Europa-Parteitage von SPD und FDP: Europawahlkampf der Frauen
Vollbluteuropäerin versus Eurofighterin: SPD und FDP küren in Berlin ihre Spitzenkandidatinnen für die bevorstehende Europawahl.
Berlin taz Eine Wahl, eine Regierung, zwei Kandidatinnen. Was SPD und FDP noch verbindet – und was nicht, das wurde am Sonntag deutlich. Die Grünen hatten Kandidatinnen und Europawahlprogramm bereits im November gekürt, nun zogen auch die anderen zwei Regierungsparteien nach. 150 sozialdemokratische Delegierte kamen im futurisch-sozialistischen Congress-Center am Alexanderplatz zusammen, die FDP tagte parallel mit 662 Delegierten in der urbanen Messehalle Station am Gleisdreieck.
Die Europawahl wird dieses Jahr auch ein Wahlkampf der Frauen, bis auf das Bündnis Sahra Wagenknecht und die AfD sind die Spitzenkandidatinnen der etablierten Parteien weiblich – da machen SPD und FDP keine Ausnahme. Für die SPD geht die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Katarina Barley ins Rennen, die mit einem quasi „sozialistischen“ Ergebnis von 98,6 Prozent gekürt wurde. Die 55-jährige frühere Generalsekretärin und Justizministerin sieht sich als „Europäerin vom Scheitel bis zur Sohle“.
Sie nannte die EU-Wahl eine Richtungswahl – die einen wollen mehr EU, die anderen ganz raus. Barley warnte vor einem Dexit, einem deutschen EU-Austritt, wie ihn etwa die AfD anpeilt. „Die Gegner der EU-hätten aus dem Brexit nichts gelernt, warnte Barley. Sie würden damit die deutsche Wirtschaft, deren Exporte zu 55 Prozent ins EU-Ausland gingen, in kürzester Zeit in eine schwere Notlage bringen.
Barley knöpfte sich allerdings auch jene vor, die Europa auf einen „reinen Binnenmarkt reduzieren wollen und bevorzugt von Bürokratieabbau“ sprechen. Das ging nicht nur implizit an die Adresse der FDP. Explizit kritisierte Barley die Blockade der FPD beim EU-Lieferkettengesetz. „Alles ist in Sack und Tüten, und wer blockiert in letzter Minute? Mal wieder die FDP!“
Für die FDP soll Marie-Agnes Strack-Zimmermann den Wahlkampf anführen. Die 65-Jährige Verteidigungspolitikerin zeigte sich kämpferisch. Strack-Zimmermann sei als „Eurofighterin“ die richtige Wahl für Europa, stellte sich Christian Lindner in seiner Auftaktrede hinter die Spitzenkandidatin. „StrackZi“, wie sie intern genannt wird, wird von der Basis und vor allem bei den Jungen Liberalen gefeiert. Bereits nach ihrer Bewerbungsrede – ihre offizielle Wahl steht noch aus – erhob sich der Saal und zollte der Düsseldorferin stehende Ovationen.
Gemeinsam kämpfen beide Parteien aktuell gegen mangelnde Beliebtheit. Beide sind im Umfragetief – die SPD kommt auf 13 Prozent und die FDP wäre ganz raus, wenn demnächst Bundestagswahl wäre. Beide sind also auch angetreten, die kommunikative Kehrtwende zu schaffen.
Kanzler mit belegter Stimme
„Die Europawahl ist die Chance, ein klares Signal gegen rechts zu setzen“, warb Olaf Scholz bei den Sozialdemokraten. Die Wahl am 9. Juni sei keine „Protest-, sondern eine Gestaltungswahl“, mahnte Lindner fast zeitgleich zu Scholz in Kreuzberg. Lindner wirkte fit, der Bundeskanzler aber sprach mit belegter Stimme und war gesundheitlich sichtlich angeschlagen. Hinter ihm prangte das Motto der SPD für den Wahlkampf: „Deutschlands stärkste Stimmen für Europa“. Die „Heute-Show“ wird frohlocken.
Die SPD setzt sowohl auf Barley als auf Scholz als Gesichter im Wahlkampf. Verstecken kann sie den Kanzler, der bei der Bevölkerung so unbeliebt ist wie nie, ohnehin nicht. Sie muss darauf hoffen, dass die derzeitigen Proteste gegen die AfD ein Momentum zugunsten der demokratischen Parteien schaffen.
Bei der EU-Wahl, dieses Narrativ setzen sowohl FDP als auch SPD, geht es um mehr als um die eigenen Parteien. Es geht um die Demokratie. Beide gehen hart mit der AfD ins Gericht. „Toleranz der Intoleranz gegenüber ist das Ende einer freien Welt“, rief Strack-Zimmermann. Aber es reiche nicht nur zu demonstrieren, es sei auch notwendig sich im Alltag gegenüber Arbeitskolleg*innen und Verwandten zu positionieren, wenn diese sich „homophob oder antisemitisch“ äußerten. Die Mitte dürfe die Tür nach rechts keinen Spalt breit öffnen, mahnte Strack-Zimmermann.
Zu den Feinden der EU zählt SPD-Parteichef Lars Klingbeil neben den Trumps, Putins und Höckes übrigens auch das Bündnis Sahra Wagenknecht. Letzteres hat sich am Samstag zum Gründungsparteitag getroffen. Die neugegründete Partei ruft in ihrem Wahlprogramm unter anderem zur Aussöhnung mit Russland auf und beruft sich dabei auch auf Willy Brandt. Was Klingbeil gewaltig gegen den Strich ging. „Brandt und Schmidt hätten die europäischen Freunde niemals verkauft“, rief Klingbeil empört, „Das ist der Unterschied zu denen, die nur in Talkshows sitzen, Bücher verkaufen und sich immer wegdrücken, wenn es um politische Verantwortung geht.“
Tatsächlich ist die Chance derzeit nicht gering, dass Putins Kalkül aufgehen könnte. Die Unterstützung des Westens für die Ukraine bröckelt, in den USA blockieren die Republikaner die Hilfen, und wenn Donald Trump ins Weiße Haus einzöge, würden sie wohl ganz wegfallen. Dann wäre Deutschland plötzlich der größte militärische Unterstützer. Was man laut Scholz nicht leisten könne: „Wir sind nur eine Mittelmacht“, so der Kanzler in ungewohnter Bescheidenheit.
Russischer Angriffskrieg im Wahlkampf
Das Thema Ukraine wird wohl auch im EU-Wahlkampf kein Selbstläufer sein – auch in Deutschland schwindet die Unterstützung in der Bevölkerung für Waffenlieferungen. Bei der FDP zog sich die Solidarität mit der Ukraine wie ein roter Faden durch den Parteitag. Strack-Zimmermann, die sich als Verteidigungsexpertin seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine profilierte, kritisierte Brüssel. Schon längst hätte sich die EU-Kommission um Ursula von der Leyen um die Finanzierung einer europäischen Armee kümmern müssen. Man müsse sich für eine Verteidigung Europas wappnen. Unter dem Motto „Streitbar in Europa“ und Kampagnenplakaten mit Boxhandschuh, zeigt die FDP: Sie ist bereit für Konfrontation im Wahlkampf.
SPD-Chef Klingbeil rechnet mit einem Wahlkampf, „bei dem uns der Wind ins Gesicht bläst“. Die SPD erreichte bei der Europawahl vor fünf Jahren 15,8 Prozent – ein historisch schlechtes Ergebnis. Die Liberalen feierten sich für 5,4 Prozent.
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