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Euphorie um TwitterEs braucht Arschlöcher

Hochwasser! Terror! Revolution! Wer die Twitter-Euphorie nicht teilt, hat den Schuss nicht gehört. Wie bitte? Eine Polemik.

Einfach mal Rumschreien. Ist das Twitter? Bild: nicolasberlin / photocase.com

Es gibt Leute, die können mit Twitter etwas anfangen. Und es gibt Leute, die können das nicht. Vielleicht muss das so sein. Bis zu einem bestimmten Alter werden technologische Errungenschaften, und seien sie auch noch so atemberaubend, mühelos als notwendig oder wenigstens angenehm ins eigene Leben integriert.

Ab einem bestimmten Alter ist jede technische Errungenschaft nur noch überflüssig und eine beleidigende Erinnerung daran, dass der Fortschritt durch unser Desinteresse oder unser Unverständnis nicht aufzuhalten sein wird.

Unklar ist, wann genau dieses „bestimmte Alter“ erreicht wird. Klar ist, dass beispielsweise der türkische Ministerpräsident Erdogan es bereits überschritten hat: Seine Perspektive ist die des autoritären Potentaten. „Es gibt jetzt eine neue Bedrohung namens Twitter“, eröffnete er unlängst seinem verblüfften Volk. „Die besten Beispiele für Lügen können dort gefunden werden. Für mich sind die sozialen Medien die schlimmste Bedrohung der Gesellschaft.“

Merkwürdig nur, dass er selbst eifrig twittert oder twittern lässt. Und typisch, dass diese Bemerkung eines „Bösen“ das soziale Netzwerk zu einem Instrument des Guten adelt.

Ohne Twitter wären wir ĺängst ertrunken

Die Titelgeschichte „Wo diskutiert man schlechter: Twitter oder Jauch?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. Juni 2013. Darin außerdem: Der Tatort-Schauspieler Oliver Mommsen über seinen Bremer Kommissar Stedefreund und schräge Ermittler-Kollegen. Ein Gespräch mit der Humorforscherin Barbara Wild. Und: Warum eine indische Mutter ihre Tochter verhungern ließ. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Twitter werden im gesellschaftlichen Diskurs sogar von seinen Gegnern geradezu messianische Qualitäten zugesprochen. Wobei Gegnerschaft keine satisfaktionsfähige Position mehr ist. Wer die Euphorie nicht teilt, hat einfach den Schuss nicht gehört. Punkt. Der Kampf gegen die Flutkatastrophe? Ohne Twitter wären wir längst alle ertrunken. Sexismus in Deutschland? Vor #Aufschrei war das noch nie ein Thema. Der türkische Frühling? Ohne Twitter nicht denkbar.

Der arabische Frühling in Tunesien, Ägypten, Libyen? Hätte ohne soziale Medien nie stattgefunden. Schon fragt man sich, wie Menschen in der Geschichte sich überhaupt jemals sozial verhalten oder von ihren Unterdrückern befreien konnten – so ganz ohne die Segnungen sozialer Netzwerke.

Dass tatsächlich die Demonstranten vom Tahrir-Platz in Kairo den Kurznachrichtendienst als kryptomilitärischen Geheimdienst nutzten, „gefällt“ vor allem Nutzern in der westlichen Wohlstandssphäre. Es ist die Tapferkeit, außer Reichweite zu sein. Bürgerkrieg im digitalen Live-Mitschnitt, wo nicht Haubitzen und Jagdbomber, sondern die meisten „Likes“ und „Follower“ über Sieg und Niederlage entscheiden.

Buch

Arno Frank „Meute mit Meinung“. Ein kritisches Essay über Shitstorms, Flashmobs und andere Phänomene der digitalen Meute. Kein und Aber, Zürich 2013, 64 Seiten, 7,90 Euro.

Geht es noch kindischer, weltfremder? So könne man, meint beispielsweise Mercedes Bunz in ihrem Buch „Die digitale Revolution“, minutiös nachverfolgen, wann über welche Zufahrtsstraßen welche Panzer ins Zentrum der ägyptischen Hauptstadt gerollt und in welche Seitenstraßen daraufhin die Demonstrierenden ausgewichen seien.

„Lasst uns das Schwein tot hauen!“

Und was genau ist damit gewonnen? Überblick? Eine Revolution? Oder doch nur das ebenso zweifelhafte wie schmeichelhafte Gefühl, auf der richtigen Seite gestanden zu sein? Dass der Schuss, den manche angeblich nicht gehört haben, auch nach hinten losgehen kann, zeigte die Jagd auf die Bombenleger von Boston. Sehr schnell, viel schneller als die Behörden, hatte der Schwarm einen vermissten (und später tot aufgefundenen) Studenten als Täter erkannt – und damit dessen Familie das Leben zur Hölle gemacht.

Und als nach einem Kindermord in Emden ein (unschuldiger) Verdächtiger gefasst worden war, versammelte sich ein immerhin 50-köpfiger Lynchmob vor der Polizeiwache, der dem Facebook-Aufruf „Aufstand. Alle zu den Bullen. Da stürmen wir. Lasst uns das Schwein tot hauen!“ gefolgt war.

Das sind keine Betriebsunfälle. Das ist schlicht die Kehrseite einer Technologie, über die gesprochen werden muss. Selten war unser Bestes, selten aber auch unser Schlechtestes so umstandslos zutage gefördert. Von den Opfern des anonymen Cybermobbings soll gar nicht erst gesprochen werden, auch nicht von dem ozeanischen Dünnpfiff, den die meisten parasozialen und hyperbanalen Alltagstweets darstellen.

Dieser Ozean entfaltet seine wahre Wucht, wenn er sich zu Empörungswellen auftürmt. Für einen Shitstorm, auch für den angeblich „gerechten“, braucht es kein kulturelles Hintergrundwissen, keine politischen Überzeugungen, keine fundierte Meinung und nicht einmal mehr Mut. Nur Arschlöcher.

Was meinen Sie? Wird Twitter überbewertet? Oder sollten wir froh sein, ungefilterte Informationen aus Istanbul und Kairo zu bekommen? Was sind Ihre Erfahrungen? Schon mal einen Shitstorm erlebt? Oder selbst angezettelt? Wir freuen uns über Ihre Meinung. Diskutieren Sie mit - hier auf taz.de.

Und gibt es überhaupt noch einen öffentlichen Ort, an dem spannende Debatten möglich sind? Im Polittalk von ARD und ZDF? Bei Jauch etwa? Unser Autor Arno Frank hat ein Experiment versucht - vier Wochen lang. Die Titelgeschichte „Wo diskutiert man schlechter: Twitter oder Jauch?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. Juni 2013.

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16 Kommentare

 / 
  • M
    Michael

    Twitter ist Echtzeit-Detail-Kommunikation pur und so tröpfeln die Gedanken halt großteils wenig durchdacht wie unter einer Lupe in die Internet-Rinne. Dabei ist es als Mittler desselben wie das echte Leben auch: Jede Menge Dünnpfiff, aber auch etliche Perlen. Man könnte vielleicht sagen Dünnpfiff mit Perlen.

    Auch was das Alter von Twitter angeht, kann ich dem Autor folgen, wenngleich ich es keinesfalls so kritisch sehe: Twitter ist ein junges Medium. Vor allem für geistig junge, frische, junggebliebene, spontane, flexible, vielseitige, vielseitige interessierte Menschen. Wofür es ihm leider an Strukturen mangelt. Twitter ist zu groß, chaotisch, ungeordnet, unstrukturiert, um mehr als nur zufällig Echtzeit-Detail-Statements aufzufischen.

  • E
    E.Z.

    So sinnbefreit wie die Kommentare auf Zeitungswebsites muss Twitter erst mal werden.

  • JE
    johannes eschl

    ob twitter. ein schwarzes brett cb-funk oder ein spruch vom band mit den neusten Nachrichten.

     

    alles ist so gut wie die information die eingespeist wird.

     

    bei twitter sind es engagierte Menschen, die ihr wissen teilen.

     

    Bei Jauch Legastetiker, die sich christlich nennen und ein überbezahlter Moderator, der nicht moderiert. Da kann nichts rauskommen.

     

    Alles ist besser die GEZ-überfinanzierte Mafia von ZDF und Br, MDR oder NDr.

     

    Ein Lob an die Idealisten vom SWR, da aber leider nicht das Geld haben, an Kabel-Deutschland für die Einspeisung in den benachbarten Ländern zu zahlen.

     

    In Regien wie dem Nahen Osten, z.B. Niederbayern, werden nicht mal die letzten halbwegsfreien Radiosender , wie AFK, eingespeist.

     

    Ein Grund mehr sich für die TAZ zu engagieren!

  • E
    Erich

    Twitter kann brauchbar sein. Wenn es die Kommunikation fördert - fein. Aber dieses "me too" und sinnbefreite Geblubbere nervt. Beispiel: dieses Wochenende wird auf 1plus von Rock im Park übertragen und ständig Twitter-Meldungen eingeblendet. Und was man dort zwangsläufig mitlesen muss, ist grenzdebil und überflüssig. Ich muss echt nicht wissen, wenn irgendwelche Girlies bei Jared Leto das erste mal Feuchtigkeit im Höschen spüren. Und das ist noch bei weitem das Spannenste.

  • Q
    Querulant

    Twitter ist so nötig wie ein Kropf...

  • TS
    Thomas Sch.

    Was ich nicht begreife: Ist Twitter was anderes als ´ne SMS ? Wenn ich eine SMS schicke, simse ich (wat´n blödes Wort), oder ? Wenn ich twittern (klingt noch blöder, oder ?) will, muß ich dann auf eine Twitter.de-Webseite oder brauche ich ein eigenes Gerät oder was ? Sorry. Benutze mein Smartphone (oho) überwiegend zum Telefonieren. Ich schnall das nicht. Könnte mal jemand freundlicherweise einem Neandertaler wie mir was erklären, bitte.

  • AD
    Andrea Doria

    Bin weder bei Facebook noch bei Twitter und schaffe es ohne Probleme zu überleben :-)

    Wenn ich mir die blogs bei der taz durchlese, in denen es zum Schlagabtausch weit unterhalb der Gürtellinie kommt, denke ich, dass sich dort Leute bewegen, die ziemlich schmerzfrei sein müssen. - Naja, "wenn's scheee macht ..."

  • M
    MiaMia

    Guten Morgen in die Runde....

     

    Soziale Medien und Kommunikationstechnik bringen nun mal keine gelungene Kommunikation. keine Information. Keine Bildung. Sie schaffen all das auch nicht ab. Aber sie verändern die Gewohnheiten und Erwartungen.. Und DAS nervt mich.

     

    Anders als im realen Leben kommuniziere ich in sozialen Netzwerken mittels Technik und: Text - nur manchmal noch per Bild und Tonübertragung. Andere Sinne sind ausgeschaltet, die sonst den -wesentlichen- Teil der Kommunikation im echten Leben tragen. Missverständnisse und unvollständiges Verstehen sind also Normalität.

     

    Informationen werden auch nicht mehr, besser oder schlechter durch "soziale Medien" übertragen. Es gibt keine technischen Vorgänge, die dafür sorgen, dass aus Getippere und Sätzen tatsächlich Informationen werden. Nirgendwo. "Amerika wird von Obama geführt" ist nirgends Informationen sondern bestenfalls Randgruppenkommunikation für Leute, die sich im Realraum verständigt haben, dass ein ganzen Kontinent allenfalls aus den USA besteht und ein Präsident zentral das Leben eines Staates steuern kann, ein Staat etwas Steuerbares ist etc. Meist ist der Satz Kommunikationsmüll. Das ist nun mal so.

     

    Zu Informationen werden Datenansammlungen nun mal erst dort, wo sie interpretiert werden - real sozial eingebunden sind.

    In meiner Welt ist Amerika Peru. Und da führt irgendein Obama meines Wissens noch nix.

     

    Und: Individuelle Rückmeldung zu misslungener Kommunikation spielt im "sozialen Medium" eine völlig untergeordnete Rolle. Was - wenn ich beherzige, dass Missverstehen normal ist - auch Sinn gibt...

     

    Selbstreflexion im sozialen oder microsozialen Medium wird auch durch nichts befördert. Wenn ich Lernen als inneren Prozess der Veränderung des Selbst begreife, ist Selbstreflexion und Selbstveränderung technisch bei Twitter und Co nicht vorgegeben. Durch nichts. Was nicht heißt, dass ich da nichts lernen kann. Nur ist das Medium so gar nicht entscheidend.

     

    Die Übernahme von Verantwortung - reale, messbare, individuelle Konsequenzen aus eigenen Kommunikationsverhalten - wird durch diese "sozialen" Medien auch nicht nahe gelegt. Und nicht ausgeschlossen. Aber ist eben nicht vom Medium abhängig.

     

    Was bleibt ist Aktivität. Worte. Sozial gar nicht eingebundene Rede, Bilder. Töne. Twitter und Co sind technischen Netzwerke, Spielnetze, mit verhältnismäßig offenem Zugang (wenn ich es mit dem Radio vergleiche) für neue SpielerInnen.

     

    Es sind technische Geräte und Programme, die im realen Leben als Kommunikationsmittel und deren Inhalte als Kommunikation geadelt werden. Die Nutzung von Programm/Technik wird zu Informieren, Lernen, Bildung, Kommunikation gehypt.

    Obwohl nichts dafür spricht.

     

    Ich muss schon sagen, es ist ein genialer Webefeldzug der IT-Industrie und der verbundenen Stellen. (Zumal gar nicht zentral gesteuert)

     

    Ich bin tief beeindruckt, auch weil es ja durchaus viel Spaß macht, sozial nicht eingebunden Wortgebilde zu basteln und in Blogs zu streuen. Ich brauch nur technisches Handwerkszeug - und eben Kohle. Mitunter - wenn ich arm bin- relativ viel Kohle. Die spielerische Seite wird da durchaus angelockt - zumal das Spiel niederschwellig ist: reale Sanktionen für Foulspiel gibt es tatsächlich verschwindend selten, global betrachtet.

     

    Und dann droht doch mal Gefängnis für dieses Twittern? Natürlich geht das gar nicht. Manchmal jedenfalls gar nicht. Wollen wir tatsächlich Spiele betrafen?

     

    Und da wollen im Spiel heimlich Spielerfinder und Gastgeber von Spieleseiten Daten aus Spielenetzen abgreifen?! Geht gar nicht!? Tut ein Gastgeber nicht? Oder soll der Gastgeber Facebook doch Hausrecht in der eigenen Programmtechnik haben?

    Empört uns das? Weil da dann die "sozialen Netzwerke" im realen Leben gar nicht sozial, sprich in Gruppenprozesse eingebunden sein wollen?

    Twittern, HTWM, Wordpress-Bedienung etc. sollten einen bitte nicht in realen Kontakt mit Menschen und deren Leben bringen?! Wieso / eigentlich / nicht?

     

    Aber es ist schön, dass die ProduzentInnen, BetreiberInnen, Schulungs-Institute, Software-ErfinderInnen etc, kurz, alle wirtschaftlichen ProfteurInnen unter dem Label der KOMMUNIKATION segeln, vermarkten und verdienen können. Nix an dieser Stelle gegen das Verdienen. Nur finde ich es für mein Leben nicht wünschenswert, um mich herum Menschen zu haben, die dann unter Kommunikation die Produktion von Wortmüll begreifen.

     

    Ein oft erlebtes unspektakuläres Beispiel:

    Ich werde z.B. -von völlig unbekannten - mit "Hey wie gehts Dir?" angeschrieben. Die darauf Angesprochenen begreifen nicht einmal mehr, dass ich das unpassend finde und reagieren mit respektlosen Worten, wenn ich nicht reagiere. Derartiges Gebaren an der Käsetheke neben mir würde Kopfschütteln, ggf. auch von Nebenstehenden, eine fassbarere Welle der Ablehnung und ggf. den Lerneffekt haben, so nicht noch mal zu agieren, weil spätestens beim Rumpöbeln über Nichtreaktion das Käsethekenpersonal eingreifen würde. Das ist dann ein soziales Netz, dass nach dann akut geteilten Werten gegen jemanden für etwas agiert und zeigt, was gelungene Kommunikation konkret ist Rausschmiss z.B.

    Aber im Netz? Hier re/agiert die Technik nicht. Keine Sperren, keine Verständigung von mir mit der Programmtechnik über Unterstützung, keine realen fühlbaren Sanktionen, kein soziale Verständigung über NoGo`s. Aber -ich sags mal klar - kursierende versaute Vorstellung davon, selbst schon angemessen im soziale Rahmen zu kommunizieren, nur weil Mensch eine Tastatur gekauft hat und drauf rumtippern kann.

     

    So, und nun hab ich Sie und Euch auch zu lang mit Buchstaben vollgetextet. Ich bin dann mal weg - am Käsestand.

     

    Ich wünsche allen noch einen sonnigen Tag!

     

     

    P.S. Sorry, ich bin digitale LegasthenikerIn.

    Und TV Technik und Programmtechnik aka Talkshows betrachte ich auch so gar nicht als Ersatzforum für soziale Kommunikation, die MICH weiterbringt.

  • M
    MartinX

    Twitter und die sozialen Netzwerke, mit den Smartphones als Konsum- und Übertragungsmedium tragen auch dazu bei, dass die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ausstirbt und wir Menschen uns nicht mehr in die Augen schauen wenn wir miteinander reden.

    Diese nonverbalen Gesten und Gesichtszüge, spiegeln die natürliche Authentizität des Gegenübers, wenn ich mich dagegen heute mit einem, an das " technische Gerät" angeschlossenen Menschen unterhalten will, so stelle ich schnell fest, dass außer einer Leere in den Augen, auch eine Leere in den Wörtern und Sätzen, als Folge der Entfremdung durch die Technik vorzufinden ist.

  • JA
    jan a

    Also,

     

    der Artikel beginnt leider schon einmal mit einem wirklich schlechten Argument: Dass »Twitter-benutzen« mit einem bestimmten Alter einhergeht. Natürlich benutzen Twitter eher Internet-affine Menschen, die meistens eben damit aufgewachsen sind, allerdings kenne ich (aus dieser unsagbaren digitalen Generation stammend, glaube ich) wirklich genug Personen in meinem Alter, die Twitter weder benutzen noch überhaupt die Sinnhaftigkeit geschweige des Wertes von Twitter verstehen könnten.

     

    Microblogging-Plattformen funktionieren meiner Meinung nach zu aller erst nur als Aggregatoren mit einer Eigendynamik, die durch zum Teil ziemlich komplizierte verflechtungen von "Followern", bestimmten Tags zur richtigen Zeit, dem richtigen Link – und auch mit der richtigen Sprache – zusammensetzt.

     

    Manchmal ist es dann vor allem eher ein Katalysator, Situationen spielen sich hoch: 'Shitstorms', Revolutionen & Aufschreihe. Auch wenn oppositionelle und subversive Bewegungen immer erstmal gut sind (imo), sollten wir ja nach Kant und unzähligen Beispielen der Geschichte wissen, dass Wandel nicht durch eine Schar Säue be-trieben wird, die durch das Dorf ge-trieben werden.

     

    Für die, die diese Medien richtig einsetzen, ist Twitter ein Schatz, meiner Meinung nach auch was eine kurzzeitige Geschichtsschreibung angeht, die nicht nur die Gewinner betrachtet, sondern die mit der größten Medialen Wirkung.

    Und alleine ist Twitter nichts, durch den auf Twitter genutzten Hashtag, wird auf einem Tumblr alles relevante Bildmaterial gesammelt: http://occupygezipics.tumblr.com/

     

    Das ist Echtzeitarchiv, welches auch noch geprüft werden muss, aber es ist einfach unglaublich dass so etwas möglich ist.

     

    Zum Begriff der Kehrseite: Die gibt es, oder oft eher Prismen-artige Seiten immer. Twitter ist Fundgrube für wunderbare literarische und philosophische aphoristische Kurzformen und auch Becken banaler und pseudo-belustigender oder "intelektueller" Erbrechen, Twitter ist News- und Wissens-Aggregator und zugleich Becken für Katzen-Videos, andere Pussies und genug Zeug das niemand lesen oder sehen will.

     

    Das ist das Internet. Das sind vor allem die Menschen darin. Durch die Direktheit der Publikation ist nur alles direkter, schneller und transparenter. Das ist nicht gut oder schlecht, sondern Modus Operandi.

     

    Menschen denunzieren, Mobbing, Gewalt wird nicht gut nur weil sie auf Twitter stattfindet und genausowenig ist Poesie mehr oder weniger Wert "auf Twitter", sie ist einfach. Die moralische Dimension liegt außerhalb von Twitter, gerade weil es Twitter ist.

