Eurokolumne: Kröten für Berlin
Im Wahlkampf haben die deutschen Euroretter Däumchen gedreht. Die nächste Regierung muss mit den Lebenslügen von Schwarz-Gelb aufräumen.
![](https://taz.de/picture/141774/14/eurokolumne_koalitons_3.10.jpg)
W as ist eigentlich aus der Eurokrise geworden? In den letzten Wochen vor der Wahl schien sie wie auf Befehl der Kanzlerin Pause zu machen. Auch jetzt, vor dem Start der Koalitionsverhandlungen in Berlin, drehen die Euroretter Däumchen. Alle warten auf Angela Merkel und ihr neues Kabinett, könnte man meinen. Schließlich ist Deutschland ja der unerschütterliche Stabilitätsanker in Euroland.
Doch der Eindruck täuscht. Zum einen war die Krise nie weg – sie hat sich nur von den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft und die Arbeitsmärkte verlagert. Zum Zweiten ist Deutschland selbst zum Problem geworden. Das liegt nicht nur an der Weigerung der Kanzlerin, sich auf Eurobonds oder eine gemeinsame Arbeitslosenkasse einzulassen, was viele EU-Politiker verärgert. Es liegt auch an den Strukturproblemen der deutschen Wirtschaft, die im Wahlkampf gerne verschwiegen wurden.
Die einstige Konjunkturlokomotive Europas ist nämlich zum Bummelzug geworden. Gleichzeitig hat Deutschland neue Rekorde bei Exporten und Leistungsbilanzüberschuss aufgestellt. Konkreter: Wir haben Arbeitslosigkeit exportiert, ohne für neues Wachstum in Europa zu sorgen.
Die Ungleichgewichte in der Eurozone, die Merkel und Noch-Finanzminister Schäuble eigentlich abbauen wollten, sind also gewachsen. Während die Krisenländerdefizite langsam schrumpfen, schießen die Überschüsse in Deutschland in die Höhe. Sie werden zwar vor allem mit Ländern außerhalb Europas erwirtschaftet. Doch ins Gleichgewicht kommt die Eurozone so nicht.
Memo für Merkel
Nicht nur das: Der Brüsseler Thinktank Bruegel hat eine lange Hausaufgabenliste für Berlin erstellt. Das „Memo für Merkel“ enthält einige alte Bekannte: höhere öffentliche Investitionen, erleichterte Zuwanderung, eine echte Bankenunion und viel mehr Geld gegen die Jugendarbeitslosigkeit – inklusive Liberalisierung der Arbeitsmärkte. Klingt konsensfähig, vor allem wenn es zu einer Koalition mit der SPD kommen sollte. Die Genossen fordern schon lange mehr Geld etwa für Bildung und den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit.
Allerdings sollte die neue Regierung laut Bruegel auch ein paar Kröten schlucken. Die „echte“ Bankenunion – also eine zentrale Überwachung mit gemeinsamer Abwicklung von Pleiteinstituten – stößt auf Widerstand in Berlin, selbst wenn EZB-Mann Jörg Asmussen (SPD) sie unterstützt. Auch eine höhere Inflationsrate, die Deutschland zur Linderung der Krise hinnehmen soll, dürfte kaum auf Gegenliebe stoßen.
Das ist die Krux mit Deutschland: Wir möchten ganz Europa nach unserem Vorbild umkrempeln, aber bei uns darf sich nichts ändern, kosten darf es natürlich auch nichts. Dass das deutsche Exportwunder mit Schuld an den Ungleichgewichten und damit an der Krise ist, wird ebenso wenig vermittelt wie der Umstand, dass deutsche Niedriglöhne ein Problem für Europa sein könnten. Die alte Bundesregierung hat all das bewusst verschwiegen.
Wird die neue Koalition die Tabus der abgewählten schwarz-gelben Regierung brechen? Bisher spricht nichts dafür. Schon im Wahlkampf spielte Europapolitik nur eine Nebenrolle. Nun möchte Merkel ihren Wahlsieg nutzen, um genauso weiterzuwurschteln wie zuvor.
Mit keinem Satz hat sie ihren Wählern vermittelt, dass für einen stabilen Euro auch Deutschland Opfer hinnehmen muss. Auch SPD und Grüne wagen sich nicht an dieses heikle Thema heran. Niemand stellt das deutsche Modell in Frage, alle fordern nur Reformen in den Krisenländern. Doch wenn sich in Berlin nichts bewegt, bedeutet das nicht unbedingt mehr Stabilität für Brüssel. Im Gegenteil: Es könnte die Eurokrise noch verlängern.
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