza bis zur kleinen Déi Lénk aus Luxemburg.
Im Europaparlament bilden die in der EL zusammengeschlossenen Parteien das Gerüst der – was für ein sperriger Name! – Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke, zu der allerdings noch eine Reihe weiterer Parteien gehören. So sind die irische Sinn Féin, die niederländische Socialistische Partij oder auch Podemos aus Spanien zwar Mitglied der 52 ParlamentarierInnen starken Fraktion, aber – aus unterschiedlichen Gründen – nicht der EL. Es ist kompliziert mit der Linken.
Das liegt auch daran, dass angesichts des Austeritätsregimes von Schäuble und seiner Verbündeten insbesondere gegenüber den Ländern des Südens in zahlreichen EL-Parteien die EU-feindlichen Kräfte zunehmend die Oberhand gewinnen. Der brutale wie hoch ideologische Umgang der EU-Institutionen mit Griechenland – der einzigen linksgeführten Regierung in der EU – hat die proeuropäischen Kräfte schwer in die Defensive gebracht.
Gysi will gleichwohl weiter „um die Rettung der EU kämpfen“: Die EL müsse „deutlich machen, dass und wie Europa eine Chance ist, die Dinge für die Mehrheit der Menschen zum Besseren zu wenden“. Ein ambitioniertes Unterfangen.
Gysis Kandidatur für den EL-Vorsitz ist nicht unumstritten. Nicht nur innerhalb der Linkspartei verübelt ihm der Anti-EU-Flügel seine proeuropäische Orientierung. Doch letztlich haben sich die Vorsitzenden der Mitgliedsparteien einvernehmlich darauf verständigt, Gysi als Nachfolger des Franzosen Pierre Laurent vorzuschlagen. Dafür soll die Schweizerin Brigitte Berthouzoz als Schatzmeisterin den Linksparteiler Diether Dehm ablösen.
Keine einfache Aufgabe
Gysis Aufgabe wird keine einfache sein – denn sein neuer Job ist kein rein repräsentativer: Der 68-Jährige, der nächstes Jahr auch wieder für den Bundestag kandidieren will, muss im Falle seiner Wahl zusammenhalten, was angesichts der europäischen Krise immer schwerer zusammenzuhalten ist.
„Ich habe großen Respekt davor, dass Gregor Gysi diese schwierige Aufgabe übernehmen möchte“, gibt sich Sahra Wagenknecht diplomatisch. Bei der EL gehe es darum, „Prozesse zu moderieren und den Laden zusammenzuhalten, weil die Position der Parteien zu verschiedenen Fragen nicht einheitlich ist, zum Beispiel zum Euro und zur EU selbst“, so die Linken-Frontfrau zur taz.
Einer der prominentesten Fürsprecher Gysis wird am Samstag auf dem Kongress sprechen: der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, bei der Europawahl 2014 EL-Spitzenkandidat. Gäste werden außerdem Abgeordnete der in der Türkei verfolgten HDP sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen