piwik no script img

EurokolumneEinrichten in der Postdemokratie

Eric Bonse
Kolumne
von Eric Bonse

Die Augen-zu-Strategie funktioniert nicht: Die EU-Politiker sollten endlich offen über Griechenlands Krise sprechen und dem Land mehr Hilfe zusagen.

Das Krisenland hat seit Jahresbeginn den EU-Vorsitz inne. Bild: reuters

E uropa richtet sich immer mehr in der Postdemokratie ein. Schon bei der Bundestagswahl gab es keine wirkliche Debatte über die EU und die fehlgeleitete Eurorettung. Versuche, die kritische Lage in Griechenland zu diskutieren, wurden einfach abgewürgt. Es gebe keine Alternative zum aktuellen Kurs, beschied Schwarz-Gelb dem Wähler – basta.

Ähnlich läuft es vor der Europawahl im Mai. Griechenland steht zwar mehr denn je im Fokus – das Krisenland hat seit Jahresbeginn den EU-Vorsitz inne. Die schwache Regierung Samaras führt nun nicht mehr nur die Geschäfte in Athen, sondern auch noch Regie in Brüssel. Am Ende der sechsmonatigen Präsidentschaft steht die EU-Wahl.

Wer hoffte, es werde jetzt endlich eine offene Aussprache über die griechische Tragödie geben, wird enttäuscht. Antonis Samaras erklärte die Krise, die Griechenland auf den Status eines Entwicklungslandes zurückgeworfen hat, kurzerhand für beendet.

Aus Brüssel kommt das übliche „Weiter so“. Und aus Berlin hört man – trotz Regierungswechsels – auch keine neuen Töne. Macht nichts, schließlich stehen Entscheidungen erst im Sommer an, heißt es in Brüssel. Erst dann will sich die EU mit der Frage beschäftigen, wie es in Athen weitergehen soll. Erst dann wird sich zeigen, ob es bei der Deckungslücke von 11 Milliarden Euro im Etat bleibt – und wie sie geschlossen werden soll. Doch wer so spricht, und der neue alte Außenminister Frank-Walter Steinmeier gehört offenbar dazu, entlarvt sich als Anhänger der Postdemokratie à la Colin Crouch.

Ohne den Schuldenerlass geht es nicht

Wer so spricht, will sich nämlich die öffentliche Debatte über die vergurkte Griechenland-„Rettung“ ersparen. Wer so spricht, will auch Alternativen verdrängen, den Europäern keine Wahl lassen. Ein Marshallplan für Südeuropa? Ein gemeinsamer europäischer Schuldentilgungsfonds? Ein Ende der tödlichen Austeritätspolitik?

Das soll alles kein Thema mehr sein, auch wenn es die SPD im Bundestagswahlkampf gefordert hat – und in ihrem Europawahlprogramm weiter fordert. Dabei ist die Debatte nötiger denn je. Denn ohne Wachstumsprogramm und Schuldenerlass – da sind sich fast alle Experten einig – wird Griechenland nie wieder auf eigene Beine kommen. Und ohne eine klare Perspektive – das betont sogar Athen – droht bei der Wahl ein Debakel.

Samaras verfügt nur noch über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament, seine Zweiparteienkoalition dürfte einen brutalen Dämpfer erhalten. Die Spardiktate der Euroretter haben das linke und rechte Lager gestärkt, die Mitte geschwächt. Wenn es schlecht läuft, werde es die EU „mit einer breiten Front antieuropäischer Kräfte“ zu tun bekommen, warnt Außenminister Evangelos Venizelos. Was passiert, wenn Brüssel auf die politische Krise „bürokratisch und obsessiv“ reagiert, sei nicht absehbar.

Allerdings: Ein Wahlsieg der linken Syriza könnte sogar befreiend wirken, wenn er ein Umdenken bei den Eurorettern bewirkt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass rechte Nationalisten und Faschisten zulegen – und Griechenland unregierbar machen. Davor hat sogar die Notenbank in Athen gewarnt. Doch in Brüssel und Berlin stellt man sich taub. Dabei ist klar, was zu tun wäre.

Unabsehbare Folgen

Statt achselzuckend zuzusehen, wie sich die Wiege der Demokratie in ein Armenhaus verwandelt, sollten die EU-Politiker Griechenland eine Lockerung des Sparkurses und weitere Hilfen zusagen. Die Griechen müssen endlich Licht am Ende des Tunnels sehen – sonst werden sie sich von der EU komplett abwenden. Das hätte wirklich unabsehbare Folgen.

Außerdem muss endlich hier die Debatte über Ursachen und Folgen der Krise beginnen. Die Europawahl bietet dazu eine einmalige Chance. Wird sie verpasst, so brauchen wir uns über Demokratie in Europa wohl nicht mehr zu unterhalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "Außerdem muss endlich hier die Debatte über Ursachen und Folgen der Krise beginnen. "

    Aber nicht doch , Herr Bonse,... das geht überhaupt nicht ! Erstens haben die Macher dafür keine Theorie , und zweitens gibt es in der Theorie , die sie h a b e n ("neo-klassische VWL"), kein Kapitel über "Krise" .

    Jaaa ... und die Theorie , die Ursachen und Folgen der Krise erklären kann , wird durch allgemeines Ignorieren und Schweigen für falsch erklärt . Weil sie nicht wahr sein

    d a r f .

  • U
    Ursula

    Gr hat bisher mehr als 300 Milliarden Euro erhalten und auch verbraucht, davon allein 83 aus Deutschland. Es hat einen großzügigen Schuldenschnitt von 100 Milliarden bekommen.

    Wieviel mehr soll Grdenn nahc Meinung deds Autors bekommen? Wo soll die Reißleine gezogen werden?

    (Zum Vergleich: die letzte Rentenerhöhung in D hatte ein Volumen von 0,5 Milliarden.)

  • Die Leute haben CDU/CSU und SPD gewählt. Das bedeutet: Griechenland ist erledigt.

     

    Ob das die EU überlebt, wird man sehen. Der Euro sicher nicht.

  • Dass Griechenland ohne einen Schuldenerlass in der EU nicht überleben wird, scheint nur den Eurokraten nicht klar zu sein. Aber es ist auch naheliegend, dass auch ein Schuldenerlass nichts daran ändern wird, dass dieses Land nicht den EU-Maßstäben genügt und in der Eurozone nicht überlebensfähig ist. Die Verwaltung funktioniert dort nicht, Steuern werden nicht gezahlt, die Bildung ist am Boden, die Korruption wuchert wie kaum in einem anderen Land, auch verglichen mit Ländern außerhalb der EU. Und es stellt sich eine weitere, weitaus wichtigere Frage: Was ist eigentlich von einer Demokratie zu halten, wenn sie allein schon deshalb zerbröselt, wenn es dem Volk wirtschaflich nicht gut geht? Bestätigt es die These, dass eine Demokratie nur dann funktionieren kann, wenn die Bevölkerung gut lebt? Dann dürfen wir uns alle darauf einstellen, dass die Demokratie der Vergangenheit angehört. Die taz hat es auch schon so betitelt: Eine Postdemokratie.