     

    Das kann auch alles Quark gewesen sein und es war definitiv ohne Plan aber nach Kleist: "l'idee vient en parlant"

  • SR
    Sandor Ragaly

    Endlich mal ein Beitrag, der die **Ambivalenz**, die so gut wie allen technisch-sozio-politischen Umwältungen innewohnt, die Existenz einer oft und vor Begeisterung erstmal marginalisierten "Kehrseite" gelten lässt und thematisiert. Prima! Es gibt Nebenwirkungen intendierter Fortschritte, immer, die man oft erst mjit Distanz sehen lernt, und es gibt v.a. den bewussten Missbrauch (vgl. Cyberwar) oder guten Gebrauch einer Technik, bzw. Beides zugleich - was vor allem daraus wird hängt vom Großen bis ins Detail von uns, unserer Nutzungsweise, unserem Engagement, unserer Politik ab, ein positiver Selbstläufer ist es nicht.

  • JZ
    Jan Z.

    ihr habt den Schuss nicht gehört. Twitter ist genauso wenig "gut" oder "böse" wie das Telefon als reines Medium gut oder böse ist. Wer das - altersunabhängig - nicht versteht, sollte sich ein paar Gedanken machen und auf dieser Grundlage dann gerne polemisieren. Aber das habt ihr ja auch so geschafft - gut gemacht; )

  • O
    opacity

    "Das ist schlicht die Kehrseite einer Technologie, über die gesprochen werden muss."

     

    Ich denke, Technologien haben keine Kehrseite (bzw. Nachteile), zumindest nicht im Sinne der Verwendung der jeweiligen. Mag eine Technologie eine gewisse Beschaffenheit haben. Mag diese Beschaffenheit sich unter einem Gesichtspunkt als Vorteil, oder als Nachteil herausstellen. Aber, wie sie verwendet wird und wie das zu bewerten ist, hat mit der Gesellschaft zu tun.

     

    Was ist die Kehrseite eines Messers? Das man damit auch Schrauben rausdrehen kann (mach' ich immer wieder mal an der Pfanne, der Griff löst sich so leicht), sich die Pulsadern aufschneiden, oder damit auf Tauben werfen kann?

    Ich meine, ob die Art der Verwendung ein Vorteil oder Nachteil für die Gesellschaft ist, ist keine Eigenschaft der Technologie.

     

    Allerdings, allgemein bekannt: Messer eignen sich nicht besonders gut für Tiertelepathie.

     

    BTW: Die Anzahl an Google-Treffern für "Tiertelepathie" ist erschreckend hoch.

  • I
    IvokainKrieg

    Wir können Jammern oder uns Bilden, der Mensch in der Wildnis musste halt auf Warnrufe schnell reagieren ohne Nachzudenken. Und das liegt uns heute noch im Blut. Da hilft nur Bewusstsein. Das Kleinhirn (Reptilienbereich) kann nichts dafür das in ihm keine Kreativität beheimatet ist und nur stört. Deshalb, warum nicht die Distanz des Bildschirms nutzen um erstmal nachzudenken, tief zu googeln und auch mal was philosophisches zu lesen? Jeden Tag eine gute Tat, jeden Tag eine gute Nachricht/Hoffnung/Link...

    Du bist dann vielleicht nicht der Erste, aber vielleicht der Erste der die Richtung weiß...

    soviel,sokurz.

    Ivo

  • JZ
    Jan Z.

    ihr habt den Schuss nicht gehört. Twitter ist genauso wenig "gut" oder "böse" wie das Telefon als reines Medium gut oder böse ist. Wer das - altersunabhängig - nicht versteht, sollte sich ein paar Gedanken machen und auf dieser Grundlage dann gerne polemisieren. Aber das habt ihr ja auch so geschafft - gut gemacht; )

  • T
    tazitus

    "Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen." Hat JWvG im "Faust" da etwa schon "twitter" gemeint?

     

    "..Dass der Schuss, den manche angeblich nicht gehört haben, auch nach hinten losgehen kann,...

    oder

    MancheR, die/der den Schuss nicht gehört hat, war schon tot als der Knall beim Opfer ankam...

     

    Mein Dank mal wieder an Arno Frank. Da freue ich mich schon auf die taz.am wochenende